Feiern bis zum Reihern in Bayern

P1250204Eine Band, die schon lange auf meiner Liste steht, aber zu der ich es tatsächlich irgendwie noch nie geschafft habe, ist Me First and the Gimme Gimmes. Ihre Live-Shows sind schon längst legendär, ebenso ihre Songs, die ausnahmslos aus Coverversionen von Klassikern vorzugsweise aus den 60er und 70er Jahren bestehen. Die Gründungsmitglieder sind Sänger Spike Slawson (Bassist bei den Swingin’ Utters), Gitarrist Chris Shiflett (Foo Fighters, Ex- No Use for a Name), Gitarrist Joey Cape (Lagwagon), Bassist Fat Mike (NOFX) und Drummer Dave Raun (Lagwagon). Eine richtige Supergroup also. Aber da alle mit ihren Hauptbands entsprechend beschäftigt sind, ist es schwer, eine gemeinsame Tour zu organisieren. Daher gibt es einen Pool an zusätzlichen befreundeten und hochkarätigen Musikern, sodass immer ungewiss ist, wer am Ende tatsächlich auf der Bühne stehen wird. Dementsprechend bin ich gespannt.

P1240875Im Vorprogramm sind Scream angekündigt, eine bereits 1982 gegründete Hardcore Band aus Washington D.C., bei denen ein gewisser Dave Grohl auch einmal am Schlagzeug saß, bevor er zu Nirvana gewechselt ist. Hierzulande sind sie zwar eher unbekannt, für die Eingeweihten jedoch ein echter musikalischer Leckerbissen.
Also auf ins Backstage Werk, das sich anfangs noch zögerlich füllt, aber es ist ja auch noch Zeit. Plötzlich stehen Scream schon um zehn vor acht auf der Bühne, und Sänger Peter Stahl entschuldigt sich: „I know we’re a bit early, but we just wanna get startet. “ Und damit legen sie auch schon los mit „Walking by myself“. Außerdem mit dabei sind sein Bruder Franz Stahl an der Gitarre, Bassist Skeeter Thompson, zweiter Gitarrist Robert Lee Davidson und Schlagzeuger Kent Stax. Das Tempo ist hoch, schnell wird „This side up“ angekündigt, und Stahl springt in den Graben, um Kontakt zum Publikum aufzunehmen. Um die anwesenden Presse-Kameras kümmert er sich sprichwörtlich einen Scheiß, und ich muß beiseite springen, um nicht umgerannt zu werden. Das ist Hardcore! „Human behavior“ und „Laisse-faire“ folgen, bevor er sich für den lauter werdenden Applaus bedankt und Thompson Witze über das Wetter macht, denn nach wochenlang Regen konnten sich heute alle über Sonnenschein freuen. „This Song is called „Bedlam in the USA“, kündigt Stahl an, und die Show geht weiter. „Fight / American justice“ wird von Thompson angekündigt, sicherlich eine Herzensangelegenheit, denn People of Colour sind im amerikanischen Justizsystem deutlich benachteiligt, auch 40 Jahre nach Veröffentlichung dieses Songs. Scream gehen auf der Bühne richtig ab, doch das Publikum ist zwar interessiert, reagiert aber insgesamt eher verhalten, weswegen Stahl wieder in den Graben springt und auf den Zaun steigt. Die zweite Hälfte des Songs ist vom Reggae dominiert, und immer mehr Leute tanzen, woraufhin er feststellt: „Yeah! Movin‘ groovin‘, feels good, right?“ und johlende Zustimmung erntet. Zu „Get free“ steigt er gleich wieder auf den Zaun und legt richtig Energie rein, winkt und formt Teufelshörner mit den Händen. Schließlich greift er sogar zur Mundharmonika und vereinzelt wird dazu rhythmisch mitgeklatscht. Nun gibt es wirklich ordentlich Applaus vom immer zahlreicher werdenden Publikum. Jetzt erinnert er an die Pandemie, die 2020 alle Pläne zunichte gemacht hat, um so mehr freuen sie sich heute hier sein zu können, P1240732_SWund er bedankt sich: „Thank you Backstage, thank you Me First and the Gimme Gimmes, thank you all for coming! This one goes back to 1985. This song is called ‚A no money down‘!“ Dazu springt er erst durch die erste Reihe und dann tiefer in die Menge vor der Bühne hinein, was für Begeisterung sorgt. „Yeah! Thank you so much! “ Zu „Bet you never thought“ steht er erst hinten links oben auf der Treppe und zieht dann weiter bis zum Mischpult und bringt Bewegung ins Publikum. Schließlich startet er den Pogo in der Mitte und sorgt für richtiges Hardcore-Feeling. Hinterher gibt es begeisterte „Hey-Hey“-Rufe, bevor Stahl daran erinnert, dass in den Anfangstagen der Band ein möglicher nuklearer Krieg eine ständige Bedrohung war, und dass wir heute mit dem Krieg in der Ukraine leider wieder eine ähnliche Situation haben. Der Song ist nun natürlich klar: „Came without warning“. Wieder ist er mittendrin im Pit und heizt die Meute noch zusätzlich an: „Alright, Munich, come on! “ Eine letzte Pogorunde, dann verabschieden sich Scream und packen ihre Instrumente ein. Es gibt zwar noch Zugabe-Rufe, aber der Zeitplan steht scheinbar, und der kurze Umbau beginnt. Scream haben aber eine tolle Show gespielt mit Haupt-Focus auf den ersten zwei Alben Still screaming und This side up von 1983 bzw. 1985, die zurück zu den Wurzeln des Hardcore geführt haben, wo sich Musiker und Fans auf Augenhöhe und ohne Berührungsängste begegnet sind.

