Der Kreis schließt sich

schattenschrei

Ostern bin ich abgetaucht in eine Welt, die ich so genau eigentlich gar nicht kennenlernen wollte: Ich las von kleinen Jungen, die man in einem Schweinetrog aufeinander eindreschen ließ bis einer von beiden tot war, von „verhaltensauffälligen“ Kindern, die man einer Lobotomie unterzog, ich musste mir Schamlippen in einer Schachtel vorstellen und Gürtel aus weiblichen Brustwarzen, die aufgehängten Genitalien von 44 Jungen sowie ein Initiationsritual in einem Elite-Internat, das aus Hundekot-Essen bestand. Aber vor allen Dingen musste ich in der Victoria-Bergman-Trilogie weiterlesen, um möglichst schnell zu erfahren, ob alles aufgedeckt und gesühnt wird.Kommissarin Jeanette Kihlberg ist dick drin in ihrer Ermittlung zu den Fällen von Frauen, die alle eins gemeinsam haben: Sie waren vor 25 Jahren auf dem gleichen Internat wie Victoria Bergmann, bei deren Familie alle Fäden zusammenzulaufen scheinen. Je mehr Jeanette eintaucht in dieses Geflecht aus Misshandlung, Pädophilie, Kindesmissbrauch (Hauptthema in Band 1 Krähenmädchen) und lebenslanger Loyalität der Täter untereinander, desto mehr braucht sie eigentlich ihre Freundin, die Psychologin Sofia Zetterlund. Allerdings leidet Sofia immer mehr an Bewusstseinsstörungen. Oft kommt sie in ihrer Wohnung zu sich, Schuhe und Fußboden schmutzig, aber sie weiß nicht, wie lange sie weg war und was sie tat.

Jeanette scheint mit ihren Ermittlungen erfolgreich zu sein: Es wurden eindeutig zwei Frauen aus dem damaligen Internat als Mörderinnen identifiziert. So endet Band 2 Narbenkind, und damit beginnt der dritte Teil: mit einer Kindheitserinnerung eines jungen Mädchens namens Madeleine an einem Strand und mit einem brennenden Auto in Södermalm, darin die beiden vermeintlichen Mörderinnen.

Plötzlich taucht nun also Madeleine auf, ein 20-jähriges Mädchen, das als Säugling zu Pflegeeltern kam, die sie nicht Mama und Papa nennen durfte. Sie befand sich gezwungenermaßen in den gleichen Kreisen wie zuvor Victoria Bergman und hört jetzt, um sich in der fremden Stadt Stockholm zu beruhigen, Joy Division und „She’s lost Control“, das Lied passt unheimlich zu dem, was sie als ihre Aufgabe sieht. Seite um Seite wird das, was man sich bislang zusammengereimt hat, worüber man sich annähernd sicher war, demontiert. Nichts ist mehr, wie es schien. Klar ist nur eines: Madeleine ist ein Racheengel. Und sie schließt den Kreis zur Vergangenheit.

Ich war sehr gespannt, wie die Autoren diese Geschichte um eine generationenübergreifende Machenschaft perfider Geschehnisse auflösen werden, wie diese multiplen Personen, die zum Teil selbst wissen, dass sie nicht die sind, die sie zu sein scheinen, aufgelöst werden. Ich hatte an einen fulminanten Schluss wie am Ende von Psycho gedacht oder an eine Auflösung à la The sixth Sense. Leider war das Ende für mich aber sehr unbefriedigend. Wahre Täter wurden nicht gefasst, rettenswerte Geschöpfe zu spät aufgefunden, Beziehungen beendet, bevor sie richtig begonnen haben. Aber es war ja auch bislang der erste Roman (wenn auch auf drei Bände aufgeteilt) des Autorengespanns namens Erik Axl Sund. Beim nächsten Mal sollten sie sich ein bisschen kürzer fassen, weniger unappetitliche Details bringen, die mit dem Fall nicht direkt zu tun haben, und vor allen Dingen mit viel weniger Namen um sich werfen, sei es von Menschen, Straßen oder Orten. Dann haben sie das Potential zu gruseligen Thriller-Autoren, denen man im Dunkeln nicht begegnen möchte.

Übrigens habe ich zu zwei Namen im Buch recherchiert: Die Serienmörder Ed Gein und Andrei Romanowitsch Tschikatilo gab es wirklich, was bedeutet, dass die eine oder andere Abartigkeit nicht aus den Gehirnen der Stockholmer Krimiautoren stammt. Beruhigend?

:buch: :buch: :buch: :buch2: :buch2:

Erik Axl Sund: Schattenschrei
Goldmann Verlag (17. November 2014)
Broschiert: 448 Seiten
12,99 Euro
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