Und sollst finden den Weg in der Nacht

Dämmerstund-CoverAn Pagan Metal scheiden sich ja schnell die Geister. Manche Bands setzen extrem auf den Spaßfaktor und wollen eine feuchtfröhliche Trinkhornparty feiern, mit Schunkelmelodien und viel „Ho ho ho“, vergessen aber dabei so ein bisschen den Pagan-Aspekt an dem Ganzen. Andere setzen mehr auf Inhalt und komplexere Songstrukturen, sprechen damit aber auch wieder ein fast völlig anderes Publikum an. Viele halten Pagan Metal gleich generell für überholt und ausgelutscht, und die einschlägigen Genrevertreter haben eh schon alles durchgekaut, was es hierfür je zu sagen gab. Ich persönlich finde, es gibt in jedem Genre Bands, die auch nach diversen Jahren noch relevant sind, und es gibt auch überall immer wieder frischen Wind mit ganz eigener Note. Bisher ist das dem Fünfer Mornir (der im Moment zum Vierer geschrumpft ist) meiner Meinung nach hervorragend gelungen, mit der EP Entfesselt aus dem Jahr 2015 und der letztjährigen Single „Hexer“, die mir mächtig Spaß gemacht hat. Jetzt ist es endlich soweit, und mit Dämmerstund liegt der erste Longplayer der Formation vor.

Das herrlich pompöse Intro „Sternlose Nacht“ leitet erhaben in „Flammenschwinge“ über, das von Anfang an ordentlich Tempo macht und mit rasanten Melodiebögen aufwartet, aber auch schön aggressiv aus den Lautsprechern schallt. Insgesamt ein genretypischer Song, der mit ein paar rhythmischen Ausreißern im Mittelteil aufwartet – und dann schon gar nicht mehr so genretypisch ist. Guter Einstieg!
„Altvordere Macht“ gefällt mir mit der prägnanten Einleitungsmelodie gleich richtig gut, das hohe Tempo auch, hier passt die Mischung aus Clemens‘ wunderschöner Geige, Axels sehr angenehmem Growlen und der ordentlichen Grundhärte. Trotzdem kann man zwischendurch die Augen schließen und verträumt die Nackenmuskeln strapazieren.
Genauso rasant und mit wunderbarer Geigenführung geht’s mit dem bekannten „Hexer“ weiter – wie schon die vorherigen Lieder sollte man das laut hören! Der Refrain eignet sich hervorragend zum Mitbrüllen, die Melodie verhext einen nachhaltig. Mittlerweile habe ich ein fettes Grinsen im Gesicht beim Anhören des Albums.
Zeit zur Einkehr und zum aufmerksameren Lauschen bietet der ruhige (Akustik-)Track „Lebenshauch“, dem Sängerin Theresa Mehringer von Munarheim im wahrsten Sinn des Wortes Leben einhaucht, bis sich später Axels tiefere Growls dazugesellen. Der Song entwickelt sich zu einer dynamischen Midtempo-Ballade, die von Clemens‘ Geige vorangetrieben wird und für die die anderen Instrumente einen so harten wie zarten Unterbau bilden. Abwechslungsreich und schön gemacht!
Mit rotziger Bratgitarre und ordentlich Drum-Tritt in den Hintern begrüßt uns „Tundra“ und bietet neben dem eingängigen Refrain wieder Ohrwurmmelodien der Geige und vom Rest der Band so gut wie keine Verschnaufpause – bis auf das schicke Gitarrensolo natürlich! Ansonsten gibt’s ordentlich was auf die Lauscher und leitet mit der eher rockigen Herangehensweise hervorragend zu „Schwarze Wölfin“ über, das ein wenig tiefergelegter und metallischer daherkommt, sogar etwas vom Strophe-Refrain-Strophe-Rhythmus abweicht und auf schroffe Riffs und fette Growls setzt. „Bote des Weltenfalls“ schlägt mit Extrahärte in eine ähnliche Kerbe, überrascht aber mit Breaks und zurückgenommenem Klargesang – auf den aber auch gleich wieder amtliches Gurgeln folgt. Ein Song, der definitiv heraussticht und mit einigen schönen neuen Soundaspekten punkten kann.
Das Interludium „Aus den Nebeln“ ist rein instrumental und akustisch, in sich stimmig und ebenfalls eine schöne Überraschung – wenn auch vielleicht einen Tick zu lang, zumindest an dieser Stelle im Album, zumal es mit „Ein Licht“ gleich ruhig weitergeht. Anmutige Mittelalter-Folk-Melodien zu Theresas lieblicher Stimme – hier geht man zuerst ein bisschen auf Nummer Sicher, bleibt eng in den Genregrenzen, bis dann doch auf einmal alle Gas geben und Axel wieder das Mikro übernimmt. Der Song steuert auf ein großes Finale zu, das man nach dem zarten Anfang wirklich nicht vermutet hätte. Auch dieser Song ist einen Tick zu lang, aber insgesamt clever gemacht.
„Herr in Wind und Tälern“ ist schon von der Single aus dem letzten Jahr bekannt, hier regiert der Metal, der Kopf nickt hektisch mit, und die knüppelharten Parts in Kombi mit der treibenden Geige machen auch beim mehrmaligen Hören richtig Spaß. „Dämmerstund“ legt eine Schippe Krach und Tempo drauf, und vor dem großen Finale darf Maxis Leadgitarre noch mal richtig brillieren.
„Lösch all die Fackeln“ beschwört zum Abschluss ein bisschen Wikinger- oder andere Epik herauf, man fühlt sich auf ein Schiff versetzt, das einen hoffentlich sicher nach Hause bringt.

