Wintersturm im Oktober

Montag, 15. Oktober 2018: In München ist nichts mehr, wie es einmal war. In der letzten Nacht hat der bisherige Quasi-Alleinherrscher CSU einen amtlichen Denkzettel bekommen, von der SPD ganz zu schweigen. Linke Politiker ziehen in die Bezirkstage ein, die Grünen sind zweitstärkste Kraft in Bayern. Das Einzige, so scheint es, worauf man sich verlassen kann, ist das gute, alte Backstage, das an diesem Abend für alle Freunde des gepflegten Schwarzmetalls ein wahres Schmankerl bereithält: Taake geben sich die Ehre, im Gepäck das aktuelle Album Kong vinter. Die Mannen um Mastermind Hoest touren den ganzen Oktober durch Europa, und weil dabei der Grundsatz „Je mehr, desto besser“ gilt, haben sie sich mit Slegest, One Tail, One Head und Bölzer hochkarätige Unterstützung geholt. 

DSC_6898Den Reigen eröffnen pünktlich um halb acht Slegest aus Systrond in Norwegen, die seit 2010 aktiv sind und inzwischen auf zwei Alben zurückblicken können. Slegest machen Black’n’Roll mit eingängigen Rhythmusgitarren und harschen Vocals, der irgendwo zwischen Darkthrone und Black Sabbath angesiedelt ist, und allein diese Beschreibung macht deutlich, dass Slegest außerhalb jeder Schublade operieren. „Maler lys i mørketid“ vom neuen Album Introvert, das im November erscheinen wird, eröffnet den Abend; später gibt es mit „Undergangens tankesmed“ noch einen zweiten Ausblick auf Introvert. Aber bis es soweit ist, schrabbeln, rocken und knurren Slegest sich durch die Vorgänger Vidsyn („Wolf“, „Komfortabelt nommen midtvekes“ und „I fortida sytt lis“); zwei Stücke vom Debüt Løyndom dürfen an diesem Abend Schlusslicht sein. Dem Publikum steckt wohl noch die lange Wahlnacht in den Knochen, jedenfalls bewegt sich bis auf wohlwollendes Kopfnicken noch nicht viel, und der obligatorische Sicherheitsabstand zwischen den Fotografen am Bühnenrand und den restlichen Zuschauern wird eisern eingehalten. Dass Slegest zwar musikalische Akzente zu setzen wissen (bei „Wolf“ beispielsweise), sich einige Songs aber nach einer Weile doch eher hinschleppen (etwa das drögere „Komfortabelt nommen midtvekes“), tut sein Übriges zur Lethargie des Publikums, was auch der Band nicht entgeht: vor den letzten Songs macht Sänger, Gitarrist und Bandgründer Ese diejenigen im Publikum nach, die die letzte halbe Stunde am Smartphone gehangen haben, statt sich die Band anzuschauen, und rotzt uns dann „Ho som haustar aleine“ und „Løgna sin fiende“ vor die Füße, ehe die Bühne für die Kollegen von One Tail, One Head geräumt wird.

