Legendärer Abend

Die Festivalsaison ist vorüber, die Bands gehen wieder auf Tour, der Herbst wird also ziemlich heiß und musiklastig. Den Anfang machen (für mich) die wunderbaren Pristine aus Nordnorwegen zusammen mit den Münchnern The Legendary. Pristine habe ich vor einem halben Jahr schon mal beim Under the black Moon hier im Backstage gesehen (Review hier) und war da schon schwer begeistert von der dynamischen Blues-Rock-Soul-Show von Heidi Solheim und ihren Mannen. Mittlerweile ist die Truppe bei Nuclear Blast gelandet, hat ihr viertes Album Ninja dort veröffentlich (Review hier) und macht sich jetzt auf, die Musikwelt endgültig von ihren Qualitäten zu überzeugen. Da qualitativ hochwertiger (Retro-)Rock nach wie vor überaus beliebt ist, sehe ich da auch überhaupt keine Schwierigkeiten.
DSC_0391The Legendary um Sänger Thorsten Rock eröffnen pünktlich den Abend, der tatsächlich vom ersten Moment an schon legendär ist. Daran ist Thorstens goldener Glitzeranzug schuld, der einfach wirklich alles überstrahlt und dem Publikum schon mal ein fettes Grinsen entlockt. Die glitzernden Silberschuhe von Bassist Basti Philipp sieht man erst auf den zweiten Blick und wenn man weit genug vorne steht, die rocken aber genauso wie der Anzug. Auf dieser Grundlage kann ja eigentlich nichts mehr schiefgehen, und das tut es auch nicht. The Legendary spielen eine grundsolide, sehr leidenschaftliche Rock ’n’ Roll-Stoner-Mischung, die sofort in Beine und Nacken geht. Der Vierer schlägt sich auf der winzigkleinen Bühne hervorragend, sogar Posersprünge werden eingebaut, und Songs wie „Kissin Kate“, „Half a devil“, „Sazerac woman“ oder das abschließende „Hardrock hotel“ zünden durch die Bank. Im Mai 2017 hat die Truppe ihr Debütalbum Let’s get a little high veröffentlicht, auf dessen Existenz und die Möglichkeit des käuflichen Erwerbens am Merchstand wir immer wieder freundlich durch eine kleine Hupe am Mikroständer hingewiesen werden. Die Konditionierung funktioniert und sorgt für viele Lacher. Auch haut Thorsten einen launigen Spruch nach dem anderen heraus, was die Stimmung zusätzlich anheizt. „Ganz schön heiß hier. Liegt bestimmt an den Klamotten. Also – zieht euch aus!“ Dafür sind wir dann doch etwas zu schüchtern, auch wenn der Backstage Club mal wieder eine ganz schöne Sauna ist. Beim „uralten“ (also von 2014) Song „Gallows tree“ macht Thorsten einen Ausflug ins Publikum und wird da von den ersten Reihen freudig empfangen.
Ein gelungener Einstieg in den Abend also, The Legendary kann man bedingungslos weiterempfehlen. Ich hoffe mal, dass sie ihre Ansage „Backstage ist geil. Wir kommen wieder“ auch wahrmachen.

