Let’s kick ass – and some brain

Es ist heiß in München, sehr heiß. Außerdem liegt ein (hoffentlich) durchfeiertes langes Wochenende hinter Locations und Gästen. Zwar regnet es mittlerweile immer mal wieder und hat ein paar Grad abgekühlt, doch das trägt erst recht zur klamm-klebrigen Treibhausatmosphäre draußen wie drinnen bei. Nicht die besten Voraussetzungen für diesen Dienstag – Feiertag – und das von mir schon lange ersehnte Konzert mit Coltaine, Messa und Crowbar in der Backstage Halle. Bekanntermaßen sind die verschiedenen Backstage-Konzerträumlichkeiten Münchens größte Sauna, was manchmal durchaus anstrengend werden kann. Nachdem die drei angekündigten Bands aber alle eher im Mid- bis Slow-Tempo-Bereich unterwegs sind, wird die Luft schon zum entspannt-tiefergelegten Kopfnicken reichen. Oder? ODER?

DSC_5566-Verbessert-RRDie Befürchtungen bewahrheiten sich, in der Halle laufe ich – zugegeben etwas abgehetzt – erst einmal gegen eine solide Hitze-, aber auch Menschenwand. Huch? Noch vor der ersten Band sind alle da? Mitnichten, vorne stehen einfach kaum Leute, da ist aber auch gar keine Luft. Und ob das noch mehr Besucher*innen werden? Mal schaun … Coltaine aus Karlsruhe gehen jedenfalls pünktlich um Viertel vor acht auf die Bühne, ungeachtet der mageren Publikumskulisse, von der auch quasi kaum jemand etwas mit dem Namen der Band anfangen können dürfte (den es zumal erst seit 2022 gibt, als sich die Band nach acht Jahren Existenz als Witchfucker umbenannt hat). Doch spätestens nach dem ersten Song „Black spot“ – atmosphärischer Beginn, gefolgt von tonnenschweren Riffs – dürfte klar sein, dass man sich den Vierer um Sängerin Jules dringend merken muss. Geboten wird eine Mischung aus Doom, knarzigen Stoner-Elementen, einer ordentlichen Prise Black Metal, etwas Hippie-Flair und vor allem Jules’ Stimme, die zwischen zarten Tönen, Sprechgesang und feinstem Growlen changiert. Songs wie das heftige „Culling“ oder „Verlust“ (vom Album Mutter Morgana) bauen eine psychedelisch-rockig-doomig-sludgige Atmosphäre auf, die trotz der krassen Temperaturen unter die Haut geht. Moe und Benedikt Berg an Gitarre und Bass sowie Amin Bouzeghaia am Schlagzeug zimmern einen fetten Soundteppich für Jules’ extrem abwechslungsreichen Gesang und ihre mal verträumte, mal explosive Performance. Ein weiteres Highlight ist das zehnminütige „When tigers used to smoke“, ein Song vom neuen Album, das im Herbst (und wie immer live) aufgenommen werden soll – man darf gespannt sein! Bei einem Song – „Danse“? – überlässt Jules der Tänzerin Julie Grimm das Rampenlicht und zieht sich mit Schellenring in den Hintergrund zurück. Julie bietet eine orientalisch inspirierte Tanzperformance, die toll anzusehen ist, deren Sinn sich an dieser Stelle des Gigs allerdings ohne Hintergrundwissen nicht so recht erschließt (oder ist mir was entgangen?). Den letzten Song kündigt Jules mit „Hallo München, wir sind Coltaine aus Karlsruhe an“, bedankt sich beim – zahlreicher werdenden, puh – Publikum und wünscht uns noch viel Spaß bei den nachfolgenden Messa und Crowbar. Der letzte Song ist eine richtig schön garstige Abrissbirne, die uns noch mal ordentlich die Frisuren durcheinanderbringt (ein Blick auf die ausliegende Setlist offenbar „Gorit“, die Anfang August veröffentlichte brandneue Single), und danach werden Coltaine mit gebührendem Applaus verabschiedet. Wer die Karlsruher noch nicht kennt, sollte das dringend nachholen!

