I can feel his Heartbeat

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Nick Cave – seit vierzig Jahren Musiker, weltberühmt geworden mit seinen Gruppen The Birthday Party, den Bad Seeds und Grinderman, renommierter Autor und Komponist von Filmsoundtracks. Ein Mann, der etwas zu erzählen hat. Und genau das tut er auch in dem Werk der englischen Regisseure Iain Forsyth und Jane Pollard.

Der Vorspann zeigt ab Stunde Null in rasantem Tempo hochgezählt verschiedenste Zehntel-sekundenlange Filmausschnitte aus Nick Caves Leben bis zu seinem 20.000sten Tag auf Erden: Die Geschichte beginnt.

Man darf nicht erwarten, chronologisch durch Mr. Caves Leben geführt zu werden – es ist eine Pseudo-Doku, die einen fiktiven 20.000sten Tag in seinem Leben erzählt; eine Pseudo-Doku, die er sich angeblich zu seinem 55. Geburtstag gegönnt hat, die aber so wahr rüberkommt, dass man ihr begierig zusieht. Man hängt an den Lippen dieses unheimlich charismatischen Mannes.

Die erste Einstellung zeigt ihn, wie er aus dem Bett kriecht und sich missmutig im Badezimmerspiegel betrachtet, sein Äußeres seltsam findet: Dieser Mann da, der mit den drolligen Haaren, das soll er sein? Es kommt ihm eher so vor, als würde er sich verwandeln, in einen Kannibalen mit einem Knochen durch die Nase.
Mit seinem Psychotherapeuten bewältigt er seine Kindheit in Australien, mit Vater, den er früh verlor, Mutter und Schwester.
Uns berichtet er in Autofahrten aus dem Off, wie er – der aus dem warmen Australien kommt – entsetzt war über das kalte Klima in England, Brighton, und was er dagegen tat (Wettertagebücher schreiben).
Ziemlich viel Zeit verbringt er mit Warren Ellis, einem langjährigen Weggefährten in seiner jetzigen Band und gutem Freund. Die Geschichten, die sie sich gegenseitig beim Essen auftischen, sind großartig: Ein Konzert mit Nina, nein, Dr. Nina Simone, ein Ekelpaket, der man zuerst „Champagne, Cocaine and Sausages“ bringen musste, bevor sie auf der Bühne loslegte.
Man sieht ihn bei Proben für Aufnahmen mit seiner Band und mit Kindern, die im Chor zu einer Aufnahme seines Albums Push the Sky away singen.
Im Auto diskutiert er mit seinem langjährigen Wegbegleiter Blixa Bargeld, was sie hätten in ihrer Band besser machen können, und mit Kylie Minogue – die er zuvor im Autoradio noch weggedrückt hat, als „Can‘t get you out of my Head“ erklingt – rekapituliert er, wie die Zusammenarbeit zu „Where the wild Roses grow“ entstand. Blixa und Kylie sitzen plötzlich in seinem Auto, und ebenso schnell sind sie mit einer Bewegung des Scheibenwischers aus dem coolen Jaguar wieder verschwunden. Fiktion eben.
Wir beobachten Nick Cave in einem Konzert, wie er mit dem Publikum aus der ersten Reihe Kontakt aufnimmt. Er ergreift die Hand einer emotional entfesselten Lady mit blau lackierten Fingernägeln und singt mit tiefem Blick in ihre Augen seine Songzeilen: „Can you feel my Heartbeat? Can you feel my Heartbeat?“ Sie ist beseelt und hin und weg. Ja, sie kann ihn fühlen, seinen Herzschlag.
Es kommen viele solcher Filmausschnitte und Erinnerungsfetzen, mal Vergangenes aus seiner Drogenexzess-Zeit in den 80er-Jahren in Deutschland, mal aus der Gegenwart, wenn man ihn Pizza essend mit seinen Zwillingen auf der Couch vor dem Fernseher sieht.
Er hat einen Archivraum gemietet, in dem er Tagebücher, Tonbandaufnahmen und Fotos hütet. Nick ist sozusagen ein Hüter der Erinnerung, denn das Schlimmste wäre für ihn, sich nicht mehr erinnern zu können, das ist es seiner Meinung nach doch, was den Menschen ausmacht.

Alles kommt so unheimlich ehrlich und authentisch rüber, dass man wirklich denkt, er entblößt seine Seele für uns – man sollte sich aber immer bewusst sein, dass hier ein Künstler agiert und nichts so sein muss, wie es scheint.
Die letzte Einstellung zeigt ihn, wie er in Brighton nachts am Wasser steht. Man erinnert sich, wie schockierend für ihn damals das Klima in England war, kalt und windig bis in die Knochen. Doch nun scheint er sich arrangiert zu haben mit seinem Dasein, und damit, dass es in Brighton einfach unverschämt kalt ist. Er hat seine Ängste und Dämonen bezwungen.

Gut so, Mr. Cave! Den Kragen des schwarzen Sakkos hochklappen und einfach immer weitermachen.

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Titel: 20.000 Days on Earth
Starttermin: 16. Oktober 2014 (1 Std. 37 Min.)
Regie: Iain Forsyth, Jane Pollard
Mit: Nick Cave, Susie Bick, Warren Ellis, Blixa Bargeld, Kylie Minogue, Arthur und Earl Cave und andere
Genre: Dokumentation, Drama, Musik
Nationalität: Großbritannien

 

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