Marzi kann auch anders

Marzi_Faye-ArcherDieser Herbst in Brooklyn wird ein ganz besonderer für Faye Archer. Natürlich ahnt sie davon noch nichts, wie jeden Tag arbeitet sie im Buchladen. Sie ist gerade im Büro als ihr Chef einen Kunden bedient, und so hört sie nur wie er „Manche Geschichten sind wie Melodien“ sagt – und dann sein Notizbuch vergisst, als er geht. Sie kann sich nicht so recht erklären, wieso, doch diese Worte berühren irgendetwas in ihr. So sucht sie auf Facebook nach dem jungen Mann, in dessen Skizzenbuch der Name Alex Hobdon steht – den sie nie gesehen hat, ihn aber trotzdem nicht aus dem Kopf bekommt. Aus dem Schreiben von Emails werden bald große Gefühle, doch irgendetwas an Alex scheint ganz und gar nicht zu stimmen, und nach einer Reihe merkwürdiger Begegnungen wird Faye zunehmend sicherer, dass er nichts als ein Lügner ist. Aber manchmal nimmt eine Geschichte einen merkwürdigen Lauf, bleibt nicht auf dem erwarteten Weg und dreht sich in eine Richtung, die man für vollkommen unmöglich hält … bis man auf sein Herz hört.

Die wundersame Geschichte der Faye Archer hält genau, was der Titel verspricht. Eine romantische, charmante, wundersame Geschichte über eine junge Frau, die in Brooklyn auf der Suche nach der großen Liebe ist. Klingt platt? Irgendwie ist es das auch, aber auf liebenswürdige Weise. Eine epische Geschichte über die Rettung der Welt, nach Engeln, Hexen oder Dämonen sucht man vergeblich, und Faye’s Name ist tatsächlich das einzig feenhafte.
Viele Teile erinnerten mich beim Lesen stark an den Film Email für dich (You’ve got Mail), und schon früh hatte ich den leisen Verdacht, dass auch eine Prise von Das Haus am See (The Lake House) darin zu finden sein würde, aber hier will ich nicht zu viel verraten. Marzi bedient sich dieser Vorlagen, garniert sie dann aber mit seinem ganz eigenen Stil, und baut wie so oft Filme, Musik und Kult aus längst vergangenen Zeiten ein. Auf diese Weise wird Die wundersame Geschichte der Faye Archer Vaudeville statt Hollywood und extrem rot mit weißen Punkten. Sogar eine kleine Anspielung auf seinen Roman Lyra kann man finden, wenn man aufmerksam liest.
Generell fängt Marzi die Atmosphäre von Brooklyn im Herbst so gut ein, wie man es aus all seinen Werken kennt. Seine Beschreibungen sind so malerisch und lebendig, dass er den Leser an die Hand nimmt und mit ihm einen Spaziergang durch den beschaulichen Stadtteil New Yorks macht, in dem die große Stadt Urlaub zu machen scheint.
Faye ist eine junge Frau, die irgendwie in ihrer eigenen, charmanten Welt lebt und mit modernen Spielereien wie Smartphones und MP3-Downloads nicht viel anfangen kann. Marzi beschreibt mit viel Liebe zum Detail und großer Beobachtungsgabe die irrationale Gefühlswelt einer frisch Verliebten, und nicht selten habe ich mich dabei irgendwie wiedererkannt.
Über weite Teile tröpfelt die Geschichte, wie Fayes Leben, ruhig und entspannt dahin, nur um im nächsten Moment plötzlich in einer heftigen Stromschnelle an Geschwindigkeit zu gewinnen oder ganz plötzlich die Richtung zu ändern – eben wie Fayes Leben. Diese Verbindung von Inhalt und Erzählstil ist wirklich genial und treibt den Leser unbewusst immer wieder dazu an, weiterzublättern.
Die wundersame Geschichte der Faye Archer ist im Grunde eine leichte Liebesgeschichte mit einem Hauch von Science Fiction, und Christoph Marzi zeigt, dass er auch anders kann. Inhaltlich kann man behaupten, dass sie irgendwie eher dünn ist, aber sein Stil allein macht das wett, denn es macht auch einfach Spaß, Faye Archer zu lesen. Wer einen Epos a la Uralte Metropole erwartet, ist schlecht beraten. Vielmehr ist Die wundersame Geschichte der Faye Archer eine wunderschöne Geschichte mit viel Musik und ein bisschen Magie. Ein Herbst-Buch, mit dem man die letzten Sonnenstrahlen oder den ersten Herbststurm genießen und in Erinnerungen an schöne Momente schwelgen kann.

Ach ja, und dass „Frankenstorm“ Sandy, der um Halloween 2012 große Teile von New York überflutete, quasi eine essenzielle Rolle für Fayes Liebesleben spielt, lässt mein Meteorologenherz natürlich höher schlagen und darf nicht unerwähnt bleiben.

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Christoph Marzi – Die wundersame Geschichte der Faye Archer
Heyne, Paperback, 2013
384 Seiten
14,99 €
Heyne
Ebook: 11,99€

Christoph Marzi

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