DSC_5623-Verbessert-RRSo schön es ist, dass das Publikum mehr wird – und es wird auch klar, dass ein Großteil wegen Messa aus Italien anwesend ist –, die Luft wird weniger, und wir alle keuchen sehr. Egal, jetzt steht gleich die Band auf der Bühne, die mich beim Dark Easter 2022 mit am meisten beeindruckt hat, gerade weil sie nur mit „hör’s dir selbst an“ zu charakterisieren ist. Grob gesagt spielen Messa Doom, rühren aber noch ordentlich Progressive/Jazz-Elemente und einige Geheimzutaten unter und gehen überhaupt maximal unkonventionell an alles heran. Das in Kombi mit Sara Bianchins überirdisch schöner Stimme verspricht einen absoluten musikalischen Mindfuck, wenn man sich darauf einlassen kann. Schon mit dem ersten Song „If you want her to be taken“ herrscht eine wunderschöne Atmosphäre, bei der man nur die Augen schließen und in die Musik eintauchen möchte. Allzu lange sollte man das Geschehen auf der Bühne aber nicht ausblenden, denn es lohnt sich, Bassist Marco Zanin und Gitarrist Alberto Piccolo auf die Finger und die Instrumente zu schauen. Bei „Suspended“ etwa streicht Alberto mit einem Geigenbogen über die Saiten, was den Gänsehautfaktor bei diesem ultradoomigen Brecher gleich noch mal um ein Vielfaches erhöht. Den nächsten Pelz verursacht das bezaubernde „Leah“ vom zweiten Album Feast for water, eine Ode an die Zeitlupe, bei der Sara wieder mal mit ihrer glasklaren, kräftigen Stimme brillieren kann. Wer die Band nicht jetzt schon liebt, liegt ihr spätestens dann zu Füßen, als Marco seinen selbst dringend benötigten Ventilator zu den ersten Reihen vor der Bühne umdreht – mille grazie, das war großartig! Der Auftritt endet mit „Rubedo“, einem „song about guilt“ vom aktuellen Album Close, und Messa haben wieder mal demonstriert, wie unglaublich gut sie Stimmungen aufbauen können. Ich könnte jetzt noch ein paar Absätze lang Lobeshymnen schreiben, aber es ist, wie ich oben schon gesagt habe: Hört es euch selbst an. Lasst Messa auf euch wirken, nehmt euch Zeit dafür, schaut sie euch live an. Genießt.

DSC_5931Den Auftritt von Crowbar werde ich sicher nicht so knackig halten wie den Soundcheck – alle machen an den Saiteninstrumenten einmal laut „WROMM“, Kirk Windstein nickt zufrieden, los geht‘s –, aber erfahrenen Konzertgänger*innen muss ich nicht ausführlich schildern, was sich die nächste knappe Stunde auf der Bühne abspielt: feinster New-Orleans-Sludge mit Jahrzehnten on the road im Kreuz, fetteste Riffs unglaublich lässig aus den Saiten gestreichelt, Kirks brummelig-unverständliche Ansagen, bei denen er viel erzählt und oft auf seine „beautiful wife“ Robin verweist (die wie immer dabei ist und der die gesamte Halle noch zum Geburtstag gratuliert). Gerade befinden sich Kirk, Matt Brunson, Tommy Buckley und Shane Wesley auf dem vierten Tour-Leg seit März –„I love it!“, brummelt Kirk strahlend – und haut bestens eingespielt einen Kracher nach dem anderen heraus. Nach dem Opener „High rate extinction“ geht es Schlag auf Schlag, kaum jemand im Publikum nickt nicht heftig zu Songs wie „I feel the burning sun“ (ja, so fühlt es sich in der Halle auch an …), „To build a mountain“ (aus dem Sound könnte man tatsächlich Berge bauen) oder „The cemetary angels“. Überhaupt, das Publikum: Anfangs ja noch eher spärlich vertreten, bei Messa schon deutlich gedrängter in den vorderen Reihen (und dem lauten Jubel nach auch hauptsächlich wegen der Italiener*innen anwesend), bei Crowbar schieben sich dann plötzlich doch viele Sludge-Jünger vor die Bühne – und der laute Jubel wird kein bisschen leiser. Heute scheint also ein extrem aufgeschlossenes Publikum vor Ort zu sein, das sich bereitwillig von so unterschiedlichen Bands wie Messa und Coltaine auf der einen und Crowbar auf der anderen Seite begeistern lässt. Sehr glücklich lassen sich alle durch die letzten Songs wie „Bleeding from every hole“, „Planets collide“ oder „Like broken glass“ tragen, die lautstark geforderte Zugabe wird uns leider verwehrt. Aber so ganz taufrisch ist jetzt sowieso niemand mehr und Luft im Freien auch nicht verkehrt.

Wow. Das war mal einer dieser so seltenen wie kostbaren Abende, an die man vielleicht gar keine riesigen Erwartungen hat und die einen dann total flashen. Drei auf ihre Art einzigartige und rundum faszinierende Bands, ein Publikum, das trotz zuerst eindeutiger Präferenzen alle drei gleich euphorisch abfeiert, dreimal eine höllisch intensive Konzertatmosphäre, Endorphine pur im Körper … Das hat man wirklich nicht oft. Und offenbar durften das doch mehr Leute als zuerst gedacht erleben, ich erfahre nämlich im Nachhinein, dass man tatsächlich „ausverkauft“ gemeldet hat. Absolut verdient, wer nicht mehr reingekommen ist oder aus anderen Gründen nicht anwesend war, hat leider wirklich was verpasst.

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch:

Setlist Crowbar:
1. High rate extinction
2. Negative pollution
3. I feel the burning sun
4. Chemical godz
5. To build a mountain
6. The cemetery angels
7. It’s always worth the gain
8. Fixation
9. Bleeding from every hole
10. All I had (I gave)
11. Planets collide
12. Like broken glass

(1824)