Frohe, laute Ostern
„Gibt es etwas Schöneres, als am Ostersonntag für den Herrgott zu spielen?“, fragte vor Jahren Triptykon-Sänger Tom G. Warrior, und bis heute hallt dieser Satz nach – gerade an einem weiteren Ostersonntag, an dem Triptykon „für den Herrgott“ spielen. Aber der Reihe nach: als wir um 14 Uhr am Einlass stehen, sind zwar schon etliche Festivalbesucher wieder da, aber das Backstage-Gelände ist bei Weitem noch nicht so voll wie am Karsamstag, und dem ein oder anderen merkt man die durchzechte Nacht durchaus an. Aber die Sonne scheint, die Vöglein zwitschern, und die Konterhalbe ist schön kalt – was will man mehr?
Musik vielleicht, und die wird im Club von Convictive geliefert und kommt in Form von melodischem Black Metal mit zartem Frauengesang daher. Okay, „zart“ sind da bestenfalls die Ansagen der gut gelaunten Sängerin Jay, die sich durch eine Auswahl der Stücke auf ihrem Debütalbum Schemen kreischt und grunzt: „Taufe“, „Asche“ und „Seelenlos“; dazu gab es noch „Gewahrwerden“ und „Öffnung“ von der gleichnamigen EP aus dem Jahr 2016, mehr war in dieser halben Stunde nicht unterzubringen. Musikalisch sind ein paar leichte DSBM-Einschläge herauszuhören, die den düsteren Sound des Fünfspänners aus Duisburg angenehm abwechslungsreich machen. Gleich zum Einstieg so ein wunderbares Aufwärmtraining für die noch von gestern verkrampften Nackenmuskeln – jetzt kann der Tag kommen! Vielen Dank, Convictive, ihr habt euch ganz schnell auf unseren Radar gespielt! Wir hoffen auf ein baldiges Wiedersehen, dann hoffentlich mit etwas mehr Spielzeit!
Danach stehen Karg aus Österreich in der Halle an, das Nebenprojekt von Harakiri-for-the-Sky-Sänger J.J. aka V. Wahntraum, der live von einigen seiner Bandkollegen unterstützt wird. Nicht nur die personelle Verwandtschaft zum „großen Bruder“ fällt gleich ins Auge, auch musikalisch ist man vom melodischen und emotionalen Post Black Metal nicht weit weg. Allerdings merkt man, dass hier noch persönlicher an die Sache herangegangen wird; wilde Ausbrüche wechseln sich mit wirklich hinreißend schönen akustischen (Gitarren-)Parts ab, die in unseren Ohren genau die Art naturverbundener Atmosphäre und Introvertiertheit erschaffen, hinter der viele andere Bands mühsam hinterherklampfen. Nicht nur wir lassen uns von Karg mitreißen, die restliche Halle voll von engagierten und tatsächlich auch wachen Festivalgängern reagiert genauso begeistert oder zumindest sehr, sehr wohlwollend. Heiße Anspieltipps zur Nachbereitung: die beiden letzten Alben Weltenasche und Dornenvögel!
Dann ist es allerdings vorbei mit dem langsamen Einstimmen und sorgsamen Aufwärmen, denn Helheim stehen als erstes Highlight des Tages im Werk auf der Bühne. Die Norweger haben ihren melodischen, norrönen Black Metal mit authentischem Hintergrund mittlerweile perfektioniert und demonstrieren das auf ihrem brandaktuellen Album Rignir, von dem wir etwas später den Titelsong zu hören bekommen – mehr allerdings auch nicht, denn Helheim konzentrieren sich in der Dreiviertelstunde, die sie haben, auf etwas ältere Stücke. Vielleicht wollten sich die Herren V’gandr (Bass, Vocals), H’grimnir (Gitarre und Vocals), Hrymr (Drums) und Reichborn (Leadgitarre) damit wieder ins Gedächtnis ihrer Fans aus dem Süden rufen, denn immerhin ist es etliche Jahre her, dass Helheim uns zuletzt beehrt hat. Dem frenetischen Jubel der schlagartig erwachten Festival-Meute nach zu urteilen, hätte es das allerdings nicht gebraucht: vom ersten Stück („landawarijaR“) an fliegen die Haare, dass es eine wahre Freude ist, und die Stimmung ist gigantisch gut. „raunijaR“, der Titeltrack des gleichnamigen Albums aus dem Jahr 2015, wird ebenso frenetisch abgefeiert wie „Ymr“ von der landawarijaR, aber bei „Dualitet og ulver“ (von der Heiðindómr ok mótgangr, 2011) rastet die Menge förmlich aus, und wer bis dahin noch geschlafen hat, ist spätestens hier hellwach. Auf das bereits erwähnte „Rignir“ folgt dann noch das sehnsüchtig erwartete und unglaublich mächtige „Baklengs mot intet“ als Rausschmeißer, und dann ist der Spaß viel zu schnell auch schon wieder vorbei. Helheim haben Fanservice galore abgeliefert, und wir hoffen, dass es nicht wieder so lange dauert, bis sie mal wieder in München auf der Bühne stehen!
