Moving bodies
Sechs Jahre Katzenclub – sechs Jahre vierteljährliche Partys mit liebevoll ausgewähltem Konzertprogramm, durchtanzten Nächten, spannenden musikalischen Neuentdeckungen auf dem kleinen Floor und oftmaligen Zeitreisen in die guten alten Tage des Pulverturms auf dem großen Floor. Kurz: Der Katzenclub ist aus dem schwarzen Kulturangebot Münchens nicht mehr wegzudenken. Letztes Jahr zum Fünfjährigen gab es die erste Ausgabe des eintägigen Festivals, die die Messlatte verdammt hoch gelegt und bei vielen Besuchern schon ein kleines WGT-Feeling hervorgezaubert hat. Das wollen die Veranstalter dieses Jahr natürlich gern wiederholen und haben uns wieder ein sehr feines Programm aus alten Katzenclub-Freunden (Dive, Invincible Spirit) und neuen Gästen (Geneviéve Pasquier, Thorofon, Qual, Geometric Vision, Tying Tiffany und Buzz Kull) zusammengestellt. Also, die Stiefel geschnürt und ab ins Feierwerk!
Um kurz vor halb sechs ist man zwar normalerweise noch nicht so ganz auf die Abendgestaltung eingestimmt, es sind aber trotzdem schon erfreulich viele Leute da, die sich gleich zusammen mit mir ins Konzertvergnügen stürzen wollen. Wir müssen allerdings noch ein bisschen warten, bis Geneviéve Pasquier auftritt, man wartet noch auf Herrn Qual, der sich auf unbestimmt verspätet, aber gleich nach Frau Pasquier spielen soll. Man steht also noch ein wenig herum und begrüßt Freunde – auch nicht verkehrt. Schließlich geht es aber dann doch los, und Geneviéve Pasquier nimmt ihren Platz hinter dem Mikro ein. Um den Sound kümmert sich Anton Knilpert. Seit 2003 existiert die Formation bereits, deren musikalische Bandbreite von Industrial bis Chanson reicht. Dementsprechend getragen und atmosphärisch sind auch die ersten Songs, sehr auf Geneviéves Stimme konzentriert. Ein schöner Einstieg, aber der etwas zunehmende Grundkrach bei „Blitzkrieg Baby“ schadet auch überhaupt nicht. „Enjoy your life before you die“ ist immer ein guter Ratschlag, und schön elektronisch verpackt nimmt man sich das gleich noch mehr zu Herzen. Die ersten Reihen tanzen und wiegen sich zur Musik, und Geneviéve (übrigens in einem sensationellen Leoprint-Kleid mit dazu passenden High Heels) und Anton (im feinen Zwirn) scheinen auch Spaß zu haben, auch wenn man sie im Schummerlicht nur gelegentlich sieht. Ab der Hälfte des Sets wird das Tempo etwas angezogen und der Sound deutlich härter, sodass auch die Freunde industriellerer Klänge voll auf ihre Kosten kommen. „Existence“ darf dabei natürlich nicht fehlen. Ein clever aufgebauter Auftritt und ein hervorragender Beginn des langen Konzertabends!
Danach heißt es leider wieder warten und schließlich auch akzeptieren, dass Qual heute nicht mehr auftreten wird, auf der Anreise scheint irgendetwas gründlich schiefgegangen zu sein. Diese Nachricht sorgt nicht nur bei mir für Enttäuschung, denn viele hatten sich auf William Maybellines (Lebanon Hanover) Soloprojekt gefreut. Vielleicht klappt es ja wann anders mit einem Nachholauftritt?
Weiter geht es nach der Pause mit Thorofon, die ebenso legendär in der (deutschen) Industrialszene sind wie Geneviéve Pasquier und sogar noch länger (seit 1995) existieren. Kein Wunder, handelt es sich dabei doch um die gleiche Besetzung. Bei Thorofon sind die Rollen auf der Bühne allerdings vertauscht, Geneviéve sorgt für die Musik, Anton übernimmt das Mikrofon. Zum zweiten Auftritt des Tages gibt’s auch neue Outfits, nämlich im bandtypischen Weiß, womit man sie im immer noch sehr gedimmten Licht auch gleich besser sieht. Thorofon gehen aggressiver und kälter zu Werke als Geneviéve Pasquier, Antons Vocals sind deutlich bestimmender und erinnern manchmal ein wenig an Dive oder No Sleep by the Machine. Manchmal klingt das recht eingängig („Lonely mass“), dann aber auch wieder richtig schön aggressiv. Anton nutzt die ganze Bühne und springt zwischendurch auch mal ins Publikum, mischt sich unters tanzende Volk und feiert mit uns zusammen eine wilde Industrialparty. Gen Ende des Auftritts kommt Geneviéve noch mal nach vorn ans Mikro. Thorofon machen ihrem legendären Namen in der Szene alle Ehre, und wer wie ich bisher noch gar nicht sooo viel von dem Duo kannte, wird das schnell nacharbeiten.
