Von rutschenden Hosen, Zombieclowns und tanzenden Katzen
Meine Güte, wie die Zeit vergeht. Fünf Jahre gibt es den Katzenclub schon, die vierteljährliche Party- und Konzertreihe, die es schafft, an nostalgische Pulverturmzeiten anzuknüpfen und gleichzeitig die derzeit angesagtesten Bands aus dem schwarz-wavigen Untergrund auf die Bühne zu holen. Die Tempers waren schon da, Zanias, She Past Away, Lebanon Hanover, Ash Code, aber auch so Szenelegenden wie Psyche oder The Invincible Spirit; Klangstabils Boris May ist sowieso Stammgast. Doch die schönste Partyreihe taugt nichts ohne die DJs hinter den Reglern, und da kann der Katzenclub auf die langjährige Erfahrung der Pagan DJs zurückgreifen, auf DJ Thaly aus dem Pulverturm und diverse hochklassige Gäste an den Reglern, die die kleine Tanzfläche mit oft wohltuend unbekanntem Material versorgen. Solche Erfolge müssen gefeiert werden, dachten sich daher die Veranstalter, und daraus wurde das erste Katzenclub Festival im Feierwerk.
Nach monatelanger Vorfreude ist es am ersten Novembersamstag endlich soweit, und es ist schön zu sehen, dass die Hansa 39 um sechs Uhr abends zur ersten Band schon ziemlich gut gefüllt ist. Eine aufgeregte, familiäre Stimmung liegt in der Luft, alle freuen sich auf ein bisschen Festivalfeeling in München und diverse Bands, für die man sonst weit fahren müsste. Dazu gehören auch Box and the Twins, das Kölner Trio, das zwar oft auftritt, in München meines Wissens nach aber das erste Mal auf der Bühne steht. Auf dem NCN habe ich sie leider verpasst, jetzt freue ich mich auf den Dream Pop von Box, Mike und Carolin. Verträumte Melodien, oft sphärisch-verhallter Gesang, ein paar Postpunk-Einflüsse … schon ab dem ersten Ton wiegen sich einige im Publikum zu den anfänglich noch sehr ruhigen, aber mitreißenden Klängen. Zu Beginn gehen leider einige Feinheiten im noch nicht perfekten Sound unter, doch nach ein paar Songs hat sich alles eingespielt, und vor allem Box‘ sehr schöne Stimme kommt endlich besser zur Geltung. Highlights des heutigen Auftritts sind für mich definitiv „This place called nowhere“ und das sehr tanzbare „Guilty red“, doch auch die anderen Songs verbreiten eine verträumte, wavige und wohlig-melancholische Atmosphäre, die einen geradezu einhüllt. Postpunk- und Fans von Bands, die bittersüße Melancholie und innere Weiten (oder auch Leere) mit ihrer Musik transportieren, sollten Box and the Twins unbedingt antesten, so das bisher noch nicht geschehen ist. Nach zwei EPs ist 2016 das von Hélène de Thoury aka Hante. produzierte Debütalbum Everywhere I go is silence erschienen, mittlerweile gibt es auch eine Live-CD, We are here to make mistakes, die auf der gemeinsamen Tour mit Phillip Boa entstanden ist. Lohnt sich!
Nach diesem seelenwärmenden Auftritt sind wir bestens vorbereitet auf die Französin Hante., die nach Stationen bei Phosphor und Minuit Machine seit einigen Jahren erfolgreich solo unterwegs ist. Sie hat sich düster-elektronischem Cold Wave verschrieben und singt auf Englisch und Französisch. Heute ist der Sound zum Glück sehr viel besser als beim WGT 2016, sodass man sich hier voll und ganz auf die Songs einlassen kann, die großteils im ruhigen bis Midtempo-Bereich angesiedelt sind. Hélène singt und bedient gleichzeitig die diversen Kästchen, die vor ihr auf einem Tisch stehen, sodass die Bühnenshow naturgemäß ein wenig statisch ist, doch ab und zu kommt sie auch an den Bühnenrand und singt direkt ins Publikum. 2017 hat sie ihr aktuelles Album Between hope & danger herausgebracht, von dem sie einige Songs präsentiert. Für den ungeübten Hörer scheinen die Lieder oft direkt ineinander überzugehen und ähnlich zu klingen, doch sie bilden auch einen Teppich aus kalten Minimal- und Cold-Wave-Klängen, warmem, zurückgenommenem Gesang und Melodien, der einen spätestens ab der Hälfte des Auftritts mitreißt. Es wird getanzt, es wird geträumt, es wird begeistert applaudiert, und die Halle ist mittlerweile auch schon richtig voll. Danke, Hante.!
