Was zur Hölle …
Aber erstmal zum Anfang. Aisumasen haben sich 2009 im schwedischen Göteborg gegründet. Die Band besteht aus Sänger Jani Hauhia, Bassist Mats Granehag, Dale Whitaker an den Drums, Ian Arcatling, der die Gitarre und auch Bass spielt und dem zweiten Gitarrist Nick Holmquist, der auch zusätzliche Stimmparts übernimmt. „Aisumasen (I’m sorry)“ ist der Titel eines John–Lennon-Songs aus dem Jahre 1973, und ich denke nicht, dass dieser Bezug zufällig ist. John hat dieses Wort gewissermaßen kreiert, da es im Japanischen nur ein sehr ähnliches Wort mit dieser Bedeutung gibt. Aber weiter weg könnten Aisumasen mt ihrer Musik kaum sein, die sie nach der EP The greater good nun mit ihrem Debütalbum Tunguska bei Social Blasphemy Records veröffentlicht haben. Tunguska verweist auf ein nicht endgültig geklärtes Ereignis von 1908 in Sibirien, bei dem es zu mehreren Explosionen kam.
Den ersten Track „A ray of darkness“ kann ich nur als „Intro“ bezeichnen, im Vergleich mit allem, was noch kommt. Tiefe, schwere Riffs ziehen sich durch den Song, nur kurz unterbrochen von Growl-Gesang, bis schließlich Streicherarrangements übernehmen und ins ebenfalls ruhig startende „Auspice“ überleiten. Doch plötzlich reißt eine fette Funeral-Doom-Breitseite unvorsichtige Hörer in den Abgrund, und Jani Hauhia offenbart Verzweiflung in der Stimme. Die Melodie vom Beginn wird schließlich zaghaft wieder aufgenommen über tiefe, langgezogene Saiteninstrumente hinweg. Diese bestimmen auch zunächst „The diamond is there“, bis Jani nach einem Break zur Klarstimme wechselt, was schon fast friedlich wirkt. Doch der stellenweise eingesetzte mehrstimmige Chorgesang ist hier das I-Tüpfelchen, das die bombastische Stimmung unterstreicht. In „Ocean desert“ wird eine Stimmung wie unter Wasser erzeugt, die ein längeres Sprachsample untermalt, bevor die Riffmaschine anspringt und der Growl-Gesang einsetzt. Tonnenschwer zieht der Track seine Bahn.
„At from in“ startet wiederum mit einem Sprachsample, bis die Instrumente einsetzen und Jani überraschend mit klarer Stimme singt. Es geht nur sehr langsam voran, und trotz aller langgezogenen Riffs ist die Stimmung für Doom irgendwie zu fröhlich. Erst recht, als im letzten Drittel so etwas Ähnliches wie Fanfaren eingesetzt werden. Das ist sehr gediegen, aber eben auch spannend und abwechslungsreich. Im Anschluss wiegt einen „Belong to winter“ zunächst Glockenspiel-ähnlich in Sicherheit, bevor man in einen Abgrund gezogen wird. Das Funeral-Doom-Ambiente wird aber gebrochen, indem sich Growl- und Klarstimme abwechseln. Etwas ruhiger klingt der Track aus. Zu einer sanft gezupften Gitarre beginnt bei „Staring into the sun“ das nächste Sprachsample, bevor sich der Song in Richtung Death Metal aufmacht, allerdings in Slow Motion. Das klingt vielleicht ungewöhnlich, wirkt aber faszinierend auf mich. Auch hier kommt es schließlich zu einem Stimmungswechsel, bei dessen spacigen Klängen ein wenig die Siebziger mitschwingen. Aber mit „One day poff gone“ wird es direkt wieder böse, und der Gesang wirkt wie eine Besschwörung. Schließlich heißt es im Text nacheinander „Let them hurt/hate/fuck/break you, you’ll be fine.“, und als wäre das nicht schon verstörend genug, erinnert mich der Gesang dabei an die Art und Weise, wie eine Mutter ihrem Kind ein Schlaflied vorsingt. Dazu passt die anschließend ausklingende Soundcollage, die aus Alpträumen entstammen zu scheint.
Fazit: Was zur Hölle machen Aisumasen da eigentlich? Ich muss zugeben, dass ich mit der Beantwortung dieser Frage etwas überfordert bin, das passt ja auch irgendwie zum ungeklärten Tunguska-Ereignis von 1908. Ich muss aber auch gestehen, dass ich Tunguska ziemlich faszinierend finde. Die Songs liegen quasi alle (vom „Intro“ mal abgesehen) jenseits der Sieben-Minuten-Grenze, sind aber keinesfalls langweilig. Im Gegenteil, sie warten mit so mancher Überraschung auf. Sludge, Funeral Doom, Death Metal, Post Metal und eine gehörige Portion Experimentierfreude sind die Zutaten des Albums, und darauf muss man sich erst einmal einlassen. Aber es lohnt sich, und so ganz nebenbei ist es ein toller Soundtrack für die kommenden trüben Tage. Für Fans von Grief, Elend, Ahab, Amenra, Neurosis, um noch einen Anhaltspunkt zu geben.
Anspieltipps: Tracks 01 bis 08. In der Reihenfolge. Das ist ein Trip, den man nicht unterbrechen sollte.
Aisumasen: Tunguska
Social Blasphemy Records, Vö. 01.09.2020
MP3 8,00 $ erhältlich über Bandcamp
Homepage: https://www.facebook.com/aisumasenmusic/
https://www.facebook.com/socialblasphemyrecords/
http://socialblasphemy.eu3.biz/
Tracklist:
01 A ray of darkness
02 Auspice
03 The diamond is there
04 Ocean desert
05 At from in
06 Belong to winter
07 Staring into the sun
08 One day poff gone
(1871)