Danach hat man die Qual der Wahl: geht man nun zu Possession in die Halle oder zu Thormesis in den Club? Wer sich für Ersteres entscheidet, bekommt fett was auf die Ohren, denn die Belgier machen keine Gefangenen: gegeben wird Black Metal mit erbaulich wenig Melodie und jeder Menge bitterböser Energie, und das ganze vierzig Minuten lang – das akustische Äquivalent zu einem hochkarätigen Energiedrink. Der Fünfer ist seit 2012 aktiv und hat 2017, nach einem Demo und ein paar EPs, sein Debütalbum Exorkizein auf den Markt gebracht, das musikalisch sehr an die schwedische Variante des ganz besonders erbarmungslosen Schwarzmetalls erinnert, wenn auch mit einem belgischen Twist. „Beat of prey“ beispielsweise beginnt mit einem seltsam verdrehten Kirchenorgel-Solo und geht dann über in ein Spoken-Word-Intro auf Französisch, aber alle anderen Songs kommen ohne solchen Schnickschnack aus, werden dadurch aber keinesfalls langweilig. Possession geben ordentlich was auf die Fresse, haben einen brachialen Sound und mit Sicherheit noch Großes vor sich – wir sind gespannt! Und nachdem uns Possession mit ihrem Panzersound so fachmännisch überfahren haben, haben wir es leider nicht mehr in den Club zu Thormesis geschafft. Sorry!
Als Nächstes stehen Harakiri for the Sky im Werk auf den Plan, die nach ihrem letzten Auftritt auf dem DEMM in der Halle quasi aufgestiegen sind – völlig zu Recht, denn das Werk ist rappelvoll. J. J. am Mikro steht zur zweiten Schicht des Tages bereit, und die Österreicher werfen sich mit Schmackes in ihr emotionales Post-Black-Metal-Set, das von großen Gefühlen und ebensolchen Gesten lebt. Die Haardichte nicht nur in den vorderen Reihen bei Songs wie „Heroin waltz“, „Funeral dreams“ oder „The graves we’ve dug“ spricht für die Qualität der Band, die ihren Bekanntheitsgrad in den letzten Jahren enorm erhöhen konnte. Ein klasse Abriss mit unholdiger Unterstützung, nach dem wir dann erst mal eine Pause brauchen.
Waldgeflüster und Infestus in Halle bzw. Club müssen daher dem Abendessen pünktlich um 18 Uhr weichen – an einem Tag wie diesem muss man Prioritäten setzen, denn was nun folgt, erfordert jedes Quäntchen Energie, das wir nur aufbringen können!
Den Anfang machen Taake, die sicherlich am heißesten erwartete Band des gesamten Festivals (vor allem nach der Terminclash-bedingten Absage im letzten Jahr). Dementsprechend voll ist es im Werk, als Hoest und seine Mannen Punkt 19.10 die Bühne betreten – der sich zunächst pikiert beklagt, „this is NOT the light we agreed on“, dann aber doch recht aufgeräumt und geradezu redselig ist. Jedenfalls für Taake-Verhältnisse. Ein „old school set“ hatte er uns versprochen, wobei man sich bei Taake ja schon fragt, was genau denn da unter „new school“ fällt – aber sei’s drum; im Endeffekt gab es fünfzig Minuten lang Nostalgie pur, beginnend mit den ersten beiden Nattestid-Liedern, gefolgt von „Nordbundet“ und „Du ville ville Vestland“, ehe es mit „Havet i huset“ dann allerdings doch zum aktuellen Album Kong vinter geht. „Fra Vadested til Vaandesmed“ und das erste von der Hordalands Doedskvad dienen als Rausschmeißer, denn auch Taake haben nur etwas weniger als eine Stunde Zeit für ihren Gig. Der ein oder andere Fan hätte sich hier sicherlich eine Verlängerung gewünscht, denn der Andrang war bis zum bitteren Ende wirklich enorm – so viel Durchhaltevermögen konnte nicht jede Band für sich verbuchen!
