Black Metal deluxe

Es ist Montagabend, und ich habe einen Termin. In diesem an Metal-Highlights wahrlich nicht armen Oktober kann man sich nicht mal am Wochenanfang von allen Aktivitäten erholen, denn mit Gaahls Wyrd, Winterfylleth und Gaerea verbreitet ein absolut hochklassiges Tourpackage im Backstage Finsternis, Raserei, extraschwarze Schwärze – und ganz viel Schönheit. Speziell auf Gaahls Wyrd freue ich mich sehr, denn den Auftritt auf dem diesjährigen DEMM hatte die Band kurzfristig absagen müssen. Sehr gespannt bin ich auf Gaerea, die den Status eines Openers eigentlich schon vor dieser Tour nicht mehr innehatten und die den Abend sicher furios eröffnen werden. Winterfylleth sind für den zweiten Tourblock für die Kollegen von Saor eingesprungen und werden die Schotten sicher gebührend vertreten.
DSC_4417Wie so oft in letzter Zeit gibt es allerdings auch heute ein wenig Verwirrung wegen der korrekten Anfangszeiten, sodass die Backstage Halle um halb sieben noch eher spärlich gefüllt ist. Gaerea aus Portugal legen dann aber von der ersten Sekunde an los, als würde der Raum aus allen Nähten platzen, und der Energiesturm, der auf der Bühne entfesselt wird, überträgt sich schnell aufs – dann auch zahlreicher werdende – Publikum. Was Sänger Guilherme Henriques wegen der Haube nicht an Mimik transportieren kann, übersetzt er in Körpersprache. Black Metal und ballettartige Grazie? Das geht, und es funktioniert. Die Musiker erschaffen dabei einen unglaublich tighten Teppich aus Aggressivität und zerbrechlichen Melodien, über den Guilherme mal leichtfüßig, mal angespannt bis zur letzten Muskelfaser wirbelt, tänzelt, stampft oder auch mal dramatisch zu Boden sinkt. Die Band erfindet das Black-Metal-Rad nicht neu, spielt aber sehr geschickt mit Breaks zwischen den musikalischen Eruptionen und baut über die vierzig Minuten Spielzeit – hauptsächlich mit Songs vom aktuellen Album Mirage – eine Dynamik auf, der man sich nur schwer entziehen kann. Am Ende kriecht Guilherme, mittlerweile allein auf der Bühne, zu einer Monitorbox und zieht sich in Zeitlupe daran hoch, bevor auch er mit einer letzten Abschiedsgeste verschwindet. (Schwer atmend – ich möchte nicht wissen, wie heiß es unter diesen Hauben ist.)
Man kann das alles etwas übertrieben finden, man kann sich aber auch davon mitreißen lassen. Für mich hat bei Gaerea alles zusammengepasst – Bühnenperformance, Outfit (zu den im Moment ja breitflächig angesagten Hauben tragen alle ordentliche schwarze Hemden, Hosen und metal-untypische elegante Herrenschuhe – très chic!) und natürlich die Qualität des musikalischen Materials. Hoffentlich bald wieder!  

DSC_4700Das genaue Gegenteil, zumindest in Sachen Bühnenperformance, erwartet uns kurz darauf bei den Briten von Winterfylleth. Die Bühne ist in ein zartes Nichts von Licht gehüllt (grade genug, dass man die Musiker erkennen kann), das Stageacting der Männer um Sänger Chris Noughton quasi nicht vorhanden – die Musik knallt nach einem Folk-Intro vom Band aber immerhin genauso erbarmungslos. Nach zwei Songs meint Chris Noughton schmunzelnd „Sorry for expecting our friends, you have us instead“, bevor es mit dem Titeltrack des aktuellen Albums Reckoning dawn weitergeht. Tatsächlich ist die Info, dass Saor in München nicht dabei sind, nicht zu allen Konzertbesucher*innen vorgedrungen. Manche freuen sich über den unerwarteten Auftritt von Winterfylleth, andere sind speziell wegen Saor gekommen. Ich kann mit beiden Bands gut leben, kenne beide noch nicht live und lasse mich somit überraschen. Winterfylleth haben grundsätzlich starkes Material, das mir aus der Konserve bisher gut gefallen hat, live schleicht sich allerdings eine gewisse Eintönigkeit ein – wahrscheinlich ist der Kontrast zu den überaus expressiven Gaerea heute einfach zu stark. Zum engagierten Kopfnicken reichen die harschen Soundwände der überlangen Songs aber allemal, und in anderer Konstellation wären Winterfylleth wahrscheinlich ein echtes Highlight.