P1250158Bleibt also das Warten auf den Hauptact, das durch den Umbau der Roadies verkürzt wird, die dabei schaurig schöne rote PVC-Westen mit goldenen Reißverschlüssen und Nieten tragen. Ich interpretiere die Dinger als irgendwie übertrieben 80er Hip-Hop-Style, sicherlich Geschmackssache, aber damit natürlich bestens zum folgenden Programm passend. Die Bühnendeko besteht aus goldenen Rüschenvorhängen, und das Drumkit hat ein rotes Leopardenplüsch-Podest bekommen, und mit dem GG-Logo wirkt das sehr Sixties-mäßig. Kurz vor neun wird das Saallicht gedimmt, aber dann geht es doch noch nicht los. Fünf Minuten dauert es noch, dann läuft als Intro die Titelmelodie aus Die Straßen von San Francisco, bevor Me First and the Gimme Gimmes ordentlich bejubelt die Bühne betreten und direkt mit „Danny’s song“ einsteigen. Nun begrüßt Sänger Spike Slawson erst einmal das Publikum und erklärt ausschweifend , dass er mit seiner Performance jetzt einen der Größten ehren möchte, den King. Das folgende „Leaving on a jet plane“ ist zwar ein Song von John Denver, klingt aber tatsächlich nach einer punkrockigen Elvis-Nummer, und Spike performt einige von dessen Tanzschritten. Mit dem funkelnden Pailletten-Sakko und der großen Sonnenbrille wirkt er auf mich wie eine Mischung aus Heino und David Hasselhoff. Sein Mikrofon zeigt es außerdem deutlich: Früher war mehr Lametta. Die Pause bietet auch die Möglichkeit, die Band heute Abend zu identifizieren. Links agiert Gitarrist Joey Cape, der mit der nerdigen Brille wie ein Physiklehrer aussieht. Nein, doch nicht. Wegen der Brille habe ich Jake Kiley von Strung Out nicht erkannt. An den Drums sitzt überraschend Andrew Pinching, besser bekannnt als Pinch von The Damned, den Bass spielt heute CJ Ramone, und rechts steht mit einem verschmitzen Lächeln Gitarrist John Reis, sonst Sänger unter dem Namen Speedo bei Rocket from the Crypt. Weiter geht es mit „Me and Julio down by the schoolyard“, das ebenso keinen Drive vermissen lässt. Nachdem ich den Pressegraben verlassen habe, sehe ich erst, dass der Pogo zumindest zu „Sloop John B“ jetzt bereits voll entfesselt ist. Aber ich nehme stark an, es ging sofort ab. Ich kämpfe mich zu meiner Begleitung an der Treppe vor, denn es ist wirklich brechend voll. Der Mann neben mir erzählt, dass er 600 Kilometer für die Show gefahren ist. Respekt und schöne Grüße! „Straight up“ schallt uns entgegen, und beim Refrain schallt es „oh-oh-oh“ aus dem Publikum zurück. Die Stimmung kocht im Werk, und dementsprechend heiß ist es mittlerweile. Doch das hindert Me First and the Gimme Gimmes nicht daran, noch einen draufzusetzen. Spike kündigt einen „Smash-Up of The Clash and ABBA“ an, „for the first time ever“. Und tatsächlich starten sie mit “Janie Jones”, bevor der Song in „Dancing queen“ hinüberblendet, das alle inbrünstig mitsingen. Quasi nahtlos geht es nun wiederum mit „Science fiction / Double feature“ weiter, und erst danach bekommt der Pogo eine kleine Atempause. „Is there anybody around here who can’t get a little mellow sometimes? Get the fuck out of here!“ Die Menge feiert „Have you never been mellow“, bevore Spike erklärt: „It’s not one for Wednesday. It’s not two for Tuesday. It’s not three for Thursday. Tonight it’s a four for Friday!“ Außerdem stellt er Drummer Pinch ironisch mit „Americunt“ vor, der gebührend vom Publikum gefeiert wird. „And the first song in a four for Friday is a cover of ‚Jolene‘ „, zu dem es nun so richtig abgeht, und alle singen mit. Fun fact am Rande: Erst am Freitag zuvor trug Sänger Oliver Rae Aleron der kanadischen Technical-Death-Metal Band Archspire hier im Werk ein Dolly Parton Shirt, sodass sie mir gleich zwei mal innerhalb von fünf Tagen begegnet.

