Großes Abenteuer auf kleiner Bühne
Dienstagabend, das Haar sitzt, der Herr Fotograf aka Elwood und ich kämpfen uns durch die Ansammlung von Baustellen, die bei mir im Kopf immer noch Kunstpark Ost heißt (ja, ich werde alt). Nach einer mittellangen Odyssee stehen wir im Technikum – ach ja, das war ja so klein, wie gemütlich. Auf dem Programm steht die Neal Morse Band mit ihrem neuen Konzeptalbum The Great Adventure, das ich hier schon rezensiert hatte.
Aus sicherer Quelle weiß ich, dass das Album von vorne bis hinten durchgespielt wird und dann noch Zugaben folgen, ich bin gespannt und voller Vorfreude. Das Technikum ist nach kurzer Zeit gut gefüllt, aber nicht gedrängt – ich schätze das mal auf 400 Leute.
Für die ersten 15 Minuten dürfen wir auf die Empore, um zu fotografieren, da es vor der Bühne keinen Fotograben gibt. Unten tummelt sich die Menge, die Spannung steigt. Pünktlich um acht geht es mit einem Intro los – vereinzelte Jubelrufe werden mit einem energischen „AUS!“ aus dem Publikum zur Ruhe gebracht. Dann betreten vier Herren mittleren Alters und ein junger Hüpfer die Bühne und legen los. Neal Morse an Gesang, Gitarre und Keyboard geht von 0 auf 100 in wenigen Sekunden, bei einer solchen Spielfreude und Bühnenpräsenz kann man gar nicht anders, als mitgerissen zu werden! Er grinst, lacht, schneidet Grimassen und geht vollkommen in seiner Musik auf, legt auch im Laufe des Abends mehrere verschiedene Kostüme an, passend zur Story des Albums – dabei kommuniziert er die ganze Zeit nonverbal mit dem Publikum oder seinen Bandkollegen. Natürlich stehen ganz vorne auch die größten Fans, die alle Texte können und begeistert „mit-dirigieren“ – da strahlt Neal und stößt sogar einen spontanen Freudenruf aus.
Ich strahle dafür umso mehr, als er bei „To the river“ eine Doubleneck-Ovation (also ein Hals mit sechs Saiten und ein Hals mit zwölf Saiten) auspackt. Auch der mehrstimmige Gesang, der uns den ganzen Abend lang begleitet, lässt mein Herz das ein oder andere Mal höher schlagen. Aber auch der Humor kommt nicht zu kurz – vor „The great adventure“ kommt die Ankündigung eines Höhepunkts: „This is possibly the most important instrument on the album! Are you ready for this profound moment in time?! Are you ready for – – – THE WHISTLE?!“ – und bläst in eine Trillerpfeife. Auch die anderen Bandmitglieder haben sichtlich Spaß auf der Bühne (inzwischen stehe ich ganz vorne und gelegentlich zwinkert Bassist Randy George mir zu). Bis auf Randy darf (oder muss?) jeder mal singen (also nicht nur Harmonie, sondern auch Hauptstimme), was bei Bill Hubauer (Keyboards) und Eric Gillette (Gitarre) sehr sehr großartig ist. Im zweiten Set meldet sich allerdings dann auch Mike Portnoy (seines Zeichens Schlagzeug-Gott – u. a. bei Dream Theater) zu Wort. Nach etwas Geplänkel („The bad news is, our tour is nearly over. The good news is, we are here tonight!“) kündigt er noch weitere „bad news“ an: „This is the part of the show where I serenade you with my vocal stylings. It’s a lullaby song“ – woraufhin er mit Reibeisenstimme eine der härtesten Nummern des Abends zum Besten gibt. Das tut aber dem Freudentaumel-Marathon dieses Abends keinen Abbruch, und noch ein Stückchen später tut er das, was er RICHTIG gut kann, und spielt ein Schlagzeugsolo, das dem Herrn Fotografen ganz ohne Übertreibung Tränen der Rührung in die Augen steigen lässt. Außerdem, nachdem er entdeckt hat, dass ich ihn durch die Lücke zwischen den Toms und Becken seines Schlagzeug-Aufbaus beobachte, schenkt er mir ein paar lange, glühende Blicke, so dass ich mal kurz einen Anfall von Fangirl-Dasein habe … Hach, und dann weckt er so hohe Erwartungen und verschenkt am Ende noch nicht mal seine Drumsticks … tssss, wie enttäuschend. Seufz.
Aber Drumsticks hin oder her, der Abend ist ein voller Erfolg, als Zugabe spielt die Band noch ein Medley, das sich quer durch Neals gesamtes Opus schlängelt. Selbst die Sanitäterin auf der Empore war sichtlich entzückt. Es hat einfach alles gepasst – der Sound war gut, das Licht war schön, die Leinwand hinter der Bühne hat einen mit wunderbaren Bildern durch die Geschichte geführt, die erzählt wurde.
Und man kann schwer sagen, wer mehr Spaß hatte – die Band oder das Publikum.
Fotos im Artikel von Andreas „Elwood“ Brauner, hier gibt es die ganze Galerie: Link
Setlist: Link
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