Eintauchen in den Untergrund

 

Mittwoch, 3. Juli, ein warmer Sommerabend, das Münchner Konzertangebot überschlägt sich geradezu mit Alternativen – und doch kommt eine ansehnliche Anzahl Schwarzmetaller im Backstage Club zusammen, um dem Untergrund-Black-Metal zu huldigen. Fünf Bands sollen heute spielen, manche erst in den letzten Jahren gegründet, manche echte Szeneveteranen wie die Amerikaner Von oder das kolumbianisch-amerikanische Duo Inquisition.

Das verspricht ein langer, intensiver Abend zu werden, sodass mit Ewigeis auch um Punkt 19:30 Uhr schon die erste Band die Bühne des wegenewigeis des Oberlichts noch taghellen Clubs betritt – leider ohne Ansage, der exakte Konzertbeginn (der auch noch ein intensives Instrumentestimmen sein könnte) geht daher etwas unter. Mit der Zeit versammeln sich dann doch ein paar Leute vor der Bühne und lauschen dem Münchner Duo um Mastermind Saat, das eher midtempolastigen Black Metal mit deutschen Texten spielt und einen Querschnitt aus den zwei bisher erschienenen Demos Abgrund und Wolfsmond präsentiert. Im Prinzip machen Ewigeis das auch nicht schlecht, Kreisch-Sprechgesang, sägende Gitarren, scheppernde Drums – doch so richtig mitreißen will das alles nicht. Musikalisch fehlt (noch) Eigenständigkeit und Intensität, letztere wäre auch in puncto Bühnenpräsenz wünschenswert. Die beiden Musiker auf der nicht gerade riesigen Bühne sehen leider etwas verloren aus, der eine hinter seinem kleinen Schlagzeug, der andere mit der Gitarre in der Hand vom linken zum rechten Mikro pilgernd … dass es in dieser Besetzung auch sehr viel dynamischer geht, zeigt sich im Lauf des Abends. 

manic-diseaseNach einer zackigen Umbaupause geht es weiter mit den Tirolern von Manic Disease, die vom ersten Moment an alles geben und den Club mit ihrer Mischung aus Black Metal, Trash/Death-Getrümmer à la Desaster und einfach nur purem Lärm niederwalzen. Positiv sind das extrem agile Stageacting von Sänger Bekim Leatherdemon und die mitreißende musikalische Gewalt, die das Publikum zu erstem energischem Haareschütteln animiert; ein bisschen seltsam muten allerdings die englischsprachigen Ansagen an – eine Fremdsprache ist Tirolerisch ja nun nicht gerade. Aber nun gut, insgesamt ist’s ein engagierter Auftritt mit fünf Songs, die dem geneigten Zuhörer keine Verschnaufpause gönnen: „The occult Reich“, „Beyond cosmic Boundaries“, „Triangle will burn“, „Devotion“, „Shapeless“.

Nekrist: Ich sah den Auftritt ein wenig anders. Gleich zu Beginn machten die Tiroler klar: Hier geht’s zur Sache. Die Flasche Jack Daniel’s kreiste munter während des gesamten Auftritts zwischen den Menschen auf der Bühne. Die Musik hätte durchaus Potenzial. Leider war die Performance streckenweise nichts anderes als … ja, genau, purer Lärm. Stellenweise sah es so aus, als spielten Drummer und Gitarristen zwei verschiedene Lieder, jedes Instrument setzte irgendwann ein, und die Power-Metal-Screams sorgten definitiv für Irritation und Ohrenschmerzen meinerseits. Und für alle, die dachten, dieses Desaster mit dem Begriff „Offbeat“ erklären zu wollen: nein, war es nicht. Es war einfach daneben. Weniger Saufen, mehr Proben, Jungs, dann wird schon noch was aus euch!

wraithcultWraithcult aus München sind 2010 aus den Trümmern der legendären Helfahrt hervorgegangen und werden daher mit großer Spannung im Publikum erwartet. Man wird auch nicht enttäuscht, die Band um die Zwillinge Sebastian und Tobias Ludwig (die auch bei Thulcandra aktiv sind) wirkt eigenständig und hebt sich mit ihrem etwas black’n’rolligeren Sound wohltuend vom Black-Metal-Einheitsbrei ab. Nach dem Geschredder der Vorband hatte man nun wieder das Gefühl, es mit Menschen zu tun zu haben, die wissen, was sie da tun. Druckvolle Rhythmen, aggressiver Gesang, ordentliche Geschwindigkeit, intensive, düstere Bühnenpräsenz – Wraithcult überzeugen auf der ganzen Linie mit den Songs „Prophet Deceiver“, „The Emptiness“, „Nine Wounds“, „Serpent Sacrifice“ und „Miasma“. Die Band hat auch bereits ein Debütalbum eingespielt, Gestalt, aus dem zwei Lieder im Netz gestreamt werden können; erscheinen soll das Ganze dann im Herbst 2013 bei Black Skull Records.

