Industrial Rhythm & Destroyed Voice Noise

SYLKER_CoverSylker, wonach klingt das? Hört sich das nicht nach etwas Seidigem, Schmeichelndem, leicht Eingängigem an? Ha! Von wegen – zum Glück. Der Name und das Projekt sind aus der Kombination von Sylvgheist Maëlström und Soul Stalker entstanden. Deren Zusammenarbeit nahm ihren Anfang bereits 2009 als Live-Act, in dem Vincent Ripoll Vocals zu Julien Sylvgheists für gewöhnlich wortlosen Industrial-Breitwand-Noisescapes beisteuerte. Danach trat man immer wieder einmal miteinander auf, warf die eigene Musik zusammen und übertrug die Songs anderer Leute aus anderen Stilen in eine gemeinsame elektronische Welt. Das Projekt entwickelt eine eigene Identität und eigenes Material, und nun, zehn Jahre nach dem ersten Zusammentreffen, bekommt es folgerichtig auch ein eigenes, schlicht selbstbetiteltes Release.

Dass hier Herr Sylvgheist zugange ist, ist schon bei den ersten Klängen des Openers „Loosing [sic] my mind“ unverkennbar. Niemand sonst stellt einem so plastisch ganze Landschaften vor die Ohren, in deren gründlich zerstörten Weiten und Tiefen man sich prompt verliert, weitergetragen von komplexen, breakigen Beats, die mal vornewegwüten, mal selber im Hintergrund wandern. Und nun bekommt man dazu noch menschliche Gesellschaft in Form von harschen, ziemlich klassischen EBM-Vocals, die mich manchmal mehr an The Klinik als an Soul Stalker erinnern. Das passt, keine Frage, aber wird hier das eine zum anderen addiert, oder reagiert da etwas miteinander? Zwischen allem, was passiert, und das ist viel, sind hier oft gerade die Vocals der noch am ehesten gleichbleibende rote Faden; eine Aufforderung, die üblichen Hörgewohnheiten gerade umzudrehen. Das funktioniert für mich nicht immer sofort, bei „I gave you“ und „No noise“ komme ich nicht so schnell vom Eindruck „Sylvgheist Maëlström plus Vocals“ weg (was die Sache natürlich nicht schlechter macht). Bei anderen Tracks aber geht es über eine bloße Kombination weit hinaus, und ja, da entsteht definitiv etwas Neues: Musikalisch noch etwas harscher als die beiden „Grundzutaten“, thematisch offen für Interpretationen, die Atmosphäre zwischen postapokalyptisch und exoplanetar. In „Crack“ und „Rule the world“ fungiert die Stimme beinahe als weiteres Instrument im industriellen Arsenal, steht irgendwo im Raum, verbindet sich mit anderen Elementen oder wird als Echo zwischen Klangwänden hin und her geworfen; „Your leader“ wird auf diese Art zu einem grandiosen Kurzfilm in Ton und Stimme. Anders, aber genauso gut funktioniert es in „Killed“, wenn bei aller Abstraktion beinah klassische Strukturen und latente Melodien erkennbar werden und Vincent Ripoll fast schon, huch, singt – ein Song, ein Song, und was für einer! Extrem komplex und extrem mitreißend, mit krasser Energie, sehr schlecht zum Stillsitzen. „The light“ klingt wie fünf verschiedene Sommerhits, mehr oder weniger simultan von den leiernden Kasettendecks in acht kaputten Autos gespielt, während sie schon durch die Schrottpresse wandern. Und mit „Hate yourself“ endet das Album auch auf der beinahe songlastigen Seite, der Track ist hochtanzbar, eine kaputte Version von upbeat. Die Disco steht schon lange nicht mehr, aber die Musik spielt immer noch: zersupersägter Technobruch. Tanzt, tanzt, wir sind alle verloren.

Auch wenn der Name das Projekt als eine bruchlose Verbindung zweier Einzelprojekte erscheinen lässt, das Ganze ist hier wirklich etwas anderes als die Summe seiner Teile. Trotz – oder möglicherweise gerade wegen – einschlägiger Vorprägung (und Vorbegeisterung) habe ich den Zugang zu diesem Album so richtig erst beim zweiten Durchgang gefunden. Da aber knallte mir dann plötzlich eine ganz eigene Intensität und Energie um die Ohren, die ich genau so noch nicht gehört hatte. Auf jeden Fall in Ruhe rein- und zu Ende hören! Das Album wird mit der Zeit immer stärker und je öfter ich es höre, desto mehr neige ich zu 5/5. Aber ich glaube, das zweite Werk dieser Zusammenarbeit (falls es hoffentlich soweit kommt) wird noch eigener und noch besser, darum:

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch2:

Anspieltipps: Killed, Your leader, The light, Hate yourself

Sylker: Sylker
Self-released, Vö. 15.04.2019
Download 7 Euro (wahlweise mehr), https://sylker.bandcamp.com

https://sylker.net

Tracklist:
01. Loosing my mind
02. Crack
03. I gave you
04. No noise
05. Killed
06. Your leader
07. The light
08. Rule the world
09. Hate yourself

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