Growing old, growing cold? – No chance at all!
Dienstag, 11. November 1997, Backstage – damals noch in der Helmholtzstraße und mit schön bedrucktem Ticket, keinem labbrigen Onlineausdruck. No fun at all aus Schweden hatten gerade ihre dritte Platte The big knockover herausgebracht, und nachdem ihre früheren Veröffentlichungen damals schon bei mir in Dauerrotation liefen, musste ich da natürlich hin. Es war ein sensationeller Abend mit allerfeinstem Skatepunk und wundgegrölter Kehle, der mir bis heute in Erinnerung geblieben ist. 21 Jahre später gibt es die Band wieder, mit neuer Platte Grit im Gepäck, die genauso gut kesselt wie früher, und seit Monaten fiebere ich auf den heutigen Abend hin. Mit dabei sind die etwas jüngeren Punkbands Crim aus Spanien und die Amerikaner No Trigger. Das Backstage meldet „fast ausverkauft“ – da werden sicher noch weitere Nostalgiker wie ich heute Abend auf der Matte stehen.
Bei meinem Eintreffen in der Halle um halb acht tun sie das allerdings noch nicht, es herrscht gähnende Leere, die ich zum gemütlichen Einkaufen am Merch-Stand nutze, danach setze ich mich erst mal noch in die Ecke. Nach und nach trudeln ein paar Leute ein, die sich aber noch sehr gelangweilt im hinteren Teil der Halle herumdrücken, als um acht die Katalanen Crim mit quasi nicht vorhandenen Englischkenntnissen, aber dafür umso mehr Power auf der Bühne den Abend eröffnen. Crim aus Tarragona gibt es seit 2011, laut Facebook-Seite sind ihre musikalischen Vorbilder unter anderem Social Distortion, Cock Sparrer, The Damned und Poison Idea, und dank des hervorragenden mehrstimmigen Gesangs (Sänger/Gitarrist Adri, Gitarrist Quim, Bassist Javi und Drummer Marc) denkt man auch öfter mal an Bad Religion, No fun at all, Millencolin und wie sie alle heißen. Abgesehen von den coolen Melodien und ordentlich Dampf sticht das Quartett auch mit seinen katalanischen Texten hervor. Die Lieder gehen oft ineinander über, Ansagen gibt’s nur sehr wenige, das Set ist richtig schön kompakt und gefällt mir sehr gut. Das restliche Publikum ist bei hochklassigen Songs wie „Maneres de viure“, „Cavalls mort“, „Una cançó i una promesa“ oder „Castells de sora“ leider weiterhin sehr zurückhaltend und desinteressiert, beim Cock-Sparrer-Cover „Watch your back“ wachen dann aber doch einige auf. Crim schienen bei ihrem zweiten München-Gig (letzten Herbst beim Pogorausch waren sie schon mal im Backstage) aber trotzdem viel Spaß zu haben, ich lege die Band jedem Liebhaber schnellen, melodischen und teilweise auch mal gar nicht so simplen Punkrocks ans Herz (zum Beispiel über die Bandcamp-Seite).
Die Umbaupause geht dann recht flott, sodass um kurz vor neun schon die Amis No Trigger auf die Bühne kommen, untermalt von Bad Lip Readings „Bushes of love“ (Star-Wars-Fans aufgemerkt). Auch diese Band ist mir bisher unbekannt, dem mittlerweile doch zahlreicher anwesenden Publikum offensichtlich auch, denn die hintere Hallenhälfte verquatscht den Auftritt der alten Hasen aus Massachusetts (bereits seit 2000 gibt es sie mit Unterbrechungen) lautstark und lässt sich nicht mal von Sänger Toms bitterbösem Sarkasmus, dem das Desinteresse des Publikums nicht entgeht, davon abbringen. Oder liegt’s wie so oft an mangelnden Englischkenntnissen? Auf jeden Fall ist das zumindest während der ersten Hälfte des Auftritts wirklich massiv unhöflich, denn musikalisch fehlt sich bei den Amis nichts, wenn man auf derben Punk/Hardcore mit ordentlich Gebolze und weniger Melodien steht. Die Band bietet einen guten Querschnitt aus vier Alben mit Schwerpunkt auf Canyoneer aus dem Jahr 2006 und der aktuellen EP Adult braces. Songs wie „Sleeping bag“, „Neon national park“ oder „My woods“ verbreiten ordentlich Tempo, und „Dogs on Acid“ wird von Sänger Tom eingeleitet mit: „This is for my boy Trump.“ Sehr direkt sind dann die Songzeilen „When will you die? When will it be your time?“, und eine Welt ohne Trump wäre schon sehr viel schöner, aber vielleicht reicht ja auch eine lebenslange Verbannung auf seinen Golfplatz.