P1240996Nun sind wir „On the road again“, doch weil das zu anstrengend wird, satteln wir die Pferde für „(Ghost) Riders in the sky“. Die Band galloppiert regelrecht voran, und Spike reitet auf dem Mikrofonständer und nutzt die langen goldenen Glitterfäden dabei als Zügel. „Take me home, country roads“ wird von allen inbrünstig mitgesungen, und auch der Band merkt mensch deutlich an, dass das auch einer ihrer Favoriten ist. Eine kleine Pause haben nun alle nötig, und Spike blödelt etwas herum, während er zur Ukulele greift, die im Hintergrund am Schlagzeug bereitsteht. John Reis wedelt ihm dabei mit dem Bühnenhandtuch theatralisch Luft zu. In dem Pailetten-Sakko muss es sich wie in der Sauna anfühlen. „Before the next teardrop falls“ ist heute definitiv ein Synonym für Schweißtropfen, die silbernen 70er-Jahre-Polyester-Hemden der Band sind längst völlig durchgeschwitzt. Mit der Ukulele sorgt Spike dabei für Hawaii-Feeling und somit für Abwechslung zum Punkrock. Begleitet wird er dahei nur von Drummer Pinch mit Conchos. Nun heißt es: „Are we not men? We are Diva!“ Zu den ruhigen ersten Takten von „I will survive“ bildet sich spontan eine Wall of Death, die mit dem losrockenden Song brodelnd zusammenbricht. Hinterher meint Spike: „I want to shout it from the rooftop, I want to climb the tallest mountain!“ Nach einer Atempause fragt er schließlich: „So, what city is this? Stuttgart, I would know you anywhere!“ Dafür wird er erst mal ausgebuht. „Is that Frankfurt?“ – „Buuuh!“ – „Now I know, it’s Wien, the city of music!“ Letzter Versuch: „Is it München?“ Das ist gerade noch mal gutgegangen, und anstatt die Bühne zu stürmen schwebt die Menge „Over the rainbow“, das irgendwie viel zu schnell vorbei ist. Nun heißt es: „It’s ‚Summertime‘, baby!“ Dabei entdecke ich einen ca. zehnjährigen Jungen zusammen mit seinem Papa im Pit. Sehr cool, die Umstehenden nehmen dazu auch etwas Rücksicht. Überhaupt haben heute auffallend viele Leute ihren Nachwuchs dabei. Musikalische Früherziehung ist schließlich wichtig. „It’s a real treat to cover a song like that.“ meint Spike dazu. „The next one is a Neil Diamond song and it’s much harder to cover than you may think.“, und so folgt „Sweet Caroline“. Mit „Rocket man“ findet die Show ihren regulären Abschluss. Alle gehen dabei steil, und auch Bassist CJ Ramone kommt nun mal nach vorne, der sich zuvor eher im Hintergrund gehalten hat, dabei aber die absolute Coolness in Person. Die Band geht von der Bühne, doch das Publikum fordert energisch nach Zugaben. Ausgerechnet jetzt kommt ein Crowdsurfer daher, ohne die Band auf der Bühne. Ich hatte mich schon gewundert, dass bei all der Begeisterung niemand zuvor den Versuch unternommen hat.

