Welcome to the Void

AlbumArt_{76D5C0C7-E721-49F9-92AF-745A7AE5A6E1}_LargeDie Turbulenzen der letzten Jahre, die immer komplexere und deprimierendere Weltlage gehen wohl an keinem spurlos vorüber, so auch nicht am schwedisch-deutschen Klangkollektiv Covenant. Eine reine Partyband waren sie noch nie, auch wenn viele Fans sie fälschlicherweise dafür halten, zu nachdenklich, zu tiefgründig war letztendlich dann doch jede ihrer Veröffentlichungen (zum Glück). Doch es gab definitiv schon positivere Zeiten (man denke nur an die Energie von Songs wie „Tour de Force“ oder „Ritual Noise“, die extreme Lässigkeit von „The Men“) für Covenant, für uns alle. Wie dann wohl das lang erwartete neue Album The Blinding Dark ausfallen würde? Die ersten Vorabinterviews deuten tatsächlich auf große Nachdenklichkeit hin, auf Frustration, auf das Verarbeiten von Rückschlägen – aber auch auf die Schönheit, die daraus hervorgehen kann. Ich bin sehr gespannt. Das Intro „Fulwell“ führt den Hörer atmosphärisch und gleichzeitig düster in das Album hinein, wenn auch nicht so markant wie noch „Leaving Babylon“ vor drei Jahren. Die damalige Aufbruchsstimmung scheint wirklich einer großen Leere gewichen zu sein, die erst wieder gefüllt werden muss. Der Übergang zu „I close my Eyes“ fällt dann sehr abrupt aus, für mich zu plötzlich, hier hätte ich mir ein etwas geschmeidigeres Übergleiten gewünscht. Auch von der Klangfarbe unterscheiden sich die beiden Tracks massiv – hier das eher apokalyptische Rauschen und Dröhnen des Intros, da das perfekt produzierte und ausgearbeitete Stück, das viele jetzt schon für eines von Covenants besten halten. „I close my Eyes“ ist tatsächlich eine große Hymne, typisch Covenant, aber trotzdem anders. Eskils Gesang zu Joakims wie immer extrem starken Lyrics ist ungewohnt klar in den Vordergrund gemischt und klingt eindringlich wie selten, in der zweiten Hälfte des Songs sogar fast schon flehend, verzweifelt. „I seek sanctuary, take me in, keep me safe. I seek sanctuary, take my sins, keep my faith“ – das muss definitiv erstmal sacken.
„Morning Star“ ist mein erstes großes Highlight auf The Blinding Dark, mit seinem zwingenden Grundrhythmus und einer Melodie, die einen nicht mehr loslässt. Auch hier entkommt man Joakims Worten nicht: „If I was the trusting kind, I would believe you. If I’d have the faith in mankind, I wouldn’t need you.“ Soundtechnisch ist das Ganze ungeheuer vielschichtig produziert, hier muss man ganz genau hinhören, um alle Facetten wahrzunehmen. Danach ist man dem Song verfallen.
„Cold Reading“ schließt sich trotz etwas höheren Tempos musikalisch perfekt an die beiden vorangegangenen Tracks an, nimmt deren Atmosphäre auf und steigert sie zu einem düster-technoiden Monolithen, der bei mir seit Tagen quasi in Dauerschleife läuft. „Cold Reading“ ist wie schon „Dynamo Clock“ oder „Auto (Circulation)“ einer der Songs „aus der zweiten Reihe“, die nicht zu den großen Hits zählen und auf den Tanzflächen gespielt werden, bei denen Covenant aber erst zeigen, was für geniale Soundtüftler sie sind. Die Beats und Eskils ungewohnter, fast schon bedrohlicher Gesang weben ein dichtes Netz um den Hörer und erinnern von der Grundstimmung tatsächlich ein wenig an die Frühphase der Band, wenn auch völlig anders produziert. Ganz, ganz großartig!
Danach folgt mit „A Rider on a white Horse“ der fast schon notwendige Bruch, denn alles andere wäre vorhersehbar gewesen. Für viele Fans sicher erstrebenswerter, ein Album wie aus einem Guss, doch die Gefahr, sich zu wiederholen, auf Nummer Sicher zu gehen, wäre hier zu groß gewesen. Wer sich ein bisschen mit der Band beschäftigt hat, weiß, dass sie genau das scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Insofern freue ich mich sehr über diesen Track, der aus dem Lee-Hazlewood-Original eine beklemmende, sparsam instrumentierte Elektroballade macht, die Eskil im Duett mit Erica Li singt. Das Stück trägt ganz deutlich die Handschrift von Andreas Catjar, dem großen Lee-Hazlewood-Fan, der leider kaum mehr Zeit für Covenant hat im Moment – ich liebe seinen oft ganz anderen musikalischen Ansatz, die verstörenden und oft herrlich durchgeknallten Elemente, die dem Covenant-Sound sehr, sehr guttun. „I walk slow“ vom Album Leaving Babylon war auch „sein“ Song und einer von Covenants genialsten, meiner Meinung nach. „A Rider on a white Horse“ hat daher seine volle Berechtigung auf The Blinding Dark, es rüttelt auf, es unterbricht das Gewohnte, und das ist gut so. Gefallen muss es ja nicht jedem. Erica Li ist übrigens zusammen mit Andreas Catjar Teil der Minimal-Industrial-Folkband Lovac.
Nach einem kurzen Instrumentalintermezzo von Daniel Myer, das gern etwas länger hätte ausfallen können, folgt der wahre Königstrack des Albums, „Dies Irae“. Ein Song, der erst ganz harmlos und leise daherkommt, sich in die Gehörgänge schleicht und dort bleibt, einfach so. Je öfter man die „Tage des Zorns“ hört, desto tiefer gräbt sich Eskils melancholischer, fast schon ergebener Gesang ins Gehirn ein, die zurückgenommen wirkende, aber unglaublich eindringliche Melodie schleicht sich ins Herz, und irgendwann könnte man fast weinen – vor Schönheit, vor undefinierbarem Schmerz, einfach vor zu viel Gefühl. Gut, dass es danach mit der schon bekannten Single „Sound Mirrors“ wieder ein wenig dynamischer wird, auch wenn der Hintergrund des Songs alles andere als aufmunternd ist. Zum ersten Mal in ihrer Karriere haben sich Covenant damit sogar fast deutlich zu den aktuellen politischen und gesellschaftlichen Ereignissen geäußert. Die Flüchtlingskatastrophe, vor der sich Europa einfach nicht mehr verstecken kann, lässt niemanden unberührt. „Listen to the waves of broken souls, homing in on hostile shores, listen to the sounds of burning homes, crashing down on shattered ground“ beschreibt die aktuellen Ereignisse sehr gut, Covenants Kommentar dazu lautet: „We think we know, until we don’t, we think we care, until we won’t.“ Ungewohnt deutliche Worte, aber notwendige. Der auf den ersten Blick wie ein typischer Covenant-Club-Song wirkende Track hat also wie das restliche Album eine sehr viel weitere Dimension, als man es auf den ersten Blick vermuten könnte. Interessant ist hier auch der reale Hintergrund der „Sound Mirrors“, Parabolantennen-artige Betonkonstruktionen an der Südküste Englands, die als militärisches Frühwarnsystem fungierten.
Nach einem weiteren kurzen Intermezzo, diesmal von Daniel Jonasson, folgt der für meine Begriffe fast schon düsterste Track des Albums – nicht musikalisch, aber textlich. Trotz Ohrwurmmelodie und beinahe fröhlichem Anklang muss ich hier immer wieder schlucken, wenn ich Eskils Worte höre. „If I showed you myself, would you just leave me“ – diese Angst kennen sicher viele, und auch sonst spricht viel Qual und Unsicherheit aus diesem Song. Gut, dass danach mit „Summon your Spirit“ wieder ein Instrumentaltrack folgt, der mit minimalistischem Schlagzeug und dezenter Soundapokalypse den perfekten Übergang zum Intro „Fulwell“ bildet.

