Rock ’n‘ Roll – wow!

Erst ein halbes Jahr ist es her, dass unsere Münchner Lieblingsrocker von The Legendary zusammen mit den Norwegern Pristine den Backstage Club aufgemischt haben, für den heutigen Abend stehen sie wieder auf dem Programm. Bei vielen anderen Bands würde man sich denken: „Nu ja, dann lass ich das dieses Mal ausfallen, ist zur Zeit ja eh so viel anderes los.“ Doch nicht bei diesem Package, denn von „Let’s get a little high“ (immer eine gute Empfehlung) und Heidis Wahnsinnsstimme und Bühnenpräsenz kann man einfach nicht genug bekommen. Neue Alben haben beide Bands nicht im Gepäck, das macht aber nichts, man ist dadurch perfekt eingegroovt und sofort drin im Konzert. Das zudem laut Facebook-Seite von The Legendary etwas früher als geplant anfangen soll, also nichts wie rein in die Stiefel, Kamera gepackt und ab ins Backstage.
_DSC0709Der Lohn der Eile? Ein nahezu leerer Club, aber immerhin die Band ist schon mal da. Offensichtlich haben nicht viele gelesen, dass The Legendary früher anfangen werden, was sie dann auch nicht tun, sondern ganz normal um acht, als sich dann doch eine ansehnliche Publikumsmenge versammelt hat (an einem Dienstag!). Einige Gesichter erkennt man vom letzten Herbst, das ist schön. Viele Freunde und Bekannte von The Legendary stehen vor der Bühne, was die Stimmung ab dem ersten Ton von „Kissin‘ Kate“ gleich mal hochkochen lässt. Und so soll es weitergehen, als Thorsten Rock, Sebastian Philipp, Alexander Pozniak und der neue Drummer Dave Bücherl souverän einen Kracher nach dem anderen ins Publikum feuern. Stillstehen bei „Rocket ship“ oder „Half a devil“, bei „Sazerac woman“ oder dem Titeltrack des aktuellen Albums „Let’s get a little high“? Nö, geht nicht. Dementsprechend viel Bewegung herrscht vor der Bühne, während die Musiker den spärlichen Platz auf der Bühne bestens ausnutzen und trotz Minimalradius posen wie die Weltmeister. Ein BH fliegt auch neben das Schlagzeug – der Ritterschlag zum Rockstar? Leider fehlt Thorstens legendärer goldener Glitzeranzug (Skandal!), aber die glitzernde Gitarre entschädigt etwas dafür. Und außerdem geht es ja um die Musik und die Leidenschaft, die durch diese transportiert wird, und da fehlt sich überhaupt nichts. Astreiner Rock, Rock ‘n Roll mit Stoner-Einflüssen und ganz viel Feeling – das bekommt man bei The Legendary. Vor allem beim Gänsehaut erzeugenden, langsamen „Shot in the dark“ merkt man, wie gut die Band ihr Handwerk versteht. Findet das Publikum auch und spendet verdienten und begeisterten Beifall. Da ist es dann auch nicht schwer, alle Anwesenden beim Abschlusssong „Hardrock hotel“ zum Mitsingen zu animieren. Nach einem Geburtstagsgruß an den anwesenden Verleger Oliver Alexander ist dann leider wirklich Schluss, viel zu kurz war das Set, aber das wird ja nicht der letzte Auftritt der Legendären gewesen sein.

Setlist The Legendary:
1. Kissin‘ Kate
2. Rocket ship
3. Half a devil
4. The path
5. Feel some
6. Sazerac woman
7. The dirt
8. Let’s get a little high
9. Gallows tree
10. Shot in the dark
11. Hardrock hotel