vonNach diesem mitreißenden Auftritt wird es bei den Szene-Veteranen Von aus Kalifornien sehr viel ruhiger und doomiger, aber nicht minder intensiv und abgründig. Von existierten bereits von 1987 – 1992 (und sind damit angeblich die erste Black-Metal-Band der USA) und sind seit 2010 wieder aktiv. Nach zwei Demos aus den Anfangsjahren der Truppe erschien 2012 das Debütalbum Satanic Blood und im Frühjahr 2013 der Nachfolger (allerdings nur digital) Dark Gods: Seven billion Slaves.
Von zelebrieren ihren Auftritt als eine düstere Messe, eine Huldigung an die Schwere und Dunkelheit, abgrundtiefe Riffs, die sich durch den Club walzen, in Kombination mit growlendem Gesang. Die Band wirkt fast abwesend und in ihrer eigenen Welt. Zu den minimalistischen Liedern, die komplett ohne Schnörkel auskommen, passt die minimalistische Bühnenshow wie die Faust aufs Auge. Lohnenswert auf alle Fälle, doch nach einer Weile wirkt die Darbietung etwas ermüdend, man hat das Gefühl, es mit einem einzigen, langen Song zu tun zu haben, dem man nicht entkommen kann. Vielleicht liegt das aber auch an den infernalischen Temperaturen und dem nicht vorhandenen Sauerstoff im Backstage Club. Die Konzentration auf das Bühnengeschehen wird da sehr erschwert, und man ist froh, als man in der Umbaupause nach draußen an die frische Luft strömen kann, um Kraft für die letzte Band des Abends zu sammeln.

inquisitionInquisition sind eine wahre Black-Metal-Institution und vor allem wahrer Untergrund. 1988 in Kolumbien von Mastermind Dagon gegründet, wurde das Projekt nach seinem Umzug in die USA 1996 mit Drummer Incubus vervollständigt. Versuche, die Band um einen Bassisten zu erweitern, scheiterten wiederholt, denn neben den spielerischen Fähigkeiten ist der ideologische Hintergrund der Mitglieder entscheidend. Inquisition bezeichnen sich als überzeugte Satanisten und Black Metal als „die Musik, die für Satan spricht“ (Wiki). Das mag man albern finden oder nicht, für die Band ist es jedenfalls eine ernste Angelegenheit und nicht nur ein schickes Attribut. Die Bühnenshow kommt allerdings gänzlich ohne satanistische Referenzen aus, das Ausgefallenste ist da schon die Setlist, die auf zwei Steinplatten aufgemalt ist. Die schnellen, abwechslungsreichen Songs sprechen definitiv für sich. Dagon und Incubus transportieren die geballte Kraft und Brutalität von gutem Black Metal – zu zweit! – und stacheln das noch sehr zahlreich vertretene Publikum zu wahren Begeisterungsstürmen an. Dagons Gesang ist zwar immer noch Geschmackssache – er hält seine Stimmlage bewusst monoton, um eine tranceartige Atmosphäre zu erzeugen, was ihm auch gelingt –, doch der Sound allein reißt schon gewaltig mit. So muss Black Metal klingen – roh, brutal, kraftvoll, abgrundtief böse.

Setlist Inquisition:
1. Embraced by the unholy Powers of Death and Destruction
2. Nefarious dismal Orations
3. Those of the Night
4. Crush the Jewish Prophet
5. Desolate Funeral Chant
6. We summon the Winds of Fire (for the Burning of all Holiness)
7. Command of the dark Crown
8. Imperial Hymn for our Master Satan
9. Cosmic Invocation Rites
10. Where Darkness is Lord and Death the Beginning
11. Ancient monumental War Hymn
12. Astral Path to supreme Majesties

Um halb eins endet dieser Abend, der insgesamt eine tolle Sache war (danke an die Organisatoren!), aber auch in ein paar Punkten etwas durchwachsen.
Sehr schade fand ich, dass die Bands bis auf sehr wenige Ausnahmen nicht mit dem Publikum kommunizierten und man im blödsten Fall nicht mal wusste, wer da grade auf der Bühne steht. Ein zweiter großer Kritikpunkt ist das Licht. Vier Bands in abgedimmtem Dunkelrot, eine in dunkelblau, keinerlei Variation, nicht mal ein bisschen Nebel – das wirkte schon arg lieblos (vom Frust für die anwesenden Fotografen mal ganz abgesehen).
Die Stimmung im Publikum war dagegen den ganzen Abend über sehr gut, der Club war sehr ordentlich gefüllt, und das an einem Wochentag bei relativ unbekannten Bands … feine Sache!

Nekrists Fazit: Schweigen als Stilmittel war vorherrschend an diesem Abend – gut, das lass ich mir ja noch eingehen. Aber wenn man erst einmal vorsichtig herausfinden muss, mit wem man es gerade zu tun hat, indem man sich bei den Nachbarn erkundigt, weiß man, dass man scheinbar im Untergrund gelandet ist. Das mag nun jeder finden, wie er mag, mir soll diese Marotte auch recht sein. Die Bandauswahl war absolut überzeugend – Wraithcult sind ohnehin klasse, Ewigeis werde ich im Auge behalten, wer weiß, wohin sich dieses Duo noch entwickelt. Dafür war die Hölle los, was die Zuschauerzahlen betrifft, auch wenn sich die meisten irgendwann vor dem Club aufhielten – Sauerstoff? Fehlanzeige, wird ohnehin überbewertet. Alles in allem kann ich torshammare zustimmen: Feine Sache!

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Text: torshammare + Nekrist

Fotos: torshammare

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