DSC_6926Diese vier Herren aus Trondheim geben dem Publikum einige Rätsel auf: Anfang Oktober erschien endlich das Debütalbum der 2006 gegründeten One Tail, One Head mit dem Titel Worlds open, worlds collide, via Terratur Possessions. Bereits Ende Juli gab die Band auf Facebook in einem kurzen Statement bekannt, dass man sich im Dezember 2018 nach der ersten und einzigen Europatournee und einem Abschiedskonzert in Trondheim auflösen werde. Im Vorfeld des Konzerts wurde über das Warum spekuliert – eine gute Dreiviertelstunde später dürfte auch ohne Antwort eine gewisse Traurigkeit darüber geherrscht haben, denn One Tail, One Head liefern ein sehr gutes erstes und letztes Konzert in München ab, bei dem überwiegend aktuelles Material dargeboten wird. Die Stücke gleichen rasende Brutalität mit eindringlicher Atmosphäre aus; so ergibt sich eine stimmige Mischung, die durchaus Potenzial für mehrere Alben hätte. „Arrival, yet again“, „Worlds open, worlds collide“, und „Passage“, alle vom Debütalbum, sowie das bereits früher erschienene, aber noch einmal gründlich überarbeitete „Firebirds“, mit dem One Tail, One Head den Abend beschließen, überzeugen durch absolut irren Sound: Blastbeat-Attacken, frenetische Gitarren und harsches Gekreische werden abgelöst von langsameren Passagen mit Klage- und Heullauten, die direkt aus der Folterkammer zu stammen scheinen. Gerade „Firebirds“ fräst sich förmlich in die Köpfe; es ist sowohl eines der aggressiveren als auch der abwechslungsreicheren Stücke, die One Tail, One Head im Repertoire haben. Aber auch die Lieder von den zwei EPs, die OTOH 2011 auf den Markt gebracht hat, wissen zu gefallen: der Eröffnungstrack des Konzerts, „In the golden light“, und „The splendour of the trident tyger“ präsentieren sich nicht ganz so ausgefeilt wie die neueren Stücke, zeigen aber bereits diesen Ansatz. Schade, dass One Tail, One Head ihren Sound wohl nicht mehr perfektionieren werden!

DSC_7115Die beiden Herren von Bölzer sind schon lange kein Geheimtipp mehr in der Extreme-Metal-Szene, dementsprechend gespannt sind alle auf den Auftritt der Schweizer. Deren Sound ist wirklich einzigartig, was nicht zuletzt der zehnsaitigen Gitarre von Frontmann Okoi Thierry „KzR“ Jones geschuldet ist, der er wahre Klangwände zu entlocken weiß. Ehe wir die allerdings zu hören bekommen, werden im Publikum Spekulationen über das auf der Bühne abgefackelte Räucherwerk laut, die schließlich ein neben mir stehender Herr aus Österreich mit einem entschlossenen „des riacht nach Latschenkiefer!“ beendet. Dann legen Bölzer mit vollem Körpereinsatz los, und der duftende Rauch wird von den umherfliegenden Haaren verteilt. Jedoch wird die Luft vor der Bühne nicht ganz so haarig, wie erwartet – was Bölzer auch durchaus kritisieren: „Entweder ihr seid‘s am Schlafen, oder wir sind am Schlafen!“, beschwert sich KzR zwischendurch. Sicher, das generell montagsmüde Publikum läuft an diesem Abend nicht gerade zu Höchstleistungen auf, aber zum Einschlafen sind Bölzer nun wirklich nicht: die Songs sind sehr komplex, das neuere Material wartet darüber hinaus mehr mit Cleargesang auf als die etwas harscheren älteren Stücke (was dem Ganzen keineswegs schadet – KzR hat eine sehr warme, klare Stimme und weiß sie sehr wohl einzusetzen). Die Menschen um mich herum sind definitiv wach und konzentrieren sich ganz auf die Musik, die bei aller Härte zwischendrin nicht unbedingt zu wilden Moshpits, sondern zum aufmerksamen Zuhören einlädt. Vor allem „Hero“, der Titeltrack des letzten Albums, liefert all die soeben aufgezählten Momente gewissermaßen in der Nussschale und steht an diesem Abend stellvertretend für die musikalische Entwicklung, die Bölzer seit ihrer ersten EP Aura durchgemacht haben. Trotzdem darf natürlich einer der wichtigsten (älteren) Songs der Band, „Entranced by the wolfshook“ nicht fehlen. Aus der Warte des Publikums ist das jedenfalls eine gute Einstimmung auf Taake, auch ohne dass die Kuh durch die Halle fliegt.

