Meine ersten fünfundzwanzig Jahre mit Bad Religion

 

BR logoMit ziemlicher Regelmäßigkeit, meistens jedes Jahr, manchmal vergehen auch zwei oder drei Jahre, schlagen die kalifornischen Melodiepunks Bad Religion in unseren Breitengraden auf, und das ist auch gut so. Vor fünfundzwanzig Jahren hörte ich zum ersten Mal im Tanzcafé Hertlein in der kleinen Kleinstadt, in der ich zur Schule ging, einen Song, bei dem sich mir neue Welten eröffneten: „Sanity“ von Bad Religion vom Überalbum No control. Seither war ich infiziert, kaufte alles, was es bisher gab, und schaffte es sogar, mit nahezu fremden Leuten (naja, „fremd“ in einer Kleinstadt) kurz darauf nach Nürnberg zur „Generator“-Tour von Bad Religion fahren zu dürfen – meine Mutter war not amused, aber das war mir so egal! Das Konzert war lebensverändernd, hat viele schöne und auch traurige Erinnerungen mit sich gebracht, und seither bin ich beinharter Fan von Dr. Greg Graffin und Co. „Aber die haben doch nur einen Song?“ Ja und? Stört das bei AC/DC irgendwen? Solange dieser Song gut ist, hat er seine Berechtigung. Und überhaupt stimmt das gar nicht, es sind mindestens zwei! Aber diese Refrains, die „Ooozin Aaahs“, die Melodien, diese intelligenten Texte – all das macht die Band so einzigartig, und genau deswegen renne ich seit fünfundzwanzig Jahren auf jedes Konzert in München. So auch heute wieder – Traditionen sind doch etwas Feines.

Natürlich ist die Tonhalle wieder eine einzige Schwitzhalle, ausverkauft, eine nicht unbedingt notwendige Vorband gilt es auch zu überstehen … aber wird schon. Itchy – vormals Itchy Poopzkid – gibt es schon seit 2001, mir waren sie bisher nur dem Namen nach bekannt. Glücklicherweise für die Band reagiert der Rest der Halle enthusiastischer auf die Schwaben, mir gibt der arg nette Pop-Punk leider gar nichts. Ich alte Grummelgothin bin auch kein Fan von Mitmachspielchen, aber es ist durchaus beeindruckend, wie Itchy schon beim dritten oder vierten Song es schaffen, dass sich die ganze Halle im Arm liegt und auf Kommando minutenlang hüpft. Viele kennen die Band und lieben sie offensichtlich auch, man merkt dem Trio auch die jahrelange Bühnenroutine an, die Sprüche sitzen, die Posen auch, und musikalisch ist das nicht verkehrt, neue Stücke vom am Freitag erscheinenden Album gibt es auch – mich erwischt es nur leider gar nicht. Itchy wissen aber auch, dass eigentlich alle nur auf Bad Religion warten und zocken dementsprechend schnell alles runter. Nach einer halben Stunde ist die Tonhalle mehr als gut angewärmt, und das Warten auf die Helden beginnt.

20170717_222701Um 21.00 Uhr ist es dann auch endlich soweit, lässig schlendern die fünf Kalifornier auf die Bühne und legen gleich mal mit einem ihrer allergrößten Hits, „American Jesus“, los. Um mich herum bricht die gesamte vordere Hälfte der Tonhalle in einen gnadenlosen Moshpit aus, ich verziehe mich an den Rand, wo ich eh besser sehe und mehr Platz zum Tanzen habe. Greg steht wie immer in Polohemd und Professorenhaarkränzchen tiefenentspannt und souverän as fuck auf der Bühne, Jay Bentley wird immer noch hübscher (selbst mit Pornobalken), und die restlichen drei Herren haben ebenfalls eine so coole Bühnenpräsenz, dass sich viele Bands da draußen eine Scheibe abschneiden können. Schlag auf Schlag geht’s weiter, nur so alle drei Songs etwa gibt es eine kurze Verschnaufpause von circa zwanzig Sekunden. Für mich erfreulich ist die Setlist sehr gut gemischt mit leichter Schlagseite bei den ganz alten Gassenhauern (leider gibt es nicht wie letztes Jahr das No-control-Album komplett am Stück), zum Beispiel „Do what you want“, „Atomic garden“, das göttliche „Along the way“, das unentbehrliche „Suffer“ oder „Generator“, die Hymne schlechthin. Kritische Texte gibt es auch en masse, wir leben schließlich in „New dark ages“, Bad Religion geben immer noch „No direction“ vor, und „Los Angeles is burning“ könnte jederzeit auch wieder aktuell werden. „21st century digital boy“ hat schon diverse Jährchen auf dem Buckel, aber könnte hier und jetzt geschrieben worden sein. „Punk rock song“ beschließt den regulären Teil des Abends, die Zugabe kommt aber erfreulich schnell und endet mit DEM Song vom ersten Album How could hell be any worse (von 1982!), „Fuck armageddon … this is hell“ – danach habe ich endgültig keine Stimme mehr.

Bad Religion schaffen es auch im 37. Jahr ihres Bestehens, Hallen auszuverkaufen und ihre Fans – die meisten im eher gesetzteren Alter ab vierzig aufwärts, aber es gibt auch Nachwuchs – vom ersten bis zum letzten Ton zu begeistern. Machen müssen die fünf Herren eigentlich gar nichts. Ein Backdrop als Bühnendeko reicht, ansonsten singt Greg Graffin mit seiner unverwechselbaren (und immer noch astreinen) Stimme, macht ein paar Ansagen, man springt gar nicht mal so sehr auf der Bühne herum, sondern ist einfach da. Und macht höllisch Dampf – die Security an der Bühne muss im Minutentakt die Crowdsurfer aus der ersten Reihe pflücken.
Und wenn sich dann beim Rausdrängeln nach dem Konzert zur eigenen Schweißschicht noch mindestens fünf Fremdschweißschichten gesellen, allen buchstäblich das Wasser vom Gesicht tropft, man vor lauter Mitbrüllen keine Stimme mehr hat und sich dieses Gefühl bis ins Mark erschöpfter Glückseligkeit breitmacht – dann war man auf einem verdammt perfekten Bad-Religion-Konzert.

„Until next year!“, sagte Mr. Graffin. Wir nehmen ihn beim Wort!

(Fotos? Ach was, geht selbst hin!)

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Setlist:
1. American Jesus
2. New dark ages
3. Do what you want
4. Atomic garden
5. Let them eat war
6. Stranger than fiction
7. Along the way
8. I wanna conquer the world
9. Fuck you
10. Streets of America
11. Tomorrow
12. Suffer
13. No control
14. Against the grain
15. We’re only gonna die
16. Dearly beloved
17. Anaesthesia
18. Come join us
19. No direction
20. Los Angeles is burning
21. Sinister rouge
22. Generator
23. 21st century digital boy
24 Sorrow
25. You
26. Punk rock song

27. The handshake
28. Infected
29. Fuck armageddon … this is hell!

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