If it ain’t heavy, it ain’t shit

Zweieinhalb Wochen Free & Easy im Backstage, zweieinhalb Wochen freier Eintritt zu Konzerten, Partys und Lesungen. Wie jedes Jahr ein großes Fest, das am heutigen vierten August endet, natürlich noch einmal mit hochkarätigem Programm. Ich freue mich auf den Stoner/Vintage/Heavy-Rock-Abend in der Halle, und da vor allem auf Scott „Wino“ Weinrich und The Obsessed, die ich endlich mal live sehen werde, doch auch die drei Bands davor interessieren mich sehr. Beste Voraussetzungen also für einen schweißtreibenden und spannenden Abend.
DSC_6121Den Anfang machen die Lokalmatadoren Grand Massive, die bereits seit 2008 ihr Unwesen treiben und dem – der Abend ist noch jung – eher noch spärlichen Publikum vom ersten Song an mächtig einheizen. Zwar stehen die Reihen noch locker, Fans sind aber durchaus da und feuern die Band um Sänger Alexander Andronikos energisch an. Im Gepäck haben sie das gerade mal ein paar Wochen alte Album Houses of the unholy, von dem es mit „Those from the shadows“ den Eröffnungstrack zu hören gibt. Ansonsten riffen, stonern und rocken sich Grand Massive quer durch ihre Diskografie und verweilen auch bei den Vorgängeralben IV („Black empress“, „Revolution waltz“, „Ashes of my revenge“) und III („Deliver me“, „Taurus“). Die Halle füllt sich allmählich, und es wird schon fleißig mit den Köpfen genickt. Die Frage, ob man „Bock auf zwei Partykracher“ zum Abschluss habe, erübrigt sich demnach, und „Blind silencer“ und „Embracing the eyesore“ machen noch mal richtig Spaß. Nach vierzig Minuten verlassen Grand Massive unter verdientem Jubel die Bühne und hinterlassen ein sehr gut aufgewärmtes Publikum.

DSC_6232Wie sinnvoll das Aufwärmen war, wird schon nach wenigen Riffs der nachfolgenden El Perro klar, denn was hier für ein räudiges Psychedelic-Funk-Groove-Seventies-Gewitter über uns hereinbricht, ist ganz schwer in Worte zu fassen. Das muss man selbst erleben. El Perro selbst gibt es noch gar nicht so lange, das Debütalbum Hair of stammt aus dem Jahr 2022, Bandkopf/Sänger/Gitarrist Parker Griggs ist allerdings ein alter Hase in der Psychedelic-Rock-Szene und sonst mit Radio Moscow unterwegs. Für diese Tour hat er durch die Bank Wahnsinnsmusiker um sich geschart, an der zweiten Gitarre zum Beispiel niemand Geringeren als Dorian Sorriaux, früher bei den Blues Pills, mit dem er sich fantastische Duelle liefert. Parallel dazu wirbelt Percussionist Bap Gautier-Lorenzo hinter seinen Trommeln herum, und wenn er die nicht gerade bedient, hat er Rasseln, Schellenringe oder Kalebassen in den Händen. Zusammengehalten wird der wilde, psychedelische Ritt durchs erste Album (z. B. „The mould“, „Breaking free“ oder „Take me away“) sowie diverse neue Songs (z. B. „Bielefeld song“/„Bielefeld Instrumental“) vom tiefenentspannten Juaco Escudero am Bass und Drummer Geezus, der Haare und Drumsticks wirbeln lässt. Um mich herum tanzt alles zu den langen, weitgehend instrumentalen Songs, während sich die Band – auch optisch wie aus den Siebzigern – immer mehr in Trance spielt. Nach einer Dreiviertelstunde ist dieser rundum sensationelle Auftritt leider schon vorbei, und die Band sei allen, die auf Psychedelic-Rock mit viel Fuzz und Funk stehen, wärmstens ans Herz gelegt.

DSC_6317Stilecht wie aus den späten Sechzigern und Siebzigern geht es danach weiter, die Schwed*innen von Siena Root stehen auf dem Programm. Seit Ende der Neunziger gibt es die Truppe um Bassist Sam Riffer und Drummer Love Forsberg schon, die häufigen Besetzungswechsel sind fast schon legendär. Seit einigen Jahren sind jetzt jedenfalls Sängerin Zubaida Solid und Gitarrist Johan Borgström mit an Bord, und wie gut die vier miteinander harmonieren, wird ab dem ersten Song „Ridin‘ slow“ klar. Sofort fühlt man sich mit dem warmen Vintage Heavy Blues Rock in die musikalischen Siebziger zurückversetzt. Die Band spielt sich einigermaßen quer durch ihre Diskografie, mischt ältere Songs („Wishing for more“) mit neueren („No filters“) und Material vom aktuellen Album Revelation („Keeper of the flame“). Beim wunderschönen „Dusty roads“ wechselt Zubaida, die bisher barfuß tanzend und mit schwingenden Haaren der Blickfang auf der Bühne war, seitlich an die Orgel und singt auch die nächsten Songs von dort mit ihrer bluesig-tiefen Stimme, die perfekt zum Sound von Siena Root passt. Sam und Johan bekommen damit mehr Raum und nutzen diesen auch. Mit „Root rock pioneers“ endet diese rundum schöne Zeitreise der Pioniere der schwedischen Vintage-Rock-Bewegung.