Danach merken dann doch ein paar mehr Leute im Publikum, dass da eine Band auf der Bühne steht, und zeigen sich aufmerksamer, in den ersten Reihen gibt es sogar vorsichtige Circle-Pit-Versuche, die aber noch sehr harmlos aussehen. Egal, es passiert wenigstens was, und die Stimmung wird bei „Honshu“, „The (not so) noble purveyors of the third or fourth coming“ oder dem Abschlusssong „Owner operator“ dann doch noch sehr passabel. Endgültig besänftigt ist Tom, als ihm ein Fan mit einem Flaschenöffner fürs zwar bereitgestellte, aber verschlossene bayrische Bier aushilft, und er lässt sich noch zu einem nicht mal sarkastischen „We love it in Europe, we love it in Germany, we love it in Munich“ hinreißen.
Der Abend ist immer noch jung, als No Trigger um kurz nach halb zehn die Bühne verlassen, auf der jetzt hektisch herumgewuselt und alles für die schwedischen Meister des melodischen und rasend schnellen Punkrocks vorbereitet wird. Die Halle ist mittlerweile proppenvoll, die anfänglichen Berührungsängste mit dem Bereich vor der Bühne vergessen, und man sieht viele ältere Semester mit den entsprechenden T-Shirts, aber auch jüngeres Nachwuchspublikum. Große Erwartung liegt in der Luft, und als um zehn dann Sänger Ingemar Jansson, die Gitarristen Mikael Danielsson und Fredrik Eriksson, Drummer Kjell Ramstedt und der neue Bassist Stefan Bratt breit grinsend die Bühne betreten und mit dem genialen „Believers“ das Set eröffnen, explodiert hinter mir schon mal der erste Moshpit. Mit diversen Fremdkörperteilen im Rücken fotografiert es sich nicht so leicht, vor allem, wenn man dann auch noch mitsingen und mitmoshen möchte. Aber irgendwie klappt alles, und bei „No fun intended“ vom aktuellen Album Grit holen die Jungs hinter mir mal kurz Luft. Aber nur kurz, denn „Mine my mind“ vom Album Lowrider gibt wieder gnadenlos Gas. Klassikeralarm verbreiten „Strong & smart“ und „Wow and I say wow“, die wirklich die gesamte Halle mitsingen, die Band kommt aus dem entzückten Grinsen überhaupt nicht mehr heraus. Mittlerweile zieht sich der Moshpit schon bis zur Hallenmitte, ich habe mich an den Rand verzogen und brülle mir von da die Kehle heiser – ganz wie früher. Es liegt eine ungeheure Freude und Begeisterung in der Luft, und es ist toll, dass die Band nach all den Jahren immer noch so viele beinharte Fans hat. Auch auf der Bühne scheint man bis auf ein paar graue Haare nicht wesentlich gealtert zu sein, Ingemars Stimme klingt immer noch so großartig wie vor zwanzig Jahren, und vor allem Stefan und Mikael (in einem Crim-T-Shirt) stehen kaum eine Sekunde still.