Und wie ist The Blinding Dark jetzt so? Stark, sehr stark, aber bei weitem nicht perfekt. Viele beschweren sich, es sei zu kurz, und es wären zu wenige „richtige“ Songs darauf vertreten. Das finde ich allerdings gar nicht; wenn man sich die früheren Alben ansieht, gab es zwar weniger Instrumentalstücke, aber die generelle Verteilung von Hits, Songs, die man sich erst erarbeiten musste, und Lückenfüllern war da ganz ähnlich. Ungewöhnlich und für viele sicher enttäuschend ist allerdings, dass es diesmal wirklich an den sicheren Tanzflächenkrachern mangelt. Aber ganz ehrlich – in den meisten Discos werden doch sowieso nur die zwei, drei großen Songs gespielt, die schon diverse Jahre auf dem Buckel haben, da geht man immer auf Nummer Sicher. The Blinding Dark muss man in seiner Gesamtheit und mehrmals hintereinander hören, man muss sich auf die Songstrukturen und vor allem die Texte einlassen, man muss Interviews mit der Band lesen (z.B. hier für alle, die Schwedisch können, oder auch hier oder hier), und nach und nach erschließt sich einem die Klasse dieses Albums. Nicht ganz gelungen ist meiner Meinung nach die Länge der jeweiligen Instrumentalparts – die Interludes der beiden Daniels hätten etwas länger und ausgearbeiteter ausfallen können, dafür „Summon your Spirit“ ein wenig kürzer, dann wäre für mich alles noch runder geworden. Ein reifes, introvertiertes, sehr persönliches Album ist The Blinding Dark geworden, ein Album, das die Band für sich gemacht hat, nicht für die Fans, genauso wie alle Alben vorher auch. Für mich als langjährigen beinharten Fan hat sich gar nicht so viel verändert, die schon immer präsente Nachdenklichkeit und Tiefgründigkeit ist hier nur destillierter und damit erkennbarer.