Bei der Rezension zu „Hexer“ hatte ich als Abschluss geschrieben: „Jetzt fehlt nur noch ein ganzes Album in dieser Qualität, und ich habe einen Kandidaten für die Dauerschleife.“ Habe ich jetzt einen?
Definitiv ja. Vor allem ist es ein ganzes Album für die Dauerschleife, das man am besten erst mal eine Weile am Stück hört und auf sich wirken lässt. Mornir bleiben ihrem bisherigen Sound treu, bauen aber immer wieder schöne Neuerungen ein, die es zu entdecken lohnt. Die Grundmischung aus ordentlich Tempo, angenehmen Growls, der hinreißenden und oft tonangebenden Geige, knackigen Gitarrenparts und grundsolidem Rhythmusteam an den Drums und am Bass bleibt natürlich erhalten, und sie ist es auch, die den markanten Sound von Mornir ausmacht. Gerade genug Folk und Mitgrölpotenzial, um die Pagan-Fraktion anzusprechen, aber ordentlich Geknüppel, um die Nackenmuskeln zu strapazieren und es eben nicht in bierselige Abgründe abgleiten zu lassen (nein, die Gefahr besteht wirklich nicht). Mit Theresa als Gastsängerin sorgt man für spannende Abwechslung, und ihre und Axels Stimme harmonieren wirklich gut. Schön finde ich auch, wie Intro und Outro – beide erhaben und herrlich schwülstig und damit überhaupt nicht repräsentativ fürs Album – in der Mitte der CD bei „Bote des Weltenfalls“ kurz aufgenommen werden und damit trotz der für den Gesamtsound ungewöhnlichen Klänge gut verankert sind.
Die Band hat sich auch sichtlich Mühe mit den Texten gegeben, die sehr üppig ausgefallen sind und die man sich auch in Ruhe zu Gemüte führen muss.

Ein paar winzige Kritikpunkte habe ich allerdings – meiner Meinung nach hätte es zum Beispiel das Interludium nicht unbedingt auf dieser Platte gebraucht, da durch die beiden ruhigeren Songs mit Theresa bereits ein gutes und ausgewogenes Gegengewicht zu den Uptempotracks geschaffen wird. Aber ich verstehe auch, dass man noch einen anderen Aspekt der Band unterbringen wollte, und per se ist das Stück wirklich schön.
Manche Songs sind vielleicht einen Tick zu lang und würden etwas knackiger noch besser wirken. Aber das ist Nörgeln auf hohem und vor allem geschmäcklerischen Niveau. Insgesamt legen Mornir hier eine sauber produzierte, durchdacht aufgebaute und musikalisch überzeugende Debütscheibe vor, die zeigt, dass die Band schon eine Weile im Geschäft ist und immer mehr „ihren“ Sound findet.
Ich bin gespannt, auf welche Reise uns Axel, Heinrich, Maxi und Clemens (Drummer Etienne hat das Album zwar noch eingespielt, die Band aber mittlerweile verlassen) in Zukunft mitnehmen.

Bis dahin freue ich mich darauf, wenn irgendwann wieder Live-Konzerte möglich sind und ich mir zu Dämmerstund amtliche Nackenschmerzen holen darf.

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch2: mit starker Tendenz zu 5

Anspieltipps: Hexer, Ein Licht, Dämmerstund

Mornir: Dämmerstund
Label: Eigenproduktion
ET: 10.04.2020
Länge: 49:42
Kaufen: € 13 auf der Bandcamp-Seite der Band 

Tracklist:
1. Sternlose Nacht (Intro)
2. Flammenschwinge
3. Altvordere Macht
4. Hexer
5. Lebenshauch feat. Theresa Mehringer
6. Tundra
7. Schwarze Wölfin
8. Bote des Weltenfalls
9. Aus den Nebeln (Interlude)
10. Ein Licht feat. Theresa Mehringer
11. Herr in Wind und Tälern
12. Dämmerstund
13. Lösch all die Fackeln (Outro)

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