Musik ist Therapie
Es ist immer noch Free & Easy, und die hochkarätigen Metalabende nehmen kein Ende. Heute hat man wieder mal die Qual der Wahl, wo man sich die Rübe abschrauben lassen möchte: In der Halle bei Unearth, Misery Index und Commander oder im Werk bei Kataklysm, Fleshgod Apocalypse und Dyscarnate? Das Programm in der Halle gibt es für Umme, das Konzert im Werk kostet trotz Free & Easy Eintritt (eins der wenigen des diesjährigen Programms). Nicht nur musikalisch ist die Überschneidung schade, auch aus finanziellen Gründen werden sicher einige Besucher*innen auf die Halle ausweichen. Ich habe mich jedoch fürs Werk und das dortige vielseitige Extrem-Metal-Programm entschieden. Kataklysm habe ich das letzte Mal vor vielen Jahren gesehen, und die anderen beiden Bands noch nie – ich bin gespannt!
Die Spannung kann ich dann sogar noch ein bisschen länger auskosten, denn Dyscarnate müssen spontan absagen, weswegen die erste Stunde erst mal rumsitzen und mit einer lieben Bekannten quatschen angesagt ist. Wir hätten natürlich auch in die Halle rübergehen können, aber ein lauer Sommerabend an der frischen Luft hat auch was. Zu Fleshgod Apocalypse sind wir dann aber pünktlich am Start, mit uns allerdings nicht so viele Leute, wie zumindest ich es erwartet gehabt hätte. Einigermaßen gefüllt ist das Werk dann aber doch, und die italienischen Death-Symphonic-Metaller*innen legen – wunderschön gothisch gewandet und weiß geschminkt – mit viel Spielfreude und hoher Präzision los. Leider ist der Sound wie aus einer gothischen Gruft, außer Schlagzeug kommt quasi nur Matsch an, was natürlich insgesamt furchtbar schade ist, aber vor allem auch wegen der Opernstimme von Co-Sängerin Veronica Bordacchini, die an den meisten Plätzen im Werk einfach gar nicht zu hören ist. Die Songs sind also weder zu erkennen noch voneinander zu unterscheiden, Ansagen sind auch rar – die erste Konzerthälfte verläuft etwas unbefriedigend, aber immerhin ist die Band wunderschön anzuschauen. Und die klassischen Parts tönen klar und deutlich aus den Lautsprechern, das ist doch auch was. Das Publikum ist auch noch ein wenig zurückhaltend und ratlos, findet mit der Zeit aber ins Konzert und spendet ordentlich Beifall. Als der Sound besser wird, wird auch die Band etwas lockerer, Veronica kommt oft vor an die Bühne und feuert das Publikum an oder bangt engagiert mit (nachdem sie ihren Kopfschmuck abgenommen hat). Besondere Pluspunkte gibt es für Sänger Francesco Paoli, als dieser an den plötzlich und viel zu jung verstorbenen Trevor Strnad erinnert, Frontmann von The Black Dahlia Murder (die ja ursprünglich auch auf dieser Tour hätten spielen sollen). Die beiden Bands waren öfter gemeinsam auf Tour, Trevor war ein guter Freund und großartiger Kerl, und Francesco gibt uns noch ein von Herzen kommendes „Celebrate life!“ mit auf den Weg in den nächsten Song. „The fool“ mit dem markanten Cembalo-Intro widmet er Trevor, und jetzt geht auch das Publikum richtig steil. Während des restlichen Auftritts herrscht ordentlich Bewegung im Pit, und sogar eine Wall of Death klappt ganz gut. Nach einer Stunde – der Sound hatte sich dann irgendwann noch mal ein Stück gebessert – geht die Band erleichtert und glücklich von der Bühne. Der ganz große Abriss, der es hätte werden können, war das heute nicht, aber alles in allem ein solider Auftritt, der besseren Klang und ein paar mehr Leute verdient gehabt hätte.
Während der Umbaupause füllt sich das Werk dann doch noch ein wenig mehr, und bei den aktuellen Temperaturen ist eine Füllung auf Anschlag eigentlich auch gar nicht so erstrebenswert. So bekommt man noch Luft, und Platz zum Haareschwingen und Herumspringen ist auch noch. Der ist bei Kataklysm und ihrem „Northern Hyperblast“ auch nötig, denn der gleichzeitig supertechnische, aber auch melodisch-warme Death Metal der Kanadier geht sofort in Nacken und Füße. Im ersten Konzertdrittel konzentriert man sich erst mal auf (relativ) aktuelles Material, und Maurizio erzählt, dass er das letzte Album Unconquered gegen den Rat vieler Leute während der Pandemie (im Herbst 2020) veröffentlicht hat. Doch „Musik ist Therapie“, und da stimmt ihm heute jede*r im Raum zu. Schlag auf Schlag geht es, wirkliche Verschnaufpausen gibt es nicht, die Crowdsurfer lassen sich nach vorn tragen, und der Sound passt auch einigermaßen. „Focused to destroy you“ widmet Maurizio der Freiheit (zu dem Thema erzählt er zwischendrin mal einiges), die Meute möchte aber lieber Metal auf die Ohren. Den bekommt sie auch, bis bei „Crippled and broken“ die Stimmung noch mal besser wird – ganz klar ein Fanfavorit. Danach steuern Kataklysm aber auch schon zielstrebig aufs Konzertende zu, Maurizio freut sich auf ein (oder mehrere) Aftershowbier und wahrscheinlich auch auf den Biergarten, von dem er ein paar Songs zuvor schon geschwärmt hat. Mit „Taking the world by storm“ und „Elevate“ ist der Abend dann auch schon rum, ein bisschen arg kurz und knackig, aber dafür auch mit ordentlich Dampf. Nachschlag gibt es 2023, wenn Kataklysm mit Soilwork auf Tour gehen werden.
Kein legendärer Abend, so alles in allem, dafür spielten mit zwei Bands dann doch recht wenige, und gerade der Matschsound bei Fleshgod Apocalypse hat nicht nur bei mir ein wenig den Enthusiasmus gedämpft. Auch dass Kataklysm überpünktlich wieder ausgestempelt haben, ist ein bisschen schade, für ein paar Songs mehr hätte die Kraft bei uns allen schon noch gereicht, trotz großer Wärme. Die Leistung der Bands soll das aber nicht schmälern, Fleshgod Apocalypse haben sich tapfer durch den Soundbrei gekämpft und ließen erahnen, wie faszinierend die Mischung aus Klassik und technischem Death Metal sein kann, und Kataklysm machen immer Spaß. Therapie war der Abend allemal, und das ist nicht zu unterschätzen.
Setlist Kataklysm:
Outsider
Thy serpents tongue
Underneath the scars
At the edge of the world
Push the venom
Focused to destroy you
Like angels weeping (The dark)
Narcissist
The black sheep
The killshot
Crippled & broken
As I slither
Taking the world by storm
Elevate
(2632)