DSC_6601Mittlerweile ist die Backstage Halle richtig voll geworden, und in den ersten Reihen wird es merklich enger. Den Umbau – den Wino und seine Bandkollegen selbst erledigen – verfolgen alle schon aufgeregt, Erwartung und Vorfreude auf den charismatischen Doom-Heavy-Rocker liegen in der Luft. Über Winos Bedeutung für die Metalszene könnte man jetzt seitenweise Abhandlungen schreiben, hier sei nur so viel gesagt: Wer ihn noch nie live gesehen, sollte das schnellstens nachholen. Saint Vitus, Spirit Caravan, The Hidden Hand, Kollaborationen mit Conny Ochs, Dave Grohl und unzähligen anderen wichtigen Musikern sprechen eine überdeutliche Sprache. Nicht umsonst gibt es mittlerweile auch eine eigene Dokumentation über ihn (Wino: The Documentary), gedreht und produziert über mehrere Jahre hinweg von Sharlee Patches, Winos Frau. Der Mann hat viel zu erzählen, heute Abend wird er das in musikalischer Form mit seiner allerersten Band The Obsessed tun, die er bereits Ende der Siebziger gegründet hat. Nachdem sie immer mal wieder auf Eis lag, ist sie seit 2016 dauerhaft aktiv und hat mit Sacred (2017) und Gilded sorrow (2024) auch zwei neue Alben veröffentlicht, ganz nach Winos Motto: „If it ain’t heavy, it ain’t shit.“
Und heavy ist das, was er, Brian Constantino an den Drums, Chris Angleberger am Bass und Jason Taylor an der anderen Gitarre da auf der Bühne abliefern. Heavy, rotzig, rockig, schmutzig, punkig, laut und in your face, wie es sich gehört. Songs gibt es von allen fünf Alben zu hören, ganz alten Stoff wie zum Beispiel „The way she fly“ vom Debüt The Obsessed aus dem Jahr 1990 oder „Brother blue steel“ von Lunar womb aus dem Jahr 1991. Gleich vier Songs gibt es von The church within von 1994 (u. a. „Blind lightning“ mit schönen Black-Sabbath-Vibes). Das neue Material wie „Gilded sorrow“ oder auch „Punk crusher“ von Gilded sorrow bzw. Sacred passt hervorragend zu den alten Sachen, ist vielleicht sogar noch heavier. Wino und Jason spielen immer wieder einander gegenüber, während Chris und Brian den Sound felsenfest zusammenhalten. Das aktuelle Line-up besteht in dieser Form erst seit 2022, klingt jedoch, als würden die vier schon viel länger zusammen spielen. Das Publikum reagiert entsprechend euphorisch und genießt die Show, die neben aller rockenden Ernsthaftigkeit auch witzige Momente hat. Zum Beispiel, als Wino kurz vor Schluss unter allgemeinem Gelächter und selbst grinsend die vergessene Setlist aus der Westeninnentasche zieht und die zwei grob zusammengeklebten und handschriftlich bekritzelten Blätter auseinanderfaltet und hochhält. Mit dem Spirit-Caravan-Cover „Lost sun dance“ endet der Auftritt, und wieder mal war es fantastisch, Wino auf der Bühne zu sehen, in welcher Bandkonstellation auch immer.

Dieser Abend bleibt in Erinnerung. Nicht nur durch den Zwischenrufer, der immer wieder lautstark und vielleicht auch ein klein wenig alkoholisiert „Supa Musi!“ verkündete – wobei er natürlich völlig recht hatte -, sondern auch durch vier durch die Bank hochklassige Bands, die das Publikum auf ganz verschiedene Zeitreisen mitgenommen haben, die aber alle auf ihre Art heavy waren. Und wie wir wissen: „If it ain’t heavy, it ain’t shit.“ Danke, The Obsessed, Siena Root, El Perro und Grand Massive! Und danke ans Backstage für ein weiteres legendäres Free & Easy!

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch:

Setlist The Obsessed

Hiding mask
Sodden jackal
Sacred
To protect and to serve
Brother blue steel
Blind lightning
Streetside
Punk crusher
Gilded sorrow
The way she fly
Skybone
Stoned back to the bomb age
WUI (?, unleserlich)
Lost sun dance (Spirit-Caravan-Cover)

(1213)

0 Kommentare

Hinterlasse ein Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert