Zeitlose Synthiemelodien
Erst kürzlich haben De/Vision ihr dreißigjähriges Bandjubiläum gefeiert und auch gleich ein neues Album namens Citybeats vorgelegt – ruhiger will man es offensichtlich auch im gesetzteren Bandalter nicht angehen lassen. Warum auch, wenn man noch genug Ideen hat und immer noch ein wichtiger Teil der Synthiepopszene ist. Steffen Keth und Thomas Adam haben schon lange ihren Sound gefunden und perfektioniert und im Lauf der Jahre zeitlose Melodien geschaffen, in die sich neues Material nahtlos einfügt. Vor zwei Jahren waren De/Vision das letzte Mal in München und haben ihren Fans einen grandiosen Abend beschert, heute wollen sie das wiederholen.
Nach etwas verzögertem Einlass ist die Backstage Halle dann von Anfang an gleich kuschlig voll, und die Die-hard-Fans postieren sich bereits in den ersten Reihen. Als Konzertbeginn ist 20.30 Uhr vorgesehen, entsprechend fieberhaft ist die Stimmung. Viele – inklusive mir – haben allerdings nicht gelesen, dass es doch eine Vorband geben wird, weshalb die Überraschung groß ist, als nicht das altbekannte Duo mit Drummerverstärkung die Bühne betritt, sondern ein junger Mann und eine junge Frau, die sich freundlich und zurückhaltend als Christian und Franziska, kurz Part vorstellen. Die beiden haben sich langsamem und melancholischem Synthiepop verschrieben, der bei entsprechender Stille in der Halle durchaus seine Wirkung entfalten kann, doch herrscht anfangs ein hoher Gesprächslärmpegel im Raum, was furchtbar unhöflich ist. So gehen die ersten Songs „Scream of the monkey“, „Coming home“ und „Subdue“ leider ziemlich unter, auch Franzis Stimme hätte man ein wenig kräftiger in den Vordergrund mischen können – denn singen kann die Frontfrau, keine Frage. Nach anfänglicher starker Zurückhaltung wagt sie sich auch ein wenig hinter dem Mikro hervor und tanzt verträumt, wenn sie nicht gerade singt. Eindeutig mehr Aufmerksamkeit wird dem Duo zuteil, als Christian erzählt, wie schlimm beide den Abschied Alan Wilders 1995 von Depeche Mode fanden, weshalb sie jetzt einen Song seines Soloprojektes Recoil spielen werden. Bei „Drifting“ wird es dann schlagartig ruhiger in der Halle, und auch der Jubel nach Liedende ist lauter und euphorischer. Der restliche Auftritt wird dann auch aufmerksamer wahrgenommen, sodass sich Christian und Franzi nach drei weiteren Songs, darunter das Depeche-Mode-Cover „Waiting for the night“, erleichtert und sehr erfreut von uns verabschieden.
Mir ganz persönlich ist die Musik von Part ein wenig zu zart und zurückhaltend, aber die beiden verstehen unbestritten ihr Handwerk, zumal sie schon seit Anfang der 2000er Jahre aktiv sind! Und was mir erst beim Recherchieren klar wurde: Christian Schottstädt ist auch Frontmann der sehr erfolgreichen Band Forced to Mode – dafür bin ich dann zu wenig Devotee, um den Zusammenhang sofort herzustellen, aber jetzt sollten doch genug Stichworte gefallen sein, damit alle DM-Fans, die Part bisher noch nicht kannten, mal auf der Bandcamp-Seite des Duos vorbeischauen.
Die Umbaupause ist dann recht kurz, und schon bald stehen Drums, Synthies und ein Mikro auf einer erhöhten Ebene auf der Bühne bereit, an deren Fuß LED-Leuchtbänder verlegt sind. Außerdem stehen auf beiden Seiten diverse große Strahler, sodass wir uns wieder auf eine ausgeklügelte und sicher beeindruckende Lichtshow freuen können. Zu Beginn ist es allerdings noch ziemlich finster auf der Bühne, als De/Vision mit „A pawn in the game“ vom aktuellen Album ihren Auftritt beginnen, besonders Steffen Keth ist eigentlich nur zu hören. Das ändert sich jedoch bald, als er nach vorne an den Bühnenrand kommt und von dort aus das weitere Konzert bestreitet – inklusive der bekannten ausgreifenden Tanzeinlagen natürlich. Mit „I regret“ bringen De/Vision schon sehr früh einen ihrer absoluten Klassiker, was aber natürlich die Stimmung in der mittlerweile sehr gut gefüllten Halle sofort in die Höhe treibt. Die ersten Reihen singen und tanzen jetzt schon mit, und überall im Publikum wiegen sich die Leute. „Time to be alive“, „Endlose Träume“ und „Remember“ setzen da als Klassikerblock noch einen drauf, und diese ganz spezielle euphorische Stimmung, die mir schon bei diversen De/Vision-Konzerten aufgefallen ist, entfaltet sich jetzt vollständig. Die ersten Reihen feiern ihre Synthiehelden gnadenlos ab und frisst den dreien auf der Bühne, vor allem Steffen Keth, aus der Hand. Das aktuelle Album darf aber natürlich nicht vernachlässigt werden, die Publikumsreaktion auf „Not in my nature“ sind gleichermaßen euphorisch – allerdings ist das nachfolgende „Synchronize“ doch noch mal eine andere Hausnummer. Hier wiege ich mich auch und blinzele ein wenig Feuchtigkeit aus den Augen, denn der Song ist wirklich traumhaft schön. Ebenfalls vom 2016-Album 13 ist „Their world“, bis es mit „Blue moon“ dann wieder richtig alt wird. Auch „Dinner without Grace“ ist einer der zeitlosen Klassiker der Band, der entsprechend abgefeiert wird. Nach dem sehr getragenen „Essence“ präsentieren De/Vision den wahrscheinlich besten Song des aktuellen Albums, „They won’t silence us“, eine epische Synthiehymne. Das ebenfalls neue „Under heavy fire“ kann da nicht ganz mithalten, aber eine kurze Verschnaufpause ist ja auch nicht schlecht. Bei „Love will find a way“ und dem Hit „Try to forget“ darf dann wieder geschwelgt und ausgiebig getanzt werden, bevor es mit „Rage“ für De/Vision-Verhältnisse richtig heftig wird – das tut der Band auch gut, und so ein paar zackigere Elemente könnte es wegen mir öfter geben. Das Publikum freut sich dann allerdings noch viel mehr über „Your hands on my skin“, der Mitsingchor ist beeindruckend. Mit „A storm is rising“ von Citybeats endet der reguläre Konzertteil, doch die Fans wollen natürlich einen Nachschlag, den sie auch bekommen. „Flavour of the week“ und „Last goodbye“ entlassen das begeisterte Publikum in die Aftershowparty von DJ Sconan oder was auch immer der Freitagabend noch zu bieten hat.
Wirklich falsch können De/Vision zu diesem Zeitpunkt ihrer Karriere sowieso nichts mehr machen, alte und neue Songs passen hervorragend zusammen, und die Fangemeinde ist mit der Band mitgewachsen. Mir ganz persönlich waren ein paar sehr gefällige, getragene Songs zu viel im Set, andererseits kamen auch einige meiner Favoriten, insofern gleicht es sich auch wieder aus. Man hätte die Vorband Part noch ein bisschen mehr ankündigen können, aber vielleicht hat sich das auch erst kurzfristig ergeben. So war der Anfang des Abends etwas holprig für alle Beteiligten, doch dann hat man sich noch gut aufeinander eingegroovt.
Setlist De/Vision
1. A pawn in the game
2. I regret
3. Time to be alive
4. Endlose Träume
5. Remember
6. Not in my nature
7. Synchronize
8. Their world
9. Blue moon
10. Dinner without grace
11. Essence
12. They won’t silence us
13. Under heavy fire
14. Love will find a way
15. Try to forget
16. Rage
17. Your hands on my skin
18. A storm is rising
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19. Flavour of the week
20. Last goodbye
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