DSC_4910Deutlich euphorisierter ist die Stimmung im Raum dann allerdings, als Gaahl zusammen mit Lust Kilman, Eld, Andreas Fosse Salbu und Drummer Kevin Kvåle die Bühne betritt. Der als Kind in einen Zaubertrank voller Charisma gefallene Norweger braucht tatsächlich nur einfach dazustehen, ins Mikro zu singen und bedächtig die Hand zu heben, und schon kann man alles um sich herum vergessen. Natürlich ist das dazugehörige Songmaterial – von den zwei GaahlsWyrd-Veröffentlichungen, aber wie immer auch aus der beeindruckenden Backlist von Gorgoroth, Trelldom und God Seed – auch über jeden Zweifel erhaben. Im Gegensatz zu den zwei letzten Konzerten von Gaahls Wyrd in München (2017, 2019) mit etwas mehr neuem Material bestückt, das live hervorragend funktioniert, auch wenn es auf Platte definitiv kein klassisch norwegischer Eiskristall-Black-Metal ist. „Ghosts invited“, „The humming mountain“ oder der Übersong „Carving the voices“ sind alles Perlen des Extremmetals, bei denen Gaahl außerdem die volle Bandbreite seiner Stimme zeigen kann. Markerschütterndes Black-Metal-Kreischen, beschwörender Klargesang und ganz viel dazwischen – es ist immer wieder eine Freude, diesem Mann zuzuhören. Während er bedächtig auf und ab schreitet, in seiner eigenen Welt zu leben scheint und immer wieder ganz besonders intensive Zweiermomente mit Fans in der ersten Reihe aufbaut (langes Handhalten, lange Blicke in die Augen – Gänsehaut pur!), wirbeln Lust Kilman, Eld und Andreas so routiniert wie spielfreudig über die Bühne, tauschen immer wieder die Plätze, posen wie die Weltmeister und animieren die Fans. Die lassen sich natürlich nicht lange bitten und feiern Klassiker wie Gorgoroths „Carving a giant“, God Seeds „Aldrande tre“ oder „Slave til en kommende natt“ von Trelldom gnadenlos ab. Mit „Alt liv“ von God Seed endet nach eineinviertel Stunden dieser Auftritt, der wieder einmal die musikalische Klasse Gaahls und seiner langjährigen Mitstreiter unter Beweis gestellt hat.

Gaerea verschlagen einem mit ihrer Wucht buchstäblich den Atem, Winterfylleth liefern ein solides Set ab (und wissen vermutlich selbst, dass sie es zwischen zwei dermaßen ausdrucksstarken Bands schwer haben werden), und Gaahls Wyrd verzaubern einmal mehr. Zumindest für mich war es ein glücklich machender Abend mit einer tollen Neuentdeckung und dem Abtauchen in norwegische Black-Metal-Geschichte.
Ach ja, und falls meine Begeisterung nicht ganz klar geworden sein sollte, noch mal zur Sicherheit: Gaerea waren DER WAHNSINN! Anschauen! Und Gaahl sowieso. Und Winterfylleth auch, die Jungs haben nichts falsch gemacht.

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch:

Setlist Gaahls Wyrd:
Within the voice of existence (Intro)
Ghosts invited
Carving a giant (Gorgoroth)
Wound upon wound (Gorgoroth)
Sign of an open eye (Gorgoroth)
The humming mountain
Awakening remains – before leaving
Carving the voices
Aldrande tre (God Seed)
From the spear
Slave til en kommende natt (Trelldom)
Sannhet, smerte og død (Trelldom)
Through and past and past
Exit – through carved stones (Gorgoroth)
Alt liv (God Seed)

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