_DSC0917Außerdem ist der Abend noch nicht vorbei, Heidi Solheim und ihre ausgezeichnete Band stehen ja noch auf dem Programm. Am rechten Bühnenrand konnten wir schon das Innenleben einer waschechten Hammond-Orgel bewundern, die natürlich jetzt dann bald zum Einsatz kommt. Im Gegensatz zum Herbstkonzert verzichtet man in der Umbaupause glücklicherweise auf ausufernde Tests der Lightshow, sondern richtet einfach alles schnell für Pristine her. Die Band aus Tromsø (nördlicher geht es kaum in Norwegen) um Chefin Heidi Solheim hat letztes Jahr ihr hochgelobtes viertes Album Ninja  veröffentlicht, mit dem sie im Herbst 2017 schon erfolgreich auf Tour war. Jetzt folgt der Nachschlag, denn offensichtlich konnte halb Europa nicht genug von der explosiven Rock-Blues-Soul-Mischung bekommen, die alles andere als nordisch-unterkühlt ist. Dementsprechend groß ist der Jubel, als Heidi, Espen, Ottar, Gustav Peder und Ersatz-Organist Hansi Enzensperger (der aus München stammt und den verhinderten Stammorganisten vertritt) auf die Bühne kommen. Ohne große Umschweife steigen sie sofort mit „Sinner man“ (ein neuer Song?) ein, um uns dann den von Ninja bekannten „Rebel song“ sowie „All of my love“ um die Ohren zu hauen. Stillstehen ist auch hier völlig unmöglich; die über die Bühne wirbelnde und die rote Mähne schleudernde Heidi ist das beste Beispiel dafür. Erst bei „Reboot“ – dem Titeltrack des gleichnamigen Albums aus dem Jahr 2016 – dürfen wir ein wenig zur Ruhe kommen und konzentriert lauschen. Danach brandet euphorischer Jubel auf, und Heidi ruft spontan und aus tiefstem Herzen kommend: „I love you!“ Ja, das können wir zurückgeben! Ebenfalls von Reboot stammt das folgende „Don’t save my soul“ („a song about an apocalypse“), ein schleppender, perfekter Blueser, bei dem Espen an der Gitarre brilliert und Heidi sich die Seele aus dem Leib singt. Das tut sie ja immer, aber hier ganz besonders. Gänsehaut! Danach muss man sich erst mal aus seiner Trance schütteln, unterstützt vom neuen Song „Sober“. „Pioneer“ ist dann „for all the strong women out there“ – ich fühle mich angesprochen und feiere das Lied ordentlich ab. „No regret“ vom gleichnamigen Album zeigt noch mal die Brillanz aller Musiker, allen voran Gitarrist Espen, der hier die doppelhalsige Gitarre aus seiner umfangreichen Sammlung präsentiert und sich bei seinen Solos geradezu in Trance spielt. Auch Organist Hansi bekommt seinen großen Moment, und das diverse Minuten lange „No regret“ wird live zu einem wahren Monolithen, der einem den Atem raubt (und die Tränen in die Augen treibt). Leider schafft es jemand, in die ruhigste, emotionalste Stelle lautstark hineinzuquaken – Leute, unterhalten geht super daheim oder in einer Kneipe, das muss nicht bei einem so eindringlichen Konzert sein.
Nach dem knackigen „One good reason“ bleibt uns bei „Ghost chase“ vom Ninja-Album und der sich daraus entwickelnden langen Jam-Session wieder mal der Mund offen stehen. Man merkt wirklich bei jeder Note, was für hochklassige Musiker hier auf der Bühne stehen, die als perfekte Einheit agieren, in der jedem genug Raum für die eigene Entfaltung bleibt. Nach der ganzen Bewunderung darf bei „Ninja“ dann aber auch wieder ordentlich gerockt werden, die Riffs klingen hier deutlich härter als aus der Konserve, was das Publikum noch mehr mitreißt. Härter wird es auch bei Ottars Drumsolo, das er mit einem breiten Grinsen absolviert und geschickt in „Sophia“ überleitet. Bei „Derek“, dem Eröffnungstrack vom Reboot-Album, kommen wie immer Stock und Plastikflasche zum Einsatz, mit denen Heidi den Rhythmus vorgibt und ein ganz eigenes Show-Element daraus zaubert.
Danach sind wir zwar alle etwas erschöpft, lassen die Band aber natürlich noch nicht gehen, als sie die Bühne verlässt. Schnell werden die fünf zurückgeklatscht, und mit „Bootie call“ und „All I want is you“ gibt es noch einen ordentlichen Nachschlag, nach dem (fast) keine Wünsche mehr offen bleiben. Der faszinierte Ausruf aus dem Publikum „Rock ‘n‘ Roll – wow!“ beschreibt den Abend perfekt.

Wer auf mitreißenden, leidenschaftlichen, handwerklich perfekt umgesetzten Blues-Soul-Rock mit mächtig viel Dampf und Gefühl steht, kommt an Pristine nicht vorbei. Ideal sind für diese Art Musik kleine, verschwitzte Clubshows, aber ich fürchte, irgendwann ist diese Zeit für die Band vorbei. Schaut euch also Wirbelwind Heidi, Gitarrengott Espen, Bassist Gustav Peder – Fels in der Brandung -, Drummer Ottar (spitzbübisch grinsend und trotzdem hochkonzentriert) und den jeweiligen Organisten an und bringt den Laden zum Kochen – ihr werdet es nicht bereuen.

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Setlist Pristine:
1. Sinner man
2. The rebel song
3. All of my love
4. Reboot
5. Don’t save my soul
6. Sober
7. Pioneer
8. No regret
9. One good reason
10. Ghost chase
11. Ninja
12. Sophia
13. Derek

14. Bootie call
15. All I want is you

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