Ankalaetha:

Jedes WGT hat einen Tag, an dem wir eigentlich beide jeweils bestimmte Bands geplant hatten, dann irgendwie überhaupt nicht in Gang kommen, müde, Durst, alles zu umständlich – und dann gehen wir halt in den Volkspalast. Dieser Tag ist diesmal der Montag. Zum Glück lassen uns die Kuppelhalle und die Bands, die dort auf dem Programm stehen, auch diesmal nicht im Stich – drinnen ist es angenehm kühl, es gibt keine Schlangen vor Bars oder Klos, die Leute an der Bar sind nett, und als Sardh, von denen wir nur das Ende des Sets mitbekommen, fertig sind, finden wir nicht nur torshammare, sondern sogar richtige Sitzplätze, mit Tisch! Diese Tatsache trägt nicht unerheblich dazu bei, dass wir nicht nur die Kantine-Bands, sondern auch alle anderen potenziellen Alternativen sausen lassen und höchstens mal einer nach dem andern aufs Klo, an die Bar oder zum Wurststand vor der Türe gehen. Die Bands waren daran aber auch nicht ganz unschuldig – Apoptose sind zwar nicht unbedingt die Art Musik, die ich mir zu Hause anhören würde, aber so als Gesamtkunstwerk, live und mit Videountermalung, durchaus faszinierend. Dass der Fanfarenzug Leipzig gar nicht Fanfare spielt, sondern nur trommelt, enttäuscht mich zwar irgendwie ein bisschen, aber ich gebe zu, es hat wohl vermutlich besser zur Musik gepasst. Nach einem verpatzten Einsatz sind zum Ende hin die Videos nicht mehr mit der Musik synchronisiert, das macht das Ganze aber nur unerheblich weniger beklemmend. Insgesamt eine beeindruckende Performance.Und dann als krönender Abschluss des diesjährigen WGTs die legendären Test Dept. Schon der Aufbau verheißt Gutes, speziell das Gestell mit den diversen metallenen „Industrial-Instrumenten”. Als es dann endlich losgeht, vergeht die Zeit durchaus auch für mich, die ich wirklich nicht behaupten kann, mit der Musik groß geworden zu sein oder irgendwie ein besonderes Verhältnis dazu zu haben, äußerst kurzweilig, und schwupps, ist der Gig vorbei.
Danach müssen wir relativ schnell gehen, um die nächste S-Bahn zu erwischen. Noch einmal entscheiden, am Bayrischen Bahnhof den Aufzug zu nehmen anstatt der endlos langen Treppe, nochmal übers unebene Kopfsteinpflaster nach Hause und die krumme Treppe hoch in den dritten Stock. Einen Tee trinken und die letzten Snacks aufessen. Und das war’s dann schon wieder. Für dieses Mal.

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Mrs.Hyde:

Heute haben wir nicht viel Programm und treffen daher erst einmal eine Leipziger Freundin im Waldfrieden in Connewitz auf eine Fassbrause und Cappuccino und erschrecken die zum Brunch anwesenden Left_Hand_BlackNormalgäste. Die erste Band des Tages sind für uns Left Hand Black im Täubchenthal, die uns ganz im Gegensatz zum Vorab-Check auf YouTube leider gar nicht überzeugen können. Die Ansätze von Misfits in doppeltem Tempo sind zwar erkennbar, aber es klingt einfach nicht gut. Es gibt irgendwie Probleme mit dem Sound, schade.
Ploho wären im Haus Leipzig noch eine Möglichkeit, aber da würden wir nun nicht mehr rechtzeitig einen Parkplatz bekommen, und für Dance My Darling im Westbad ist uns die Wartezeit bis dahin zu lang. Also fahren wir zur agra, schlendern noch einmal durch die Stände und treffen Freunde an der Cocktailbar. Noctulus liefert den Soundtrack dazu und singt von seiner „Schwarzen Königin“. Ohne den Trümmerbarden würde auf dem WGT etwas fehlen. Mit der einsetzenden Abenddämmerung wird es plötzlich richtig kalt und windig, was tun? Front Line Assembly wären zwar durchaus noch eine Option (s. z.B. Fotos von Black-Cat-Net), aber stattdessen besuchen wir zusammen das Heidnische Dorf, wo es dank der Bäume windstill und somit tatsächlich wesentlich wärmer ist. Vor der laufenden Band flüchten wir sofort zu den Marktbuden im hinteren Bereich. Wir lassen uns extra Zeit, kommen aber irgendwann unvermeidlich wieder in der vorderen Hälfte an. Ich möchte Rauhbein bitte wieder vergessen. Ja, Geschmäcker sind verschieden. Aber wenn peinlicher Schlager läuft, der noch dazu mit dem „Alle-gegen-uns“-Pathos der Böhsen Onkelz garniert wird, rollen sich mir die Fußnägel hoch. Auf dem Rückweg können wir den schlechten Geschmack im Mund zu Glück an dem genialen Garagen-Getränkestand wegspülen. In der agra-Halle platzieren wir uns im soundtechnisch besseren Bereich mittig vor der Bühne und genießen das letzte Konzert der Europa-Tournee The-Missionvon The Mission. Ich hatte zwar erst kürzlich in München in das Vergnügen, erlebe das Konzert aber dank der variierenden Setlist und der WGT-Atmosphäre noch einmal neu. Die Band ist bestens aufgelegt und wird von den Fans verdientermaßen gefeiert. Beim Superhit „Wasteland“ wird sogar eine Konfetti-Kanone im Publikum gezündet. Trotz der Zugaben wirkt das Konzert fast zu kurz, und so endet das diesjährige 30. Wave Gotik Treffen für uns quasi auf dem Höhepunkt. Eine Aftershow-Party fällt heute nämlich aus, weil wir morgen schon zur Erholungswoche in Istrien aufbrechen.