DSC_0500Richtig heiß wird es dann allerdings, als Pristine die Bühne stürmen. Zuvor hat sich die Technik ausgiebig Zeit genommen, die insgesamt acht (zusätzlich aufgebauten!) Strahler auf der Bühne, die Backlights und die üblichen acht an der Decke zu justieren, bis auch wirklich jeder in den ersten Reihen blind ist. Ich bin schon sehr gespannt, wie diese Lightshow dann später aussehen wird, doch zuerst wird die Bühne erst mal in Nebel gehüllt, während die Herren mit ihren Instrumenten Aufstellung nehmen und auf Bandchefin Heidi Solheim warten. Die fegt dann wie ein Wirbelwind mit roten Haaren herbei und stürzt sich in den ersten Song, „The rebel song“ vom aktuellen Album Ninja. Genauso wild geht es mit „California“ und „(I’m gonna give you) All of my love“ weiter, das fast durchwegs ältere Publikum nickt eifrig, und ich habe Mühe, die Kamera ruhigzuhalten. Heidi tanzt in coolem schwarzem Fransenkleid mit Feinstrumpfhose über die Bühne als gäb’s kein Morgen, Gitarrist Espen Elverum Jacobsen spielt seine stattliche Gitarrensammlung durch und entlockt ihr mühelos schneidige Riffs und höllisch gute Improvisationen. „Louis Lane“ und „Reboot“, vom Album Reboot, nehmen das Tempo ein wenig raus und lassen dafür Heidis phänomenale Stimme noch deutlicher hervortreten. Es bluest, es soult, es rockt – wir sind jetzt nach ein paar Liedern schon alle verzückt. Auch Heidi kann gar nicht mehr aufhören zu grinsen, wenn sie nicht gerade singt oder wild die rote Mähne schüttelt, heute Abend funkt es zwischen Band und Publikum.
Vor dem Song „The parade“ erzählt Heidi kurz von ihrer Herkunft aus dem nördlichsten Norden Norwegens, einem kleinen Kaff bei Tromsø, in dem man nur cool war, wenn man einen fahrbaren Untersatz besaß. Sie gehörte nicht dazu, meint sie augenzwinkernd. Der dazugehörige Song ist dafür umso cooler, und man fühlt sich gleich in einen kleinen Ort versetzt, in dem die coolen Typen mit den heißen Schlitten eine Runde nach der anderen durch die Straßen drehen und lässig durch die Gegend schauen. Richtig spannend wird es jedoch beim nachfolgenden „Ghost chase“, ebenfalls vom Ninja-Album, meinem Favoriten der Scheibe. Ein langsamer Blueser, bei dem wieder Gitarrist Espen brillieren darf (hier mit Doppelhalsgitarre) und Heidis Stimme alles überstrahlt.
Nächstes Highlight ist der Titelsong des aktuellen Albums, „Ninja“, mit einem wirklich großartigen Einleitungspart von Keyboarder Nick Flade, der frei improvisiert und deshalb noch mal umso mitreißender wirkt. Das ist überhaupt schön: Heidi Solheim ist die unangefochtene Chefin, Musik und Lyrics stammen alle von ihr, doch auf der Bühne gibt sie ihren Leuten wahnsinnig viel Raum, und jeder der exzellenten Musiker (Drummer Ottar Tøllefsen und Bassist Gustav Peder Eidsvik nicht zu vergessen) zeigt, was er kann. „Sophia“ mit dem wunderbaren Refrain und das ungeheuer intensive „Derek“ beschließen den regulären Konzertpart, aber das kann es doch bitteschön nicht gewesen sein! Jetzt sind alle warmgetanzt und warmgebrüllt, so ziemlich jeder im Raum hat sich in Heidi verliebt und war wegen ihrer gesanglichen Leistung mehrmals schier atemlos, jeder hat bei den Gitarrensolos mitgerockt und mitgepost und sich von der auf der Bühne freigesetzten Energie mitreißen lassen. Ein Nachschlag muss da doch möglich sein.
Wir haben Glück, mit „Carry your own weight“ und „Booty call“ dürfen wir noch weiterrocken und weiterschwelgen, und am Ende sind dann alle glücklich und erschöpft, Band wie Publikum.

Wer auch nur entfernt was mit BluesSoulRock anfangen kann, der muss sich Pristine anhören und am besten auch anschauen. Meine Erfahrung, dass quasi jede skandinavische Band überzeugt, hat sich ebenfalls mal wieder bestätigt. Und mit The Legendary hat München eine feine Rock ’n’ Roll-Band, die man im Auge behalten sollte. Saucooler Abend! Nur die Lightshow hat mich nicht so recht überzeugt, aber vielleicht stand ich dafür auch zu nah an der Bühne, und von hinten hat sie besser gewirkt.

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch:

Setlist Pristine:
1. Rebel song
2. California
3. (I’m gonna give you) All my love
4. Louis Lane
5. Reboot
6. The parade
7. Ghost chase
8. One good reason (?)
9. No regret
10. Ninja
11. Sophia
12. Derek

13. Carry your own weight
14. Booty call

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  1. […] Mal in dieser Woche im Backstage Club wieder. Heute wird’s aber zur Abwechslung nicht rockig (Pristine und Avatarium wären jetzt aber auch nicht zu übertreffen), sondern elektropopgothisch. Zu den […]

  2. […] mit mir. Nachdem ich am Montag schon bei den wunderbaren Pristine aus Norwegen ausflippen durfte (Review hier), stehen heute meine schwedischen Doom-Rock-Lieblinge von Avatarium auf dem Programm, in die ich […]

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