Graswurzelrevolution jetzt!

Es ist Frühling, und es juckt im grünen Daumen. Eh schon, und wenn man sich in den zunehmend nachverdichteten und superaufgeräumten Städten so umsieht, gleich noch mehr – man möchte ja jedem hartnäckigen Gehsteigritzengewächs für seine subversive Energie applaudieren, ebenso wie den Insekten, die es noch schaffen, zwischen sterilen Hybrid-Bepflanzungen und den ewigen Laubbläsern ihre Lücke zu finden. Dass aus- und aufgeräumte Landschaften nicht nur trist sind, sondern vor allem auch viel mit Artensterben und dem Verlust biologischer Vielfalt zu tun haben, gilt auf dem Land wie in der Stadt gleichermaßen. Aber wer hat schon einen eigenen Garten, um immerhin privat dagegenzuhalten? Und wenn vielleicht nicht mal ein Balkon vorhanden ist – muss man dann tatenlos zusehen, wie es draußen immer grau-in-grau-ordentlicher wird und, wenn überhaupt etwas, nur trauriges Einheitsbodendeckergrün die Wege säumt? Nö! Von Guerilla Gardening haben viele schon gehört, also der Praxis, in den Städten inoffiziell und (muss man ja dazusagen) illegal im öffentlichen Raum oder auch auf privaten, aber brachliegenden Flächen wie z.B. ungenutzten Baugrundstücken zu pflanzen und zu säen. Aber Gärtnern will bekanntlich gelernt sein, und heimliches Gärtnern im öffentlichen Raum hat noch ein paar zusätzliche Herausforderungen. Und selbst, wenn man sich brav auf den eigenen Balkon beschränkt – was ist da am sinnvollsten, wenn man nicht nur fürs eigene Auge gärtnert, sondern auch etwas für Biodiversität und gegen das Insektensterben tun möchte? Kann man das überhaupt auf so kleinem Raum?

Man kann, und die Berliner Journalistin Christiane Habermalz hat es nicht nur ausprobiert, sondern glücklicherweise auch aufgeschrieben, was und wie es geht – oder was auch mal nicht geht, schief- und danebengeht auf dem eigenen Weg zu mehr Wildpflanzen, und damit mehr Insekten, und damit wiederum mehr Vögeln in der Stadt. Ein handtuchgroßer Schattengartenanteil (und ein bisschen auch die der Nachbar*innen), der eigene Balkon, Fassade, Dachterrasse und Grasdach des Hauses und schließlich die ganze Stadt werden das Experimentierfeld für die florale Rebellion. Und es muss auch wirklich experimentiert und vieles erst einmal herausgefunden werden – welche Pflanzen wo wachsen mögen und wo nicht, welche Insekten wiederum welche Pflanzen brauchen, warum allzu oft nicht bienenfreundlich ist, wo „bienenfreundlich“ draufsteht, wo man sich mit Grabungsarbeiten zu Pflanzzwecken zurückhalten sollte (Spoiler: unter der Nase des Sicherheitsdienstes von Bundesbehörden zum Beispiel), wie eine unauffällig mitzuführende Guerillagießkanne aussehen kann oder ein für Insekten tatsächlich annehmbares „Insektenhotel“, und so vieles mehr. Aber Christiane Habermalz ist nicht umsonst Journalistin, sie widmet sich dem nötigen Hintergrundwissen ebenso enthusiastisch wie der gärtnerischen Praxis. Recherchen werden angestellt, Kompliz*innen steuern Wissen und selbstgesammeltes Saatgut bei, Expert*innen für ökologische Zusammenhänge werden befragt und ein (wunderbar grantliger) Wildbienenspezialist bei der Arbeit begleitet, schließlich mit dem schwäbischen Bad Saulgau auch ein Ort besucht, der zeigt, was alles möglich wäre: Dort sorgt die Stadt selbst dafür, ihre Grünflächen insektenfreundlich zu gestalten, statt wie andere die Untergrundbemühungen tapferer Wildgärtner mal zeitweilig zu dulden, mal wieder zunichte zu machen. Und natürlich wird zuhause in Berlin (heimlich) gegraben, geharkt, gepflanzt und gesät. Erfolge und Fehlschläge, Freude und Entmutigung wechseln sich ab, aber Aufhören kommt nicht in Frage – auch beim Lesen nicht. Proppenvoll mit handfestem Wissen und praktischen Hinweisen und Tipps, ist das Buch vor allem auch extrem unterhaltsam, sehr witzig – und motivierend!

Es gibt natürlich noch viele andere Arten und Initiativen, den Pflanzen (auch den wilden) in den Städten mehr Raum zu verschaffen. Ein Beispiel sind Gemeinschaftsgärten, die in München leider keinen leichten Stand haben. Ein anderes ist die charmante Idee, wildwachsende Pflanzen in Gehwegritzen zu bestimmen und ihren Namen (mit Kreide natürlich) neben ihnen auf den Asphalt zu schreiben, denn was einen Namen trägt, ist in den Augen der meisten Betrachter*innen gleich etwas anderes als bloßes „Unkraut“. In München rufen inzwischen einige Bezirksausschüsse dazu auf, mögliche Standorte für Baumpflanzungen im öffentlichen Raum zu melden, die dann ganz offiziell vonstatten gehen können – eine dringend nötige Initiative, denn in Zeiten von Klimawandel und Nachverdichtung werden die Bäume in der Stadt immer weniger, obwohl man für ein halbwegs verträgliches Stadtklima viel mehr von ihnen bräuchte. Es gibt viel zu tun und viele Arten, etwas zu tun, und zum Glück auch jede Menge gute Ideen und Inspiration. Wenn die dann auch noch so sympathisch und kurzweilig an die Leserschaft gebracht werden wie in diesem Buch, kann es nur eine doppelte Empfehlung geben: Lesen – und gerne zuhause nachmachen!

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Christiane Habermalz: Anstiftung zum gärtnerischen Ungehorsam. Bekenntnisse einer Guerillagärtnerin
Heyne Verlag, Mai 2020
Paperback
9,99 Euro

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