P1240938Schließlich kehrt nur Spike auf die Bühne zurück und spielt „Ganz allein“ auf der Ukulele, das er mit schier herzzerreißenden Gesichtsausdrücken auf deutsch singt. Vorher erklärt er, dass mensch nicht schüchtern sein muss und sich einfach trauen soll. Der Beifall geht in rhythmisches Klatschen über, und für „Rikki don’t lose that number“ kehren zuerst Bassist CJ Ramone und Drummer Pinch zurück, bevor sich nacheinander auch John Reis und Jake Kiley dazugesellen, denn „Love will keep us together“. Nun heizt Spike die Stimmung noch einmal an: „For the very first time in München: Feiern bis zum Reihern in Bayern!“, was mit reichlich Gejohle quittiert wird. Die letzten Reserven werden für „Different drum“ mobilisiert, und mit „End of the road“ endet endgültig ein fantastischer Abend. Die Masse strömt auch direkt ins Freie, um die erfrischende und angenehm kühle Abendluft in die ausgepumpten Lungen einzusaugen. Bleibt zu hoffen, dass wir nicht wieder so lange auf den nächsten Auftritt warten müssen.

Fazit: Scream haben einen tollen Auftritt hingelegt und waren mit ihrem traditionellen Oldschool-Hardcore als Anheizer eigentlich zu schade, außerdem hätten sie deutlich mehr Bewegung im Publikum verdient gehabt. Da haben sich die Leute die Kräfte für Me First and the Gimme Gimmes aufgehoben. Das zeugt andererseits von Weitsicht, denn die Show ist lang und wahrlich schweißtreibend, die von der bestens aufgelegten Band fabriziert wird. Das Ausreizen der Klischees unter dem Deckmantel des Punkrock macht einfach mächtig Spaß, und es ist immer wieder erstaunlich, wie gut die Coverversionen funktionieren.
:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch:

Setlist Me and the Gimme Gimmes:
Danny’s song (Loggins & Messina cover)
Leaving on a jet plane (John Denver cover)
Me and Julio down by the schoolyard (Paul Simon cover)
Sloop John B ( cover)
Straight up (Paula Abdul cover)
Dancing queen (ABBA cover)
Science fiction / Double feature (Richard O’Brien cover)
Have you never been mellow (Olivia Newton-John cover)
Jolene (Dolly Parton cover)
On the road again (Willie Nelson cover)
(Ghost) Riders in the sky (Stan Jones and his Death Valley Rangers cover)
Take me home, country roads (John Denver cover)
Before the next teardrop falls (Freddy Fender cover)
I will survive (Gloria Gaynor cover)
Over the rainbow (Harold Arlen cover)
Summertime (George Gershwin cover)
Sweet Caroline (Neil Diamond cover)
Rocket man (Elton John cover)

Ganz allein (Spike Solo)
Rikki don’t lose that number (Steely Dan cover)
Love will keep us together (Neil Sedaka cover)
Different drum (Michael Nesmith cover)
End of the road (Boys II Men cover)

(1279)

1 Kommentar
  1. Arne Rucks
    Arne Rucks sagte:

    Wir haben einen Hinweis über Instagram bekommen, dass nicht Joey Cape heute der Gitarrist ist, sondern Jake Kiley von Strung Out. Vielen Dank dafür. Die entsprechende Stelle ist korrigiert.

Kommentare sind deaktiviert.