Nach den harschen Klängen geht es mit der Italienerin Tying Tiffany in der Kranhalle ein wenig lieblicher weiter, hier herrscht eingängiger Synthiepop vor, der zuweilen auch recht rockig rüberkommt. Es ist schon einige Jahre her, dass Tying Tiffany das letzte Mal in München war (Free & Easy 2015), und ich freue mich, die Sängerin und ihren Sidekick an Keyboards, Gesang und Gitarre mal wieder zu sehen. Das letzte Album der Formation ist leider schon eine ganze Weile her (Drop, von 2014), vielleicht gibt es ja mal wieder neues Material? Heute sind wir aber auch mit einer schönen Best-of-Show zufrieden. Anfangs ist TTs Stimme noch etwas arg leise, das bessert sich dann aber von Song zu Song. Die Kranhalle ist sehr ordentlich gefüllt, und nach dem atmosphärischen Einstieg mit „One place“ kommt schnell Bewegung in die Zuschauerreihen. „One second“ ist ein fieser Ohrwurm, ebenso wie das schon ältere „Border line“. „Lost way“ gibt mit verzerrter Stimme ordentlich Gas, ebenso wie „Drownin‘“. Am Ende des Gigs steigert sich das Tempo sogar noch, nach den anfänglichen Synthiepop-Klängen wird’s jetzt sogar eher rockig bis electropunkig. Schön aufgebauter Auftritt, der definitiv Lust auf neue Songs von Tying Tiffany macht!
Italienisch geht es in der Hansa 39 weiter, Geometric Vision – die Postpunk-Abräumer des diesjährigen WGTs – geben sich die Ehre. 2012 in der Nähe von Neapel von Ago Giordano gegründet, mit Gennaro Campanile am Bass und Roberto Amato an der Gitarre, hat man sich ganz dem düster-melancholischen (hallo, The Cure), aber durchaus schwungvollen Postpunk verschrieben. Auf drei Alben hat man es mittlerweile gebracht, das aktuellste, Fire! Fire! Fire!, ist von 2018. Heute gibt es Material von allen drei Veröffentlichungen zu hören, angefangen mit „Fire! Fire! Fire!“ über „Black haven“ oder „Desert rain“. Das Publikum in der Hansa 39 geht von Anfang an gut mit und kennt auch offenbar diverse Songs, außerdem wird eifrig in der knallvollen Halle getanzt. Ganz so viel Bewegung ist auf der Bühne nicht, aber immerhin Gitarrist Roberto posiert immer wieder sehr schön mit seinem Instrument (und setzt mit seinem Hemd das Raubtierfellmustermotiv des Abends fort). Weitere Perlen für Postpunk-Fans sind Songs wie „Skies“ oder „The head“. Die „Apocalypse queen“ sowie „Virtual analog tears/Panic“ beenden diesen Auftritt, mit dem sich die Süditaliener garantiert eine Reihe neuer Fans in München erspielt haben.
Wer jetzt wieder etwas mehr Wumms auf die Ohren braucht, ist in der Kranhalle bei Szeneurgestein The Invicible Spirit genau richtig. Thomas Lüdke und Anja Vorel waren auch vor einiger Zeit schon mal beim Katzenclub und blicken heute Abend daher in viele vertraute Gesichter, die vor allem eins wollen: tanzen. Das fällt mit „A nation“ und „Contact“ auch überhaupt nicht schwer, wenn man auf eingängigen Electro der etwas härteren Stampfart steht, der aber immer noch sehr schön düster bleibt. Bei „Devil dance“ tanzt der Teufel natürlich auch mit, und ein bisschen ruhiger wird es erst mit dem Joy-Division-Cover „Atmosphere“. Der alte Szenehit „Irregular times“ von der Mao Tse Tung Experience darf natürlich auch nicht fehlen, zu dem garantiert alle in der Halle schon mal auf irgendeiner Tanzfläche auf- und abgeschritten sind. Bei „Provoke you“ demonstriert Thomas, dass er heute richtig gut bei Stimme ist, bei „Dark eye“ wummern die Bässe, alles tanzt. Thomas schreitet wie immer mit großen Schritten über die Bühne, Anja hält mit stoischer Gelassenheit an den Geräten alles zusammen. Nach der klaren Ansage „Hate you“ müssen alle noch mal ihre Kräfte mobilisieren, denn bei „Push“ muss getanzt werden, es hilft nichts. Und wir fühlen uns bei diesem Klassiker auch überhaupt nicht alt, sondern einfach … zeitlos gut.