Direkt im Anschluss geht es zu Nocte Obducta in die Halle, die ihre knappe Stunde mit „Niemals gelebt“, „Es fließe Blut“ und „Trollgott“ (letzteres vom aktuellen Album Totholz (Ein Raunen aus dem Klammwald)) schön angepunkt-schnell eröffnen, ehe sie von der für ein Nocte-Obducta-Konzert beinahe schon obligatorischen Technikpanne (diesmal sorgt das überschäumende Bier für einen Ausfall des Verstärkers) zu einer kurzen Pause gezwungen werden. „Die Töchter des Mondes“ nehmen dann das Tempo etwas raus, aber das Misfits-Cover „Braineaters“ und das schwer gefeierte „Fick die Muse“ zum Abschluss sorgen allenthalben für glückliche Kinder, äh, Festivalbesucher. Dazwischen gibt es sogar ganz neues Material zu hören, das man „eigentlich schon letzte Woche hätte aufgenommen haben wollen“ – wir dürfen also gespannt sein und uns hoffentlich bald auf ein neues Album aus Mainz freuen! Nocte Obducta und vor allem der Unhold haben uns so gefesselt, dass Firtan leider ausfallen mussten (und man wohl auch nicht mehr in den Club reinkam). Sorry!
Nur fünf Minuten später steht auch schon die nächste Abrissparty im Werk an, denn das schwedische Death-Metal-Urgestein Unleashed geben sich nach fast zehn Jahren mal wieder die Ehre in München, und das pünktlich zum 30-jährigen Bandjubiläum, das, wie Sänger Johnny Hedlund betont, auch unser 30-jähriges mit dieser Band bedeutet. Diese stolze Zahl heißt jedoch keinesfalls, dass Unleashed etwa zurückhaltender oder gar müde geworden sind – eher das Gegenteil ist der Fall, denn die Schweden treten mit „Blood of lies“ voll aufs Gas und gehen nicht mehr runter, bis das Konzert mit „Into glory ride“ nach einer guten Stunde wieder zu Ende ist. Dazwischen regiert der blanke Wahnsinn: die Menge bildet nahezu sofort einen gigantischen Moshpit, der während des Auftritts konstant aufrechterhalten wird, und feiert Klassiker und neue Stücke wie „Don’t want to be born“, „Lead us into war“, „The longships are coming“ oder „Stand your ground“ mit Feuereifer ab. Sobald Unleashed eine kurze Pause einlegen, um einen Schluck zu trinken oder sich den Schweiß abzuwischen, setzen sofort „Unleashed! Unleashed! Unleashed!“-Chöre in der Menge ein, die Johnny mit einem „Wir waren so lange nicht mehr hier, und so werden wir begrüßt – unglaublich!“ kommentiert. Allzu viele Pausen gibt es jedoch nicht, denn „Hammer batallion“, „Your children will burn“ und „The hunt for white christ“ wollen ebenso abgefeiert werden wie „I have sworn allegiance“ und „Execute them all“. Zur Feier der Stunde gibt es dann noch „The dark one“ vom allerersten Unleashed-Demo The utter dark aus dem Jahr 1989, ehe es vor der letzten Nummer noch eine Bierdusche aus dem gigantischen Trinkhorn gibt. Danach sind wir alle sehr viel verschwitzter, sehr viel glücklicher und sehr viel kaputter als vorher – Danke, Unleashed! Ihr wart der absolute Wahnsinn!
Das Kontrastprogramm dazu liefern dann Dornenreich in der Halle; uns zieht es nach diesem Erlebnis jedoch eher zu Lik in den Club, die etwas, sagen wir, lebhafter aufspielen als die wunderbar verkopften, zarten, streckenweise rein akustisch auftretenden Österreicher. Die schauen wir uns bei der nächsten Gelegenheit an, wenn der Kopf wieder etwas freier ist, versprochen! Lik aus Stockholm passen heute einfach besser, die den typischen Death-Metal-Sound der Neunzigerjahre aus ihrer Stadt ganz vortrefflich weiterführen. Das sehen sehr viele Anwesende so, Lik sind so etwas wie ein heimlicher Headliner, und dementsprechend wild und enthusiastisch geht es ab der ersten Sekunde los. Die Band gibt alles, lässt im Stroboskopfeuer die Haare fliegen und prügelt uns einen Death-Bastard nach dem anderen um die Ohren. Man freut sich sichtlich über die euphorischen Reaktionen und lässt sich gebührend feiern. Zurückgreifen kann man dabei auf die zwei bisher erschienenen Alben Mass funeral evocation und Carnage – wie wir heute hören, lohnen die sich.
