„It’s a fucking Tuesday!“
Ein Dienstagabend in München im April. Schneeregen rieselt uns auf dem Weg ins Backstage leise aufs Haupthaar. Nicht so wild, wenn die Haare nass werden, denke ich, denn vor mir liegen drei Auftritte dreier Metal-Bands, die sie mir sicher ordentlich durchföhnen werden: Ketzer aus Bergisch-Gladbach, Svartidauði aus Island und Primordial aus Irland. Das Wetter ist also nicht das Problem – es scheint vielmehr am Datum zu liegen, weswegen sich so wenig Schwarzvolk im Backstage blicken lässt. Das Konzert musste vom Werk in die kleinere Halle verlegt werden, und um halb acht ist auch nur eine gute Handvoll Leute da.
Ketzer eröffnen den Abend, und was auf dem Dark Easter Metal Meeting 2015 noch recht gut funktioniert hat, ist jetzt irgendwie … merkwürdig. Die Mischung aus Thrash, Black und Death Metal, die ich eigentlich sehr mag, zündet diesmal gar nicht. Was nicht an der Band an sich liegt – die Bergisch-Gladbacher liefern eine fette Show, die sich sehen lassen kann, und haben sichtlich Spaß an der Sache. Ich scheine mit der Songauswahl an diesem Abend einfach nicht warm zu werden, die mir viel zu durchwachsen ist, sodass mir die Herren um Fronter Infernal Destroyer weder nach Fisch, noch nach Fleisch klingen. Wie gesagt, mein Problem, denn den anderen Gästen in der Halle (auch denen, die jetzt erst dazukommen), taugt die Mukke, und die ersten Mähnen werden geschüttelt. Langsam taut man bei dem Sound auf, und mich erwischt es dann bei den letzten drei Liedern, die Ketzer an diesem Abend zum Besten geben, auch endlich (was vielleicht auch am knackig gebrüllten „Saaataaan“ liegt, das dann richtig Laune macht). Ich bin auf das nächste Ketzer-Konzert gespannt, denn ich habe so die Ahnung, dass die seit 2003 aktiven Jungs ihre beste Phase noch vor sich haben.
Die vier Isländer von Svartidauði (was sich mit „schwarzer Tod“ übersetzen lässt) machen astreinen Black Metal, wie er sein soll: ohne Ansagen, ohne Schnickschnack, ohne Kompromisse – und liefern damit das Kontrastprogramm an diesem Abend. Mit dem angenehm monotonen Sound, der mich durch die Absenz von Melodien entzückt, stechen die vier vermummten Herren an diesem Abend musikalisch arg heraus, aber ich bin nicht die Einzige, die mehr als wohlwollend zu den überlangen Songs wie „Flesh Cathedral“ oder „Venus Illegitima“ mit dem Kopf nickt. Seit 2002 aktiv, bringen es die vier Herren auf gerade mal einen Longplayer (der allerdings auch schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat), diverse Demos und EPs sowie ein Live-Album. Die überschaubare Diskografie hat es jedoch in sich: Die Stücke sind atmosphärisch sehr dicht und beklemmend, was auch live sehr gut rüberkommt, und versetzen einen mit über zehn Minuten Länge regelrecht in Trance. Auch in Sachen Bühnenperformance und Beleuchtung halten Svartidauði sich sehr zurück; hier spricht wirklich die Musik für sich. Sänger und Gitarrist verstecken ihre Gesichter hinter kleinen Halstüchern, was ihnen ein gewisses Wild-West-Flair verleiht. Der zweite Gitarrist trägt einen Pulli mit Kapuze, unter der es dank des spärlichen Lichts und des Nebels kein Gesicht zu geben scheint. Wir fragen uns schon, ob er überhaupt menschlich ist, so entrückend ist die Wirkung der Musik. Nach einer guten Dreiviertelstunde (und vier Songs) ist der nordische Spuk dann auch wieder vorbei, aber so mancher Konzertbesucher schaut noch etwas sparsam, als das Licht wieder angeht, und fragt sich, was ihm da gerade widerfahren ist. Auf jeden Fall hörenswert, auch aus der Konserve!
Als dann die Lichter endlich wieder ausgehen und „Dark Horse on the Wind“ vom Band läuft, bin ich mehr als froh, dass es an dem Abend nicht so voll ist, sondern ich durchaus noch einigen Bewegungsspielraum habe. Nicht mal der Zwei-Meter-Mann mit dem Afro, der sonst auf Konzerten immer vor mir steht, hat sich blicken lassen – Primordial kann kommen! Die Iren legen dann mit „Gods to the Godless“ und dem titelgebenden Kracher „Where greater Men have fallen“ vom aktuellen Album gleich mal ordentlich vor, und mich beschleicht die grobe Ahnung, dass dieser Konzertabend meinem entzündeten Rachen alles andere als gut tun wird. Egal – muss ich eben zusehen, dass am nächsten Tag die Nackenschmerzen überwiegen, was dank „No Grave deep enough“ und dem phänomenalen „Babel’s Tower“ kein Problem werden wird. „The Calling“ lässt mir dann auch keine Pause; erst bei „Lain with the Wolf“ hole ich wieder Luft. Das Quintett um Fronter Nemtheanga, der sich gleich zu Beginn bei allen Erschienenen bedankt hat – „We appreciate it – it’s a fucking Tuesday!“ –, ist hervorragend drauf. Zu „As Rome burns“ wird der obligatorische Publikumschor von der Bühne aus dirigiert, „The Mouth of Judas“ und „Bloodied yet unbowed“ vergehen in einem Meer aus Haaren, die überall um mich herum eifrig geschüttelt werden. Wirklich still halten kann sich bei dieser Musik ohnehin niemand, und Primordial schieben einen Hit nach dem nächsten nach: auf „Traitor’s Gate“ folgen die „Coffin Ships“, die natürlich vom Publikum ordentlich abgefeiert werden. Zum Ausklang werden dann „Wield Lightning to split the Sun“ und „Empire Falls“ gegeben; nach wenigen Minuten gibt es dann noch „Heathen Tribes“ als Zugabe oben drauf. Das Heidenvolk verlässt anschließend fertig, aber glücklich die Halle – hinaus in die dicken Flocken, die in den letzten Stunden mein Auto komplett zugeschneit haben. Nach fünf Metern bin ich durchgefroren, aber mehr als glücklich.
Insgesamt ein wirklich cooler Konzertabend, der für mich persönlich etwas schleppend in die Gänge kam, dem aber die „Wohnzimmeratmosphäre“ dank geringer Besucherzahl keinen Abbruch getan hat. Und ja, ich hatte am nächsten Tag sowohl Rachen als auch Nacken – und bereute nichts!
Setlist Primordial:
Dark Horse on the Wind
Gods to the Godless
Where greater Men have Fallen
No Grave deep enough
Babel’s Tower
The Calling
Lain with the Wolf
As Rome burns
The Mouth of Judas
Bloodied yet unbowed
Traitors Gate
The Coffin Ships
Wield Lightning to split the Sun
Empire Falls
Zugabe: Heathen Tribes
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