Kein Gott! Kein Staat! Für immer Hildegard!

Burnout-OstwestJaja, 1976, nur drei Akkorde, Schweiß und Pogo, und 1982 war der Punk auch schon wieder tot. Das ist eine mögliche Sichtweise, für die es auch Gründe gibt. Trotzdem gab und gibt es immer eine Nische, in der der Geist von Punk abseits der Kommerzialisierung gelebt wird. Die 2020 in Bremen gegründeten Burnout Ostwest sind so ein Beispiel. Die Band besteht aus Felix Büttner (früher Saxophon bei Schwarz auf Weiß), der auch bei Alltag am Synthesizer aktiv ist, und Hannes Gehring, auch Mitglied bei Mercedes Jens und den Überfliegern Team Scheiße. Dabei beschränken sie sich eben nicht auf die obligatorischen drei Akkorde, sondern setzen auch auf reichlich elektronische Elemente. Und dann noch das Cover vom neuen Album Bremer Schule, auf dem rotzfrech das Haus der legendären Monarchie und Alltag von Fehlfarben abgerissen wird.

„Mein Benzin, Gasolin!“ zeigt direkt zu Beginn, wo es langgeht. Hektischer Sprechgesang wird durch Group-Shouts unterstützt und mit mehrstimmigem Chorgesang abgerundet. Dazu kommt die Musik, Lo-Fi Punk, bei dem der Einsatz von Synthesizern ein wichtiges und bestimmendes Merkmal ist. Team Scheiße ist eine nicht zu leugnende Referenz. „Kennst du eigentlich die Hamburger Schule?“ Die Frage lasse ich einmal unbeantwortet, aber mit der im Text angesprochenen „Goodlife-Crisis“ können wahrscheinlich wir alle etwas anfangen. Ein Sprachsample eröffnet „Rauchen gegen Rechts“, und spätestens jetzt wird die Nähe zu Pisse offensichtlich. Der Song wendet sich gegen die Gentrifizierung alternativer Wohnviertel und stellt gegen Ende ohnmächtig fest: „Der Traum ist aus!“, was eine Hommage an Ton Steine Scherben ist. Und darin heißt es trotzig: „Aber ich werde alles geben, dass er Wirklichkeit wird.“ Ich denke, das ist eine versteckte Anregung. Es folgt „Lebenserfahrung kann man nicht googeln“, das allen Das-wird-man-doch-noch-mal sagen-dürfen-Sagern gewidmet ist. Das Gitarrenspiel in der Bridge ist saucool, kommt mir aber auch irgendwie bekannt vor. Ich komme einfach nicht drauf, und dann folgt schon das Stakkato von „Ich bin Fleischer und das ist zu wenig Fleisch“, das mich einfach mitreißt. Der Gesang ist hier auf den Punkt und schielt fast schon ein wenig Richtung Hip Hop.
Auch „Alles gut an der Heimatfront“ besitzt einen treibenden Rhythmus, und irgendwas daran erinnert mich an DAF. Der Sprechgesang legt sich einfach irgendwie darüber und steht über allem wie der Protagonist des Songs. Auch Arbeit steht über allem wie in „Roboter erwürgt Arbeiter“ dargestellt. Es sei denn, das Geld arbeitet für eine*n. In „Blöder Mann mit komischen Armen pinkelt auf den Osterhasen“ wird in Frage gestellt, inwieweit angeblich feministische Männer tatsächlich solche Positionen vertreten. Da können alle Männer einmal ihr Denken reflektieren. Schon wegen der Minimal-Strukturen und dem nach Theremin klingenden Synthie ist das folgende „Der Donnergott ist auf dem Weg meine Brüder und Schwestern“ eins meiner Favoriten. Aber auch inhaltlich spricht es mir aus der Seele, indem es sich gegen Neu-Heidnische Rechtsausleger in der Wikinger-Szene wendet. Eine wirklich schönes Gitarrenspiel bestimmt „Mein Lover ist ein Trickbetrüger“, das ich so eher bei Isolation Berlin verortet hätte. Auch der Bass passt sich an, und somit gibt es zum Ausklang eine Prise Post Punk.

Fazit: Burnout Ostwest schließen die Lücke zwischen Pisse und Team Scheiße, von der ich nicht einmal wusste, das es sie gibt. Irgendwie zwischen Rave- und Schrammel-Punk, und jetzt geht es plötzlich nicht mehr ohne. Toll, dass Punk immer wieder für eine Überraschung gut ist. Am wichtigsten sind dabei die Texte der Bremer Schule, die voller Witz, Wortspielen und beißendem Sarkasmus schön gegen gesellschaftliche Missstände auskeilen. Der Preisträger für die Songtitel des Jahres steht schon mal fest. Die leicht rotzige Aufnahme und der alles andere als perfekte Gesang sorgen für Authentizität, und beides gefällt mir richtig gut. Das ist eben Punk und kein Autotune-Pop.

Anspieltipps: Ich bin Fleischer und das ist zu wenig Fleisch, Der Donnergott ist auf dem Weg meine Brüder und Schwestern

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch:

Burnout Ostwest: Bremer Schule
Golden Press, Vö. 16.05.2024
MP3 gegen Spende über Bandcamp

LP 18,00 € über Golden Press
https://burnoutostwest.bandcamp.com/

Tracklist:
01 Mein Benzin, Gasolin!
02 Kennst du eigentlich die Hamburger Schule?
03 Rauchen gegen Rechts
04 Lebenserfahrung kann man nicht googeln
05 Ich bin Fleischer und das ist zu wenig Fleisch
06 Alles gut an der Heimatfront
07 Roboter erwürgt Arbeiter
08 Blöder Mann mit komischen Armen pinkelt auf den Osterhasen
09 Der Donnergott ist auf dem Weg meine Brüder und Schwestern
10 Mein Lover ist ein Trickbetrüger

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