Weitere Fotos zu The Mission s. a. unter Black-Cat-Net

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Phoebe:

Viel habe ich heute nicht mehr vor. Wehmut schleicht sich ein. Im Theaterhaus Schille spielen Stimmgewalt. Darauf bin ich beim Durchklicken durch die WGT-App gekommen. Eine Gruppe von Leuten, die Klassiker der Musikgeschichte a cappella singen. Auch das Schille interessiert mich, ein Kleinod in der Theaterlandschaft Leipzigs mit wechselvoller Geschichte. Eine kleine Schlange hat sich vor uns schon gebildet, und das am hellen Nachmittag, die Veranstaltung beginnt um 13.30 Uhr! Aber wir kommen gerade noch so rein in dieses alte kleine Theater mit den abgewetzten Samtsitzen. „Wir sind Stimmgewalt! 12 Stimmen, keine Instrumente! Wir machen HardChor!“ sagen die Musiker*innen über sich selbst. „Wir interpretieren und arrangieren Eigenkompositionen und Coversongs in den Bereichen Metal, Gothic und Rock a cappella. Anspruchsvoll aber nicht langweilig, komplex aber auf keinen Fall zu leise, modern aber nicht atonal.“ Auf der Bühne erscheint eine Art Conférencier, der uns ankündigt, dass sie heute ein Stück geben über Himmel und Hölle und Luzifer, den gefallenen Engel, und das, was er so auf der Erde macht. Wirklich toll gemacht! Alle in gothischem Schwarz, Luzifer als schwarzer Engel lasziv oben ohne, alles wird geboten von Adam und Eva, von Verführungen, Betrug, Verfehlungen und Eifersucht, von Liebe und Schmerz. Ich hätte nicht gedacht, dass eine mir völlig unbekannte kleine Band so zu Herzen geht, aber diese Stücke wie „Hurt“ von Johnny Cash, „Paint it black“ von The Rolling Stones, „Und wir tanzten (ungeschickte Liebesbriefe)“ von ASP und am Ende Rammsteins „Engel“, a cappella, ganz einfach auf der Bühne ohne Utensilien und großen Brimborium, das ergreift mich. Ich glaube, Stimmgewalt sind auch völlig davon überrascht, wie das WGT-Publikum abgeht. Sie sind überwältigt. Ganz was Liebes am Rande: Ein paar Leute kommen nicht mehr ins Theater rein, setzen sich aber ins angrenzende Café und hören zu. Sie wissen gar nicht, wie ihnen geschieht, als Stimmgewalt plötzlich ins Café kommt und ihnen zumindest auch einen Song darbietet, damit sie sie zumindest einmal auch sehen können.

Mo_Stimmgewalt

Wir gehen danach um die Ecke ins „Luise“ und essen noch schön, bevor wir ein letztes Mal zum Goerdeler Ring gehen, um in unsere Tram Nr. 7 einzusteigen. Danach sitzen wir noch ein wenig im Garten und lassen den Abend bei einem Glas Wein ausklingen.

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torshammare:

Der Montag beginnt sehr langsam, ich fahre noch mal zur agra, quatsche ausführlich bei Edition Roter Drache (gute Bücher gibt es da!), erledige noch ein paar Einkäufe, esse was in der Innenstadt und fahre dann zur Kuppelhalle – schließlich war ich dieses WGT noch gar nicht in meiner Lieblingslocation, und der Ambient/Experimentell/Industrial-Montag lohnt sich dort eigentlich immer. Später am Abend will ich unbedingt ins Schauspielhaus zu Die Andere Seite (die Band von Tom Schilling), doch erst mal dürfen es Soundexperimente sein.
Sabine-Montag-SardhDas Dresdner Kollektiv Sardh steht als Erstes auf dem Programm, das ich 2018 schon mal auf dem WGT gesehen habe. Damals habe ich mich ein wenig auf das sehr experimentelle, auch etwas noisige Set einlassen müssen, war dann aber sehr fasziniert davon. So geht es mir heute auch wieder, zumal im Gegensatz zu vor fünf Jahren heute extrem minimalistische Klänge in Zeitlupe dargeboten werden. Natürlich wieder alles sehr spannend mit selbst gebauten, ungewöhnlichen Instrumenten erzeugt, und es lohnt sich, den fünf Musikern bei der Klangerzeugung zuzusehen. Ich bin allerdings doch ein wenig müder, als ich gedacht habe, sodass ich nicht ganz so aufmerksam zuhören kann. Am Ende packt es mich dann aber noch wieder.
Sabine-Montag-ApoptoseDanach überlegen die zwischendurch eingetroffenen Mitbewohner*innen und ich, ob wir nach nebenan in die Kantine zu Antlers Mulm wandern sollen, doch dann ergattern wir einen Tisch samt Stühlen mit perfekter Bühnensicht, womit die Sache entschieden wäre. Außerdem sehen wir so schon den Soundcheck von Apoptose, auf die wir – vor allem nach der etwas kryptischen Ankündigung „Apoptose + Fanfarenzug Leipzig“ sehr gespannt sind. Apoptose gibt es seit dem Jahr 2000, sie spielen Dark Electronic – mal Ambient, mal Ritual, mal etwas poppiger, immer düster und atmosphärisch – und waren, wie sie nach einigen Songs erzählen, das letzte Mal vor sechzehn Jahren auf dem WGT. Damals auch mit dem Fanfarenzug Leipzig, um das zweite Album Blutopfer mitsamt der Trommeln auf die Bühne zu bringen. Heute ist also ein ganz besonderer Tag, und dementsprechend liegt auch eine feierliche Stimmung in der Luft. Schon bei den ersten zwei Konzertdritteln, als Apoptose noch allein auf der Bühne stehen (bzw. zu dritt, inklusive neuer Sängerin), vor allem dann, als der Fanfarenzug Leipzig zu den letzten Songs dazukommt (trommelnd, nicht Fanfaren blasend). Auch ohne mit dem Werk der Band vertraut zu sein, zieht mich die Musik in ihren Bann, ein wirklich spektakulärer und ganz besonderer Auftritt. Viele Fans sind in der mittlerweile vollen Kuppelhalle anwesend, für Apoptose ist es ein Heimspiel, wenn ich es richtig verstanden habe, und dementsprechend ist auch die Stimmung. Ganz, ganz toll!
Sabine-Montag-Test-DeptDanach stellt sich uns wieder die Frage: Den Tisch aufgeben und nach nebenan in die Kantine gehen, zu Zoviet France? Oder mit den noch dazugekommenen Freunden quatschen? Ich muss mich zudem auch langsam entscheiden, ob ich zurück in die Stadt ins Schauspielhaus fahre (wo eine andere Freundesgruppe bereits ist) und mir die Muss-Band Die Andere Seite anschaue – oder ob ich die zwei Tage vor Festivalbeginn angekündigte andere Muss-Band Test Dept hier in der Kuppelhalle mitnehme. Letztendlich siegen ganz profan die Müdigkeit und die Tatsache, dass unsere Ferienwohnung nur zwei S-Bahn-Stationen von der Kuppelhalle entfernt liegt, was das Heimkommen später enorm erleichtert. Ich bleibe hier, aber mit einem weinenden Auge. Test Dept lohnen sich dann immerhin tatsächlich sehr, die alten Industrialhelden aus England, die ebenfalls sehr Percussion-orientiert arbeiten, aber eher im Sinn der alten Neubauten (viel Metall auf Metall) und in den letzten Jahren viel dynamische, treibende Elektronik in ihren Sound integriert haben. Genauso dynamisch und mitreißend ist auch der Auftritt, ein würdiger Abschluss des WGT 2023.

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Yggdrasil:

Der letzte Tag
Nach einer Nacht, in der ich wohl meinen Kater vom Sonntag auskuriert habe, bin ich in der Früh erstaunlich fit. Meine Halswirbel knacken zwar noch leicht vom Vortag, aber nicht besorgniserregend, und außerdem sind wir immer noch auf einem Festival, da gibt es kein Mimimi und Schmerz. Erst einmal gemütlich frühstücken und meinen Bärenhunger besänftigen.
Tatsächlich ist der Montag der einzige Tag, an dem bei mir kein einziges Event auf dem Programm steht. Nicht dass die ein oder andere Band nicht interessant wäre, es passt halt einfach für mich persönlich nicht so. Auch der letzte Veranstaltungstag ist von der Sonne geküsst, und so mache ich mich mal wieder auf den Weg in die Innenstadt. Den Tag nutze ich, um ein wenig durch die Innenstadt zu laufen und mir Leipzig noch ein letztes Mal anzuschauen. Meine bessere Hälfte hat zum Glück eine interessante Veranstaltung auserkoren, und ich schließe mich ihr an. Stimmgewalt, eine lustig bunt zusammengesetzte A cappella Gruppe, die, wie ich finde, mehr als überzeugt und das Publikum im kleinen aber feinen Theaterhaus Schille vom ersten Ton an vollkommen in der Hand hat. Anfangs bin ich ein wenig skeptisch, da das Gebotene sich meinen sonstigen Hörgewohnheiten entzieht, aber das ist wirklich nett. Schon am Nachmittag ist mein WGT-Programm abgeschlossen, und so genieße ich noch den Tag und das schöne Wetter.

Hier geht’s zum WGT-Dienstag!

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