Zeitlos gut ist auch das Stichwort für den regulären Headliner des Abends, den alterslosen Dirk Ivens, der mit Dive natürlich auch schon beim Katzenclub war und dieses Jahr sein dreißigjähriges Bandjubiläum feiert. Heute hat er das Megaphon daheim gelassen, aber das geliebte (und von den Fotografen gehasste) Stroboskop darf nicht fehlen. Der minimalistischste Bühnenaufbau ever, und ohne Umschweife legt Dirk mit „Insanity“ los. Sofort sind alle mitgerissen von dieser Urgewalt an Bewegung, Ausdruck und Stimme und den hämmernden, auf den Punkt gebrachten Rhythmen. Ohne Ansagen, ohne nennenswerte Pausen folgen Brachialhymnen wie „Far away“, „Bloodmoney“ oder „Broken meat“ aufeinander, und man kann eigentlich nur mit offenem Mund verfolgen, wie Dirk im Stroboskopgewitter über die Bühne springt. Außer man ist mit verschärftem Tanzen beschäftigt, was ein Großteil der Halle ist. Ich versuche derweil, ein paar brauchbare Bilder zu schießen, will aber natürlich auch viel lieber energisch mit dem Kopf nicken und herumzappeln. Vor allem bei „Machinegun baby“, das einem mit seiner Maschinengewalt ordentlich die Haare nach hinten föhnt. Aber auch das Klinik-Cover „Pain and pleasure“ und mein Lieblingssong vom aktuellen Album Underneath, „Let me in“, heizen ordentlich ein. So langsam macht sich der lange Abend ein wenig bemerkbar, aber solange Dirk über die Bühne zuckt, geben wir uns keine Blöße und bewegen bei „Moving hands“ nicht nur unsere Hände, und „Blindness“ können wir blind tanzen. Dann brauchen alle Anwesenden einen Sitzplatz und was zum Trinken, während die ersten Partygäste schon die Tanzfläche unsicher machen.
Eine Stunde später gibt es noch einen Nachschlag – ein Mitternachtsspecial um ein Uhr morgens, ist vielleicht wirklich schon WGT? – mit dem derzeitigen Szeneliebling Buzz Kull. „Into the void“ darf auf keiner Postpunk-Gothic-Düsterveranstaltung fehlen. Hinter dem etwas sperrigen Namen verbirgt sich der Australier Marc Dwyer, der bereits zwei Alben sowie diverse andere Veröffentlichungen vorgelegt hat. Sein Sound ist – für diejenigen, die bisher nur „Into the void“ kannten – erstaunlich hart und elektronisch, viele hatten sicher mit eher postpunkigen Songs gerechnet. Mark bedient hochkonzentriert diverse Gerätschaften auf zwei Tischen, singt ins (verzerrte) Mikro, springt gleichzeitig über die Bühne und schafft es, sich dabei nicht die Füße zu brechen. Chapeau! Ansagen mit Songtiteln gibt es leider nicht, aber ich meine „Destination“ vom aktuellen Album New kind of cross zu erkennen, außerdem „Avoiding the light“. Hört am besten selbst auf Buzz Kulls bandcamp-Seite in alles rein, es lohnt sich! Nach „Into the void“ bedankt sich Mark, dass wir so lange geblieben sind und will nach dem letzten Song dann abgehen, doch auch wenn es mittlerweile wirklich spät ist, hat die Konzertmeute noch nicht genug. „Tomorrow’s ghost“ vom Album Chroma gibt es noch als Zugabe, dann ist endgültig Schluss – außerdem muss Mark an den Merch-Stand.
Die Party mit vielen hervorragenden DJs (Pagan DJs, DJ Thaly, Yound and Cold, DJ Psychobat und und und) auf drei Tanzflächen dauert noch bis in die frühen Morgenstunden, ich bin allerdings nach dem Konzertmarathon doch ein wenig müde, quatsche nur noch mit ein paar Freunden und fahre dann bald heim. Vielen Dank, liebes Katzenclub-Team, dass ihr uns wieder einen so großartigen Abend mit alten Helden und neuen Lieblingsbands kredenzt habt. Ein bisschen arg finster war es oft auf der Bühne, man hätte gern ein bisschen mehr von den Künstler*innen gesehen, aber es zählt ja die Musik, und da war für alle Geschmäcker etwas dabei. Alles in allem war es ein spannender und abwechslungsreicher Konzertabend, an dem tatsächlich nur Qual gefehlt hat – aber das lässt sich ja vielleicht nachholen. Danke!
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