Als Nächstes steht eine Band auf dem Programm, auf deren München-Auftritt nicht wenige hingefiebert haben. Agent Side Grinder aus Stockholm sieht man in Deutschland sonst quasi nur auf Festivals wie dem WGT oder dem NCN – aktuell sind sie auch fürs Amphi 2019 angekündigt -, ansonsten muss man nach Schweden fahren. Ursprünglich waren ASG mal zu fünft, dann hörten vor einiger Zeit drei Bandmitglieder auf, darunter auch Sänger Kristoffer Grip, sodass Peter Fristedt und Johan Lange überlegen mussten, wie es mit der Band weitergehen kann, deren unglaublich vielschichtiger Analog-Synthie-Sound vor allem live durch die vielen Musiker und ihre Geräte so dicht rüberkam. Zum Glück hat man immerhin mit Emanuel Åström bald einen neuen Sänger gefunden und kurzerhand als Trio weitergemacht. Dass das ebenso funktioniert, haben sie vor zwei Monaten auf dem NCN schon bewiesen, und heute sind sie endlich in München. Ein paar neue Songs haben sie auch im Gepäck – ebenso wie die imposante Stahlfeder, die schon auf der Bühne gespannt ist. Etwas weniger Synthies als sonst stehen herum, Peter Fristedt bewegt sich zwischen einem Gerät und der Bandmaschine, Johan Lange hat ein wenig mehr Synthies um sich versammelt. Nach dem neuen Song „In from the cold“ hauen uns die drei mit „Live in advance“ und dem hypnotischen „Mag 7“ ein Klassiker-Doppelpack um die Ohren, das vom Publikum begeistert aufgenommen wird und das den typischen ASG-Sound perfekt verkörpert. Repetitiv, aber nicht langweilig, sich ständig steigernd, mit überraschenden Elementen und diesem typischen warmen Klang der analogen Synthies. Und natürlich der Stahlfeder, die in bester Einstürzender-Neubauten-Manier auch zur Tonerzeugung genutzt wird. Der nächste neue Song „Inner noises“ schlägt ebenfalls in diese Kerbe und beruhigt alle, die Angst hatten, ASG könnten mit der neuen Besetzung etwas von ihrem Zauber verloren haben, ebenso wie das bereits seit einem halben Jahr bekannte „Doppelgänger“, das hervorragend zu Emanuels dunkler Stimme passt. Bei den älteren Songs wie „Giants fall“ und „This is us“ vom Alkimia-Album vermisse ich manchmal den alten Sänger Kristoffer, aber das ist auch nur Gewöhnungssache. Den schwierigen und so wichtigen Song „Wolf hour“ bringt Emanuel mit gesanglicher Unterstützung von Johan, der Henric de la Cours Part übernimmt, einwandfrei auf die Bühne. Eine Zugabe gibt es mit dem mächtigen „Allisin Sane (No 2)“ auch noch, erst dann dürfen die drei schwarzgekleideten Herren gehen. Ein toller Auftritt, der letztendlich viel zu kurz war – jetzt war man doch gerade so schön eingetanzt. Tack, Agent Side Grinder!
Ganz anders, aber ebenso schwedisch und ebenso mächtig geht es zum Glück weiter, denn die seit einigen Jahren gnadenlos abgefeierten Spark! (man erinnere an den Konzertabriss vor einiger Zeit in Augsburg) entzünden vom ersten Moment an ein wahres EBM-Feuerwerk. In schicke Zirkuskostüme gekleidet und mit dazu passender Videountermalung ist der erste Song „Alla på en gång“ gleichzeitig das Motto des Auftritts – „alle auf einmal“ hüpfen, tanzen und pogen nämlich quer durch die Hansa 39, was bei dem Hitfeuerwerk, das Christer Hermodsson und Mattias Ziessow da auf uns abfeuern, auch kein Wunder ist. Quer durch die ganze Bandhistorie geht die Reise, von „Genom stormen“ über „Tankens mirakel“ bis zum Klassiker „Frihet“; nicht zu vergessen das aktuelle Album Maskiner mit dem Titelsong „Maskiner“ und „Brinner som vackrast“ (regelmäßige Nero-Gänger singen die beiden Songs auswendig). Das Publikum erweist sich als takt- und oftmals sogar recht textsicher – was Christers Bemerkung, dass hier sowieso keiner versteht, was gesungen wird, widerlegen dürfte -, und ist ohne Übertreibung oftmals vor Begeisterung außer Rand und Band (worunter leider ab und zu die Umstehenden leiden). Beinharte Fans werden kurzerhand einfach auf die Bühne gebeten und dürfen Mattias am Schlagzeug ablösen, der – nachdem die Clownskluft zu warm wurde, jetzt im schicken Ramones-T-Shirt – das Publikum zu noch mehr Wahnsinn animiert. Christer überzeugt mit seiner kräftigen Stimme und bei „Weit voraus“ auch mit sehr vorzeigbaren Deutschkenntnissen und behält im allgemeinen Wahnsinn jederzeit die Ruhe. Bei „Ett lejon i dig“ versuchen die beiden, das legendäre Video mit den russischen Soldatentänzern nachzustellen, was nicht so ganz gelingt, aber für viele Lacher sorgt. Das kämpferische „Stå upp“ wird aus vielen Kehlen mitgebrüllt und beschließt diesen energiegeladenen Auftritt, der ruhig noch länger hätte dauern können. Tack, Spark!