DSC_7261Nachdem Bölzer nach fast einer Stunde psychedelischen Black’n’Death Metals sichtlich schlecht gelaunt von der Bühne verschwinden, wird das Publikum in die Gegenwart zurückgeholt und fragt sich verwirrt, was man denn falsch gemacht hat. Im Nachhinein stellt sich heraus, dass die Band mit ihrem Auftritt nicht zufrieden war – was eigentlich unbegründet ist, mehr Show geht mit zwei Leuten und dazugehörigen Instrumenten auch gar nicht. In der Umbaupause wird natürlich über den überraschend unwirschen Abgang der Band diskutiert, aber dank Boney M und ABBA, die den ein oder anderen im Publikum zu etwas unbeholfenen, wenn auch enthusiastischen Tanzeinlagen inspiriert, vergeht die Zeit wie im Flug. Nach einem gesprochenen Intro vom Band geht es auch direkt los mit „Havet i huset“ vom aktuellen Album Kong vinter (2017), direkt gefolgt von „Fra vadested til vaandesmed“ (Noregs vaapen). Das geht wiederum direkt über in „Jernhaand“, das nächste neuere Stück an diesem Abend, ehe es mit „Umennske“ (Taake) wieder etwas weiter zurück in die Diskografie geht. Ein gut gelaunter Hoest kündigt dann an, man habe ja noch etwas Zeit, und erkundigt sich beim Publikum, was man denn noch so hören wolle? Die Antwort ist an diesem Abend fast einstimmig: „Myr“! Und genau das hauen Hoest und seine Mannen dann auch raus, Banjo-Solo und Gastauftritt von One Tail, One Head-Sänger Luctus inklusive. Spätestens jetzt sind auch diejenigen, die bei Bölzer vielleicht wirklich geschlafen haben, hellwach, und als Taake nach „Nordbundet“ auch noch den Gassenhauer „Du ville ville Vestland“, beide ebenfalls von der Noregs vaapen, hinterherschieben, gibt’s kein Halten mehr. Die Herren sind an diesem Abend, gerade im Vergleich zu früheren Konzerten, bemerkenswert aufgeräumt und geradezu pervers spielfreudig. Hoest steht natürlich im Zentrum aller Aufmerksamkeit, wirbelt wie ein Derwisch über die Bühne, schneidet Fratzen, gestikuliert und kreischt, knarzt, keift, spuckt und faucht, was das Zeug hält. In puncto Spucken steht ihm Helheim-Bassist Ørjan „V’Gandr“ Nordvik in nichts nach; mehr als einmal sieht es so aus, als hätte Fotografin torshammare in der ersten Reihe schnell in Deckung gehen müssen (was sich allerdings als falscher Alarm erweist). Mein persönliches Highlight folgt dann mit „Nattestid ser porten vid 1“, dem ersten Taake-Song, den ich je gehört habe und entsprechend feiere, wenn ich ihn live um die Ohren gehauen bekomme. „Hordalands doedskvad 1“ rundet den Konzertabend dann ab; als Zugabe wird noch „Over Bjoergvin graater himmerik IV“ gegeben, und dann entlässt man uns mit klingelnden Ohren, schmerzendem Nacken, einem breiten Grinsen und wesentlich mehr Volumen im Haar in eine Oktobernacht, die nicht so kalt ist, wie es dem Abend angemessen wäre.

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Setliste Taake:

Havet i huset
Fra vadested til vaandesmed
Jernhaand
Umenneske
Myr
Nordbundet
Du ville ville Vestland
Nattestid ser porten vid, Part I
Hordalands doedskvad 1
Over Bjoergvin graater himmerik, Part IV (Zugabe)

 

Setliste One Tail, One Head:

In the golden light
Arrival, yet again
Worlds open, worlds collide
Passage
One tail, one head
Instrumental
Rise in red
The splendour of the Trident Tyge
Firebirds

 

Setliste Slegest:

Maler lys i mørketid
Wol
Komfortabelt nommen midtveke
Blodets varme gjennom meg
Undergangens tankesmed
I fortida sytt lis
Ho som haustar aleine
Løgna sin fiende

Bilder: torshammare

 

 

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