Nicht in die Wertung fließt die Bonus-CD ein, die Psychonaut-EP, die wie schon die zweite CD bei Leaving Babylon etwas für absolute Fans und Soundtüftler ist. Aufgenommen wurden die sechs Tracks 2015 bei einer zweitägigen Session in einer schwedischen Waldhütte, nur mit Analogsynths, ohne Computer. Ich bin begeistert von dem Ergebnis und finde, dass man die EP zwingend hören muss, wenn man tiefer in den Covenant-Kosmos einsteigen will, aber nicht unbedingt zusammen mit dem Album.
Ein weiterer kleiner Kritikpunkt ist, dass – wie allerdings so oft bei Covenant – eines ihrer stärksten Stücke nur auf der Single-Auskopplung zu hören ist. Wer die „Sound Mirrors“-Single-CD noch nicht hat, sollte sie sich schnellstens besorgen, denn mit „In Theory“ hat das Klangkunstkollektiv da einen ihrer tollsten Tracks veröffentlicht.
Im Interview mit dem schwedischen Zero Magazine hat Joakim erzählt, dass das neue Album sowohl alte, jetzt fertigproduzierte Tracks, als auch neues Material enthält, und ein bisschen hört man das auch. Mich stört es nicht, so wird ein wenig die Brücke zur Frühphase der Band geschlagen, der viele Fans noch nachtrauern, die aber zumindest live immer noch aktiv mit eingebunden wird.

Noch ein Wort zu den verschiedenen Ausgaben von The Blinding Dark: Meiner Meinung nach lohnt es sich absolut, ein bisschen Geld zu investieren und mindestens die 2-CD-Buch-Version zu kaufen. Zum einen hat man dann die Psychonaut-EP dabei, zum anderen ein wirklich hochwertiges Buch mit Fotos, Songtexten und anderen Texten aus der Weltliteratur, die den jeweiligen Songs zugeordnet sind. Wer ein bisschen mehr Geld ausgeben kann und mag, sollte sich die auf 500 Exemplare limitierte Deluxe-Box gönnen, die neben der 2-CD-Buch-Version noch drei LPs enthält, einige Fotokarten und ein Zertifikat. Das alles gibt es in einer wunderschönen und sehr wertigen Schachtel, auf der man das verzaubernde Cover von The Blinding Dark erst richtig genießen kann.

Und wer es bisher nicht zu einem Konzert der momentan laufenden, absolut großartigen Tour geschafft hat, kann hier noch mal nachlesen, wie es in München war!

Anspieltipps: Morning Star, Cold Reading, Rider on a white Horse, Dies Irae

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Covenant – The Blinding Dark
Dependent, 04.11.16
Länge: ca. 46 Minuten
Kaufen: 13,95 € CD einfach, 34,95 € 2-CD-Buch-Ausgabe, 64,95 € Deluxe-Box (alles Poponaut)

Tracklist:
1. Fulwell
2. I close my Eyes
3. Morning Star
4. Cold Reading
5. A Rider on a white Horse
6. Interlude
7. Dies Irae
8. Sound Mirrors
9. If I give you my Soul
10. Summon your Spirit

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