Die meisten brauchen jetzt wahrscheinlich erst mal eine Pause, doch es freut mich, dass immer noch genug Festivalbesucher in die Kranhalle zu The Devil & The Universe finden, die im nahezu Stockfinsteren das absolute Kontrastprogramm zu Spark! bieten. In lange schwarze Kutten gekleidet, die Gesichter hinter den charakteristischen Ziegenmasken verborgen, zeigen Ashley Dayour (Whispers in the Shadow, Near Earth Orbit) und David Pfister, was für ein Feuerwerk an Sound und Atmosphäre man mit wenigen Mitteln erschaffen kann. Videoprojektionen mit Ziegenkopfprotagonisten – schaurig-morbide natürlich -, ein paar Lichtstrahlen und zwei Musiker, die quasi keine Sekunde stillstehen. Ashley wirbelt zwischen Trommeln und E-Gitarre herum, macht ab und zu Station am Mikro – auch wenn der Sound von The Devil & The Universe weitestgehend instrumental ist -, während David hinter den Kästchen, die für den elektronischen Soundteppich sorgen, immer versunkener zur Musik abgeht. Die Mischung aus ritualistischen Trommeln, ratternden Ratschentönen, sägenden E-Gitarren und rhythmischen Elektronikteppichen sowie düsterer Videountermalung funktioniert hervorragend, Ansagen und Songtitel würden nur die Stimmung dieses Rituals stören. Denn Musik, Symbolik und die ganze Atmosphäre des Auftritts tragen deutliche Züge eines irgendwie gearteten spirituellen Hintergrundes. Sympathisch ist, dass die zwei Herren (die sonst zu dritt unterwegs sind), schon bald Masken und auch die Kapuzen ablegen und sich in einen wahren Rausch hineinspielen. „What time is love“ (ja, genau, man darf hier an KLF denken) beendet diesen großartigen Gig, aus dem man erst einmal wieder auftauchen muss.
Der Sound dieser Band ist etwas wirklich Besonderes, und gerade die Live-Auftritte sollte man nicht verpassen. Für daheim sei das aktuelle Album Folk Horror von 2017 empfohlen.
Sehr viel eingängiger wird es bei der nächsten Band, die musikalisch ein wenig aus dem eher undergroundig angelegten Festival heraussticht, aber für viele auch der wichtigste Grund ist, das Festival zu besuchen. [:SITD:] braucht man nicht mehr groß vorstellen, mit ihrem Midtempo-Stampf-Sound, der garantiert für volle Tanzflächen sorgt, sind sie seit vielen Jahren fester Bestandteil der schwarzen Elektroszene. Letztes Jahr kam mit Trauma:Ritual auch ein neues Album heraus, das allgemein gut aufgenommen wurde. Dieses Jahr haben sie auch schon auf dem WGT gespielt, doch man erzählte mir, dort seien viele nicht mehr in die Halle gekommen – umso besser für die Münchner Fans, dass es diese Probleme heute nicht gibt. Die Hansa 39 ist aber trotz bereits parallel laufenden Partyprogramms amtlich gefüllt, und Carsten Jacek, Tom Lesczenski und Frank D’Angelo werden euphorisch empfangen. Die Setlist ist bunt gemischt, neuere Songs wie „Cicatrix“ oder „Genesis“ werden genauso bejubelt wie die Klassiker „Lebensborn“ oder „Laughingstock“, und wer noch kann nach diesem intensiven Abend, schwingt den ganzen Auftritt über engagiert das Tanzbein. Die ersten Reihen sind geradezu ekstatisch und freuen sich über jeden Ausflug von Sänger Carsten an den Bühnenrand, wo man ihn gar nicht mehr gehen lassen will. Zugaben gibt’s natürlich auch, bei „Richtfest“ und „Snuff machinery“ bebt noch mal die Halle, und der Blick von bzw. neben der Bühne ins Publikum ist beeindruckend. Ein mehr als souveräner Auftritt im familiären Kreis – wer braucht schon eine überfüllte Halle auf dem WGT.