„Grüß Gott und schöne Ostern!“, wünschen uns Triptykon, nachdem wir mit dem „Totengott“-Intro, „Synagoga Satanae“ und „Goetia“ die Nackenmuskeln ganz formidabel aufgewärmt haben. Auf der Bühne scheint es allerdings Probleme mit der Technik zu geben – ob es denn sein könne, dass man den Herrgott verärgert habe, fragt Tom G. Warrior nach –, doch davon ist vor der Bühne zum Glück kaum etwas zu merken (lediglich der Gesang hätte etwas lauter ausfallen dürfen). Mit jeder Menge Power arbeiten sich die Dame und die Herren die nächsten eineinviertel Stunden durch eine gute Mischung aus Celtic-Frost– und Triptykon-Songs wie „Altar of deceit“ und „Tree of suffocating souls“ von der Melanata Chasmata oder „Procreation of the wicked“ und „Dethroned Emperor“ (beide auf der Morbid tales), garniert mit einer Prise To mega therion („Circle of the tyrants“); hin und wieder kurz unterbrochen von immer wieder auf die Bühne gerufenen Technikern, die versuchen, die anscheinend fortbestehenden Probleme zu beheben. Das Publikum ist gewohnt text- und vor allem taktsicher (wie der Teppich aus fliegenden Haaren eindrucksvoll zeigt) und mobilisiert noch mal alle Kräfte. Auch wir, die wir uns nach diesen zwei intensiven Tagen doch etwas zerstört fühlen, feiern die einzigartige Macht, die das Quartett da erschafft, gebührend ab. Wir vermissen lediglich „Boleskine house“ und „Aurorae“, aber das macht die fantastische Stimmung und das grandiose „The Prolonging“, mit dem Triptykon ihre Show beschließen und unsere Nacken endgültig brechen, mehr als wett.
Danach wären als Absacker noch Darkened Nocturn Slaughtercult in der Halle gewesen und hätten auf einer Release-Show ihr neues Album „Mardom“ vorgestellt – wenn man denn reingekommen wäre. Doch wer Triptykon bis zum Ende genießen wollte, hatte das Nachsehen, und auch nebenan im Club, wo Dawn of Disease ihren Auftritt vom Dark Easter Metal Meeting 2018 nachholen, sieht es nicht besser aus. Sehr schade, aber andererseits sind wir jetzt auch übervoll an Eindrücken und Musik und entscheiden uns daher dafür, den letzten Festivaltag eher ruhiger, mit etwas leichter Konversation auf dem Weg zum Auto, ausklingen zu lassen, und machen uns vorzeitig auf den Heimweg.
Auch 2019 war einmal mehr ein absolutes Highlight im Festivalkalender, was die Bandauswahl betrifft. Zwischen den Konzerten verteilte sich die Menge auch etwas besser, da man dank des guten Wetters den Biergarten hinter der Halle aufmachen konnte, sodass wesentlich mehr Sitzplätze für geplagte Festivalbesucher zur Verfügung standen als sonst – eine wahre Wohltat, vor allem dann, wenn man noch diverse Kameraausrüstung mit sich herumschleppen muss! Wie immer gilt unser Dank an dieser Stelle den Organisatoren, den Securitys, allen ehrenamtlichen Helfern und den zahllosen Helden, die zwei Tage lang elf Stunden pro Tag die durstige Meute mit Bier versorgt hat – ihr seid klasse!
Wir bedanken uns auch ganz herzlich für die reibungslose Organisation – war irgendeine Band nennenswert zu spät? Wir haben nichts gemerkt, man konnte wirklich hervorragend seinen „Terminplan“ abarbeiten. Vielen Dank auch an das Team von Metal1.info, das die Autogrammstunden organisiert hat – eine von uns hat jetzt eine signierte Triptykon-CD und ist sehr glücklich. Auch wenn es da wohl kurzfristige Absagen gab, wurde alles gut angenommen und ist ein schöner Bestandteil des Festivals.
Der größte Dank geht aber an Bands und Fans, die gleichermaßen enthusiastisch dieses gar nicht mehr so kleine Untergrundfestival zu zwei großartigen Tagen gemacht haben. Wir sehen uns 2020!
Setliste Convictive:
Taufe / Öffnung / Seelenlos / Asche / Gewahrwerden
Setliste Helheim:
landawarijaR / raunijaR / Dualitet og ulver / Ymr / Rignir / Baklengs mot intet
Setliste Unleashed:
Blood of lies / Dead forever / Don’t want to be born / Lead us into war / The longships are coming / They came to die / Stand your ground / Hammer battalion / The dark one / Your children will burn / I have sworn allegiance / The hunt for white christ / Execute them all / Into glory ride
Setliste Triptykon:
Totengott / Synagoga Satanae / Goetia / Altar of Deceit / Circle of the Tyrants / Tree of suffocating souls / Procreation (of the wicked) / Dethroned Emperor / The Prolonging / Winter (Outro)
Text: Nekrist und torshammare
Bilder: torshammare
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