Musik, Sex, Drogen, Liebe, Tod

Blunck_THatten_wir_Sex_in_den_80_185304Wie lässt sich diese Buch am besten zusammenfassen? Vielleicht tatsächlich mit der Formel „Musik, Sex, Drogen, Liebe, Tod“, einem Zitat der kettenrauchenden Psychologin Dr. Schulz, wie sie es selbst zusammenfasst während einer Therapiesitzung mit dem Hauptprotagonisten Schröder. Wie ist er dort gelandet? Seine Schwester hat ihm ein Ultimatum gestellt, nachdem er nach einer wilden Partynacht völlig zerstört bei ihr aufgeschlagen ist. Entweder Therapie oder petzen bei Muttern. Klar, alles nur das nicht.
Während der Therapiesitzungen lässt Schröder die Achterbahn seines verrückten Lebens Revue passieren, die Höhepunkte und die Tiefschläge, nur gelegentlich unterbrochen durch Anmerkungen von Dr. Schulz. Zeitlich springt Schröder dabei vor und zurück, wie ihm eben die einzelnen Episoden in den Sinn kommen. Er erzählt von der Kindheit mit seinen Hippie-Eltern, seinem Leben als Rockstar mit der Band Villa Hammerschmidt, von krassen Erlebnissen in Hamburg, London oder New Orleans und natürlich von den Frauen in seinem Leben. Allen voran Sophia, der Mutter seiner Söhne, der er rettungslos verfallen ist, und für die er selbst nach der Scheidung bis über die Schmerzgrenze hinaus alles tut.
Die oben erwähnten Höhepunkte sind übrigens durchaus auch wörtlich gemeint, denn Schröder erlebt allerhand Sexorgien und Drogenexzesse. Schuld daran ist vor allem Knirpsi, sein böser innerer Zwilling, der ihn zu allem antreibt und anstiftet, und dem es nicht wild genug zugehen kann. Diese Eskapaden machen einerseits Spaß zu lesen, sind andererseits aber auch irgendwie verstörend. Schröder wird permanent beherrscht: von Knirpsi, von den Frauen, von seiner Sucht.
Über den Inhalt hinaus überrascht das Buch mit unerwarteten Gimmicks. Wie bei einer Schallplatte ist das Buch in eine A- und eine B-Seite unterteilt, mit je sechs Songs bzw. Kapiteln. Die verschiedenen Songs, die die gesamte Story über auftauchen, hat Dr. Schulz in einer Spotify-Playlist zusammengetragen, die man quasi als Soundtrack zum Buch hören kann. Zusätzlich zur Spotify-Playlist hat das Buch seinen eigenen Knirpsi, in diesem Fall einen musikalischen Zwilling. Das Album heißt ebenfalls Hatten wir nicht mal Sex in den 80ern? und beinhaltet zwölf Songs, die nach den zwölf Kapiteln benannt sind. Als letzten Gimmick kann man das Buch auch nach den Aufzeichnungen von Dr. Schulz in chronologischer Reihenfolge lesen, die Seitenzahlen sind dazu am Ende extra angegeben.

Die Person Timo Blunck mag einem zunächst nichts sagen. Mit Detlef Diederichsen gründete er die Band Ede und die Zimmermänner, und spätestens bei dem Namen Palais Schaumburg, deren Bassist er ist, sollten bei jedem Anhänger der achtziger Jahre die Glocken klingeln. Sie waren Vorband von Depeche Mode und spielten im The Hacienda in Manchester und in der Danceteria in New York. Er arbeitete mit Anton Corbijn zusammen und war später mit der Hamburger Band Grace Kairos aktiv. Zeitweise lebt er in New Orleans und gründete schließlich die Musik-Produktionsfirma Bluwi. Außerdem arbeitet er als Produzent, zuletzt für das Album Über… Menschen (2015) von Fehlfarben, die gerade in München auf Tour waren (Link zum Bericht).

Fazit: Eine Autobiographie ist eine sehr persönliche Angelegenheit, die bisweilen schmerzhaft sein und je nachdem auch mal in einem eher langweiligen Egotrip enden kann. Timo Blunck umschifft dies geschickt, denn er hat mit Hatten wir nicht mal Sex in den 80ern? einfach einen sehr unterhaltsamen Roman geschrieben, der in weiten Teilen seiner persönlichen Lebensgeschichte folgt bzw. von dieser inspiriert ist. Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion zerfließen unter dem Versuch, diese zu erfassen. Man denkt permanent, das kann unmöglich so passiert sein, und gleichzeitig, so etwas kann man sich nicht ausdenken.

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Timo Blunck: Hatten wir nicht mal Sex in den 80ern?
Heyne Hardcore, Vö. 05.03.2018
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 464 Seiten
22,00 €, als eBook 17,99 € erhältlich über Randomhouse www.randomhouse.de
Homepage: https://www.randomhouse.de/Buch/Hatten-wir-nicht-mal-Sex-in-den-80ern/Timo-Blunck/Heyne-Hardcore/e522231.rhd
www.heyne-hardcore.de

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