Lichter im Dunkel

Das sowieso schon äußerst erfreuliche Konzertjahr 2023 bietet kurz vor dem Jahreswechsel noch mal ein echtes Highlight des Metal-Untergrundes. Nach zehn langen Jahren haben die Münchner Nebelkrähe 2023 ihr drittes Album ephemer veröffentlicht und werden das am heutigen Abend mit einer zünftigen Release-Show feiern – dem ersten Bühnenauftritt nach sechs langen Jahren. Mit ins Boot geholt haben sich die (Avantgarde) Black Metaller die Münchner Lighthouse sowie die Augsburger Pursued, die Sause findet im Backstage als Teil der Weihnachtsfeiern statt und ist damit für umme. Raus aus dem Plätzchenkoma also, rein ins Konzert.
DSC_9494-Verbessert-RRDer Backstage Club ist um acht noch eher locker gefüllt, was sich im Lauf des Gigs von Pursued aber noch ändert. Das Augsburger Quartett ist seit 2020 aktiv und hat im selben Jahr auch gleich das Debütalbum Decay veröffentlicht. Das gibt es heute fast vollständig und in Albumreihenfolge, was sehr gut funktioniert. Atmosphärischer Extrem-Metal irgendwo zwischen Black und Post mit teils tiefergelegten Vocals, teils Screams, alles mit ordentlich Druck serviert, der gleich in die Nackenmuskeln geht. Songtitel wie „Despair“, „Restless“ oder „Denial“ geben die Richtung vor, schwere, düstere Emotionen, die die Musik sehr schön transportiert. Die vier Musiker sind hochkonzentriert bei der Sache und liefern eine rundum saubere Leistung. Völlig zu recht werden sie von den ersten Reihen euphorisch und mit „Zugabe“-Rufen abgefeiert, und der Rest des mittlerweile doch deutlich volleren Clubs reagiert ebenfalls sehr positiv. Gerne wieder!

DSC_9600-Verbessert-RRNach kurzer Umbaupause entern Lighthouse die Bühne, die ich schon länger endlich mal live sehen wollte. Ihre EP A debut hatte mich 2020 schon begeistert, das Debütalbum I aus dem Jahr 2022 stand dem in nichts nach. Kein Wunder, sind hier doch unter anderem mit Raphael und Nik zwei ehemalige Mitglieder von Abandoned Dreams am Werk, die uns bei Schwarzes Bayern früher schon schwer mitgerissen und die wir dann später auch sehr vermisst haben. Ein bisschen lebt der Geist von Abandoned Dreams in Lighthouse weiter, auch hier werden wunderschöne und zugleich brachiale musikalische Weiten erschaffen, in denen man sich hervorragend verlieren kann. Auch live, wie mir schon nach wenigen Minuten im „Temple of nothingness“ klar wird. Ich lasse mich von den musikalischen Wogen fortreißen, das Licht des Leuchtturms trotzdem immer ein fester Anker, und die circa vierzig Minuten Spielzeit vergehen wie im Flug. Kein Wunder, bei starken Song wie „As the trees …“, dem bisher unveröffentlichten (?) „Salem lights“ oder dem abschließenden „Collapsing light“. Entsprechend groß ist der Beifall, als das Quartett schließlich von der Bühne geht. Auch hier: Gerne wieder!

DSC_9761-Verbessert-RRUnd dann ist es soweit, endlich werden Nebelkrähe das neue Album ephemer live präsentieren, zusammen mit den (nicht mehr total) neuen Bandmitgliedern Nys am Bass und Miserere an der Gitarre. Die letzten Wochen hatten ein paar ordentliche Zittermomente bereitgehalten – erst eine größere Verletzung an Gitarrist Morgs Hand, dann noch eine gerissene Sehne im Mittelfinger derselben Hand -, doch der Auftritt kann stattfinden, und es liegt freudige Aufregung im mittlerweile wirklich knallvollen Club. Die Bühne wird von einigen Tischlampen in wunderbar warmes, gelbliches Licht getaucht, das hervorragend zum Outfit und Corpsepaint der fünf Musiker passt. Weiße Hemden, braune Westen und Hosen, weiß-schwarze Schminke – alles irgendwie Black Metal und doch auch wieder überhaupt nicht. Wie auch die Musik, die sich ganz schwer kategorisieren lässt, und das meine ich äußerst positiv. Mit starken Wurzeln im Black Metal leben Songs wie „Das Karussell“ (vom 2013er Album Lebensweisen), „Tumult auf Claim Abendland“ (von ephemer) oder „Der Flaneur“ (ebenfalls von Lebensweisen) von der großen Bandbreite an musikalischen Einflüssen, von atmosphärisch-melancholischen Melodien und dem Durchbrechen sämtlicher Genregrenzen. Wichtiges Element ist neben den kunstvollen deutschsprachigen Texten die Gesangsperformance von Sänger umbrA. Er lebt die Songs auf der Bühne, schreit, keift, flüstert, deklamiert sich durch die Texte, untermalt Worte und Emotionen mit ausladenden Gesten und nutzt den wenigen Bühnenraum voll aus. Die anderen Bandmitglieder zimmern einen fantastisch dichten Sound, der mir vor allem beim brachialen „Über den Fluss hinweg“ (vom ersten Album entfremdet) auffällt. Ein nächster Höhepunkt ist das höllisch intensive und temporeiche „Nielandsmann“, bei dem auch im Publikum ordentlich Bewegung herrscht, bevor der Auftritt mit „Die Strandbar von Scheria“ furios endet. Die Musiker verlassen die Bühne, Morg knipst eine Lampe nach der anderen aus, es ist vorbei. Und es war großartig.

Ein rundum gelungener Abend mit erfreulich großem Publikumszuspruch und drei hervorragend zueinander passenden Bands, und man konnte sogar Bücher kaufen (nämlich das hier: Metallisierte Welt, von Moritz Grütz) – Herz, was willst du mehr. Wenn das neue Jahr konzerttechnisch so gut beginnt, wie das alte heute (für mich) aufgehört hat, dann kann nichts schiefgehen. Ach ja, und support the underground!

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch:

Setlist Nebelkrähe

ebenbürdig
Das Karussell
Tumult auf Claim Abendland
ephemer
Der Flaneur
Blick vom Ebenholzturm
Über den Fluss hinweg
Et in Arcadia Ego.
Nielandsmann
Die Strandbar von Scheria

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