Mittlerweile ist es schon fast Mitternacht, viele sind seit sechs Stunden hier, und erste Ermüdungserscheinungen machen sich breit. Was allerdings fatal ist, denn jetzt kommt gleich ein Künstler, der in 20 Jahren Karriere noch nicht ein einziges Mal auf einer Münchner Bühne stand – umso großartiger, dass das Katzenclub-Team ihn jetzt endlich zu uns geholt hat. Die Rede ist von Andreas Davids aka Xotox, der Fans brachial-elektronischer Tanzmusik natürlich schon seit langem bekannt ist. Klassiker wie „Eisenkiller“, „Mechanische Unruhe“ oder „Verlust“ (das in der Remix-Fassung von Phil J. auch in München oft gespielt wird) sind bekannt, Auftritte wie 2014 auf dem WGT, wo das Täubchenthal gefährlich gewackelt hat, legendär. Wer sich auch nur einen Hauch für diese Art Lärmkunst interessiert, kann bei Xotox nicht stehenbleiben, und ich persönlich habe schon beim Soundcheck von Xotox (vor Spark!) gezappelt, als es hinter mir plötzlich markerschütternd „Schlag zurück!“ dröhnte. Will heißen, auch wenn die Knochen weh tun, die Füße platt sind, die Kameratasche schwer – kneifen gilt nicht. Andreas hat ein exklusives Jubiläumsset aus alten Klassikern und neuem, unveröffentlichtem Material angekündigt, und genau das bekommen wir. Die Hansa 39 ist nun doch etwas leerer geworden, aber dadurch hat jeder genug Platz zum Tanzen, was bis weit hinten auch ausgenützt wird. Die neuen Stücke (die Titel sind noch geheim) passen in ihrer ausgefeilten Brachialität hervorragend zu „Eisenkiller“ – in einer etwas anderen Version -, dem Übersong „Slå tillbaka“ (also „Schlag zurück“), dem „Schwanengesang“ oder zu „Rhythmuskaputt“. Bemerkenswert wie immer sind auch Andreas‘ Ansagen, die kurz, knackig und immer auf den Punkt gebracht sind. „Jetzt mal ein bisschen Disco.“ „Dann machen wir jetzt mal ein bisschen was Ruhiges.“ (Das auch tatsächlich kommt, irgendwann muss man ja auch mal Luft holen.) Viel Zeit für Ansagen ist sowieso nicht, da Andreas heute allein hinter den diversen Kästchen steht und meistens von dort aus seine Musik und die Tänzer vor der Bühne dirigiert. Er geht völlig im Sound auf, hat alles perfekt unter Kontrolle und schickt mit einem fast schon beiläufigen Knöpfendreh immer wieder neue Lärmkaskaden in die Halle. Ab und zu kommt er hinter dem Tisch hervor, zum Beispiel für „Revolution non-stop“ und lässt die charakteristischen Schreie, die zu dem Song gehören, hören. Trocken kommentiert wird der Ausbruch mit: „Einfach mal was rauslassen, wenn einen was nervt. Nazis zum Beispiel. Oder wenn die Hose rutscht.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.
Richtig, richtig altes Material darf mit „Tote Bäume“ und „I want you“ auch nicht fehlen, heute sollen ja schließlich zwanzig Jahre Xotox gefeiert werden. „(Xo)toxic“ und „Grenzdebil“ heizen noch mal final ein, und für eine Zugabe, bestehend aus „Mechanische Unruhe“ und „Nothing“ reicht die Kraft bei allen Beteiligten auch noch. Danach sind alle glücklich, halten sich erschöpft an der nächsten Säule fest oder stürzen zur nächstgelegenen Bar. Hoffentlich war das nicht der letzte Abriss in München!
Die rauschende Festivalnacht ist aber noch nicht vorbei, die Party auf drei (später zwei) Floors geht noch bis in die frühen Morgenstunden. Vielen, vielen Dank an das Katzenclub-Team, das diese tollen Bands nach München geholt und für einen absolut reibungslosen Ablauf gesorgt hat. Die lange Vorfreude hat sich gelohnt, ich habe einige Stimmen gehört, die verträumt was von „hach, fast wie WGT“ murmelten. Wenn das kein Lob ist! Auf die nächsten fünf Jahre, wir sind gern dabei.
(16617)
Schön zusammengefasst.
Meine Meinung zum Festival: https://www.facebook.com/4NDREAS.Konzerte/posts/719267938437806