F.uck E.veryone A.nd R.un

Marillion FEAROh mein Gott, sie benutzen das F-Wort! Was mich persönlich weder großartig stört noch beeindruckt, ist trotzdem ein deutliches Zeichen, dass Marillion mit diesem Album aufrütteln wollen. Es geht um Angst, Geldgier, Krieg, das politische System, Banker und russische Oligarchen, die eine zukünftige neue Weltordnung bestimmen könnten: „We are the new kings, we do what we please while you do what you’re told“. Auch persönliche Themen wie Beziehungen und Familie werden in den Texten des Sängers Steve Hogarth angesprochen: „You say I’m becoming harder to live with – but you can’t see inside my head“.

Ein bisschen irritierend ist es, dass das Rezensionsexemplar eines Albums mit diesem Inhalt (gegen Geldgier) als etwas lieblose Promo-CD in einer Plastiktasche daherkommt – ohne jegliches Beiwerk wie Texte etc., dafür aber mit der deutlichen Warnung, dass alle Tracks mit einem personalisierten digitalen Wasserzeichen versehen sind und keinesfalls kopiert oder weitergegeben werden dürfen. Schade, vor allem da sich die Goldbarren-Aufmachung der im Handel erhältlichen CD (in verschiedenen Editionen) durchaus sehen lassen kann. Aber hören wir mal rein.

Dafür braucht man Ruhe und Zeit. Das Album ist zwar in viele Tracks unterteilt, besteht aber eigentlich aus drei langen und zwei kürzeren Songs.
Es geht sanft los, mit Vogelgezwitscher, wunderschönen Akustikgitarrenklängen und der Sehnsucht nach den englischen Sommernächten aus Hogarths Kindheit. Es geht weiter mit typischem Marillion-Sound, schon beim ersten Hören eingängig und ein bisschen zu vorhersehbar, auch wenn, wie im Progressive Rock üblich, auf eine „Strophe Refrain Strophe“-Struktur verzichtet wird. Das in „El Dorado“ immer wiederkehrende Thema Gold lässt spontan an den Film Der Hobbit – Die Schlacht der Fünf Heere denken, in dem der Zwergenkönig Thorin Eichenschild sich von Gold besessenen Halluzinationen hingibt.

Insgesamt erinnert das Album an manchen Stellen an Pink Floyd. Die Melodien sind eingängig, und man erwischt sich dabei, wie sie einem noch tagelang im Kopf herumspuken. Man hört das Album immer wieder, die Texte prägen sich ein (es lohnt sich, sie mal durchzulesen!) und regen zum Nachdenken an. Worauf steuert unsere Welt zu? Wollen wir es einfach akzeptieren, dass irgendwann alles von den Reichen und Mächtigen bestimmt wird, dass die Demokratie und Menschlichkeit der wirtschaftlichen Gier zum Opfer fällt, während Politiker und Medien uns mit Scheindiskussionen über Nebensächlichkeiten ablenken? Und wird es zur allgemein akzeptierten Praxis, alle abzuzocken und dann fallenzulassen? Fuck everyone and run!

Man würde sich wünschen, dass ein Album mit diesen Inhalten auch musikalisch ein kleines bisschen weniger rund und gefällig daherkommt, Mut zu mehr Ecken und Kanten zeigt. Aber vielleicht ist dieser Gegensatz ja gewollt – dafür spräche, dass genau die Textstelle „fuck everyone and run“ in einem sehr sanften Falsetto gesungen, geradezu gesäuselt wird.

Alles in Allem ist F.E.A.R. ein Album, dessen Feinheiten ich noch lange nicht alle entdeckt habe, das man definitiv mehrfach anhören muss und das mich bestimmt noch eine ganze Weile begleiten wird.

Marillion: F.E.A.R.
earMusic, VÖ: 23.09.2016
Gesamtspielzeit: 68:00 Min.
ab 9,99€
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Tracklist:
01 El Dorado (I) Long – Shadowed Sun
02 El Dorado (II) The Gold
03 El Dorado (III) Demolished lives
04 El Dorado (IV) F E A R
05 El Dorado (V) The Grandchildren of Apes
06 Living in F E A R
07 The Leavers (I) Wake up in Music
08 The Leavers (II) The Remainers
09 The Leavers (III) Vapour Trails in the Sky
10 The Leavers (IV) The Jumble of Days
11 The Leavers (V) One tonight
12 White Paper
13 The new Kings (I) Fuck everyone and run
14 The new Kings (II) Russia’s locked Doors
15 The new Kings (III) A scary Sky
16 The new Kings (IV) Why is nothing ever true
17 The Leavers (VI) Tomorrow’s new Country

Interview mit Steve Hogarth:

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