Schlag auf Schlag geht es, „The humdrum way“ ist ganz neues Material, „Should have known“ und „Lose another friend“ von der The big knockover, und dann wird es wieder ganz alt und dementsprechend laut in der Halle, als mit „In a rhyme“, „Perfection“ und dem unsterblichen „Growing old growing cold“ die ersten beiden Alben No straight angles und Out of bounds berücksichtigt werden. Mittlerweile haben die Stagediver die Bühne und den Luftraum über dem Publikum erobert, und zwischendurch muss der Moshpit öfter mal nach oben schauen und Menschen weiterreichen. Das klappt super, die Security neben mir ist tiefenentspannt, und bei aller Bewegung in der Halle passen alle aufeinander auf. Beim neuen „Runner‘s high“ holen die meisten mal kurz Luft – aber wirklich nur ganz kurz -, denn bei „Suicide machine“ und „I won’t believe in you“ muss man ganz dringend wieder mitsingen und sich die Seele aus dem Leib moshen. Die etwas neueren „Never ending stream“ und „Forth“ gewähren den meisten eine kleine Verschnaufpause – sprich, man mosht nur noch, die Texte sitzen noch nicht so gut -, bevor Ingemar mit „In a moment“ „a song that’s good for you“ ankündigt. Überhaupt Ingemar: Wie ein Zeremonienmeister hat er vom Mikro aus alles im Griff, schaut zufrieden lächelnd auf die tobende Menge vor ihm und singt wie ein junger Gott, auch wenn man ihm das nicht mehr ganz junge Alter manchmal anmerkt. Nach dem brachialen Abriss „Evil worms“, nach dem ich dann endgültig heiser bin, gibt es ein paar technische Probleme, die aber souverän und schnell behoben werden, bevor es dann mit „Out of bounds“ und „Spirit“ auf die Zielgerade geht. Zwanzig Songs in gerade mal einer Stunde? Respekt! Aber wir haben trotzdem noch nicht genug und pfeifen und klatschen die Herren umgehend auf die Bühne zurück. Bei „Catch me running round“ bittet Ingemar um den „biggest fucking pit in … Munich“, und wer will ihm eine solche Bitte schon abschlagen. Die Menge wogt und pogt bis hinter zum Merch, gibt wirklich alles, sodass Ingemar dem Schauspiel danach „South American quality“ bescheinigt. Wer weiß, wie die südamerikanischen Fans abdrehen, kann sich ein Bild vom Publikum in München machen. Bei „Where’s the truth“, „Beachparty“, „I have seen“ und „Beat ‘em down“ steigt die Temperatur in der Halle dann noch mal um ein paar Grad, eigentlich kann schon keiner mehr, und Ingemar meint vor dem letzten Song auch nur lapidar „I’m too old for this shit“, aber eines darf einfach nicht fehlen (und wurde seit gefühlten Stunden hinter mir immer wieder lautstark herbeigekreischt): „Master celebrator“. Alles, wirklich alles singt mit, und als es dann tatsächlich vorbei ist, wird man auf einer gigantischen Schweißwelle aus der Halle getragen. Der halbe S-Bahnsteig schwelgt dann noch in Erinnerungen und Videoaufnahmen, ich singe später im Schlaf sogar noch die „Evil worms in my head“.
Sverige levererar, kann man da nur sagen, das war eine astreine Leistung von No fun at all mit hohem Nostalgiefaktor, aber genauso starkem neuem Songmaterial. No Trigger mussten mit dem ignoranten Publikum kämpfen, haben das Ruder aber noch mal rumreißen können, Crim haben sich heute bestimmt einige neue Fans erspielt – ich jedenfalls werde die Katalanen im Auge behalten.
(Ach ja, war das eigentlich ein Scherz, dass auf dem Hinweisschild an der Halle, wo sich heute der Einlass befindet, No use for a name stand? Wunschdenken? Die klingen zwar ganz ähnlich wie No fun at all, aber knapp vorbei ist trotzdem daneben …)
Setlist No fun at all:
1. Believers
2. No fun intended
3. Mine my mind
4. Strong and smart
5. Wow and I say wow
6. The humdrum way
7. Should have known
8. Lose another friend
9. In a rhyme
10. Perfection
11. Growing old growing cold
12. Runner‘s high
13. Suicide machine
14. I won’t believe in you
15. Never ending stream
16. Forth
17. In a moment
18. Evil worms
19. Out of bounds
20. Spirit
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21. Catch me running round
22. Where’s the truth
23. Beachparty
24. I have seen
25. Beat ‘em down
26. Master celebrator
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