„Berlin – The greatest cultural extravaganza that one could imagine“ – David Bowie

Erst Ende letzten Jahres hat Schiller unter seinem eigenen Namen Christopher von Deylen ein neues Album herausgebracht. Aber schon so früh im neuen Jahr erscheint nun Schillers Summer in Berlin. Städte, die man verlassen hat, scheinen eine starke Anziehungskraft zu haben, so ging es damals ja auch David Bowie. Schiller ist jahrelang umhergezogen, weil er aus der ganzen Welt Musiken und Musiker*innen gesammelt hat. Auch auf seinem elften Schiller-Studioalbum verbindet er wieder mit seiner elektronischen, leicht hypnotischen Musik Clubtracks mit langen, ausufernden Klangkaskaden. Musikalische Traumwelten, deren Reiz es ausmacht, dass sie von starken und bekannten Stimmen getrieben und begleitet werden.

Seit „Dream of you“ von Wolfsheim mit Peter Heppner bin ich immer wieder auf Schiller aufmerksam geworden. Er hat mehrmals mit Alexander Veljanov von Deine Lakaien gearbeitet, mit Tarja Turunen und Mike Oldfield, spielte live mit Depeche Mode vor 25.000 Leuten, arbeitete mit Nena, Tangerine Dream, mit dem chinesischen Pianisten Lang Lang und der russischen Opernsängerin Anna Netrebko. Nun unterstützen ihn Tricia McTeague, Quaeschning (Tangerine Dream), Sophie Hiller, Janet Devlin, das Ausnahmetalent Schwarz (derzeit mit der Langzeitdokumentation „Wie ein Fremder“ auf Netflix zu sehen) sowie die persisch-kurdische Künstlerin Yalda Abbasi und Alphaville. Denn deren Kulthit „Summer in Berlin“ hat er als Teenager nonstop auf Vinyl gehört und jeden Ton inhaliert. „Berlin“ klang für ihn nach ultimativem Fernweh. Das Remake von Alphaville passt deswegen hier nun perfekt. Schiller wollte ein Roadmovie erzeugen.

Die Titel auf der ersten CD klingen deshalb nicht nur danach, sondern sind zum Teil auch echte Filmtitel. Es klingt alles ein bisschen nach Wim Wenders, nach Babylon Berlin, Metropolis, Menschen im Hotel und einem gefallenen Engel, der sich verliebt hat und deswegen seine Flügel verliert und sterblich wird. Nachdem man wie immer erst einmal „Willkommen“ geheißen wird, taucht man ein in den „Klang der Stadt“ und hat fast 20 Minuten, um sich bei sphärischen, mystischen Klängen auf eine angenehme Zeit einzurichten. Mit „Summer in Berlin“ wird man dann direkt auf die angenehme Seite der 80er Jahre geschubst. Alphaville-Sänger Marian Gold hat immer noch diese angenehme helle Stimme. Der Song ist eine Auferstehung! Ein schönes, minimalistisches, modernes Video ist hierzu entstanden, es ging zeitgleich zum Erscheinen des Albums am 12. Februar online.

Hier ist die Schauspielerin Lea Drinda zu sehen, quasi in der Rolle des jungen Marian Gold. Sie wird man auch in der Serie Wir Kinder vom Bahnhof Zoo sehen können. „Miracle“ und „Guardian Angel“ mit Tricia McTeague und „Better now“ mit Janet Devlin muss man einfach noch einmal explizit erwähnen wegen der schönen heavenly voices und perfekten Harmonien in den Songs, die Videos dazu haben eine lässige, unaufdringliche Schönheit. Das ist auch immer das Spannende bei Schiller, dass man oftmals en passant Künstler*innen und Interpret*innen kennenlernt, die einem sonst nie begegnet wären. Aber auch oder vor allem die langen, gesanglosen Stücke ziehen einen in den Bann, immer ein bisschen an die 80er Jahre angelehnt, ein bisschen wie bei Ten CC und „I’m not in Love“. Aber man ist es doch!

Die zweite CD ist ein Live-Album, es heißt sinnigerweise „Live in Berlin“. Klassiker, die einen träumen lassen. Beim sechsten Track muss ich aufhorchen: Jedesmal fast kommen mir bei „Ein schöner Tag“, basierend auf „Un bel di vedremo“ aus der Oper „Madame Butterfly“, die Tränen. Schiller live erinnert mit seinen Lasershows und der elektronischen, treibenden und doch hypnotischen Musik immer irgendwie an Eberhard Schoener damals in den 70er Jahren, an Jean Michel Jarre und Tangerine Dream. Aber nun ist Schiller da, der etwas modernere Vertreter dieser Art von Musik, und zwar seit mehr als 20 Jahren. Er nimmt sich angenehm zurück, lässt seine Musik und die Stimmung für sich sprechen und stellt seine musikalischen Gäste in den Vordergrund.

Dieses Doppelalbum ist sehr gelungen. Der Hardcore-Fan kann sich mit dem „Summer In Berlin“-Boxset neben dem gleichnamigen Studioalbum auch noch vier bisher unveröffentlichte Live-Konzerte auf insgesamt zwei CDs und zwei Blu-Rays mit einer Gesamtspielzeit von über acht Stunden holen, komplettiert mit exklusiven Dokumentationen, Videoclips sowie einem aufwändigen Foto-Artbook. Es gibt besondere Editionen und Inhalte. Ich selbst war mit meiner Doppel-CD zur Review, dem neuen Studio-Album und den Live-Mitschnitten, sehr zufrieden!

Summer in Berlin ist Eskapismus pur. Es ist beruhigend, verträumt, und für Kinder der Nacht und Liebhaber von 80er-Sound eine klare Empfehlung. Dass es diesen „Summer in Berlin“ schon im Februar zu hören gibt, erhöht bei mir die Vorfreude auf einen hoffentlich entspannten Sommer.

Anspieltipps: CD 1: Summer in Berlin, CD 2: Ein schöner Tag

Schiller: Summer in Berlin/Deluxe Edition (2 CD)
Sony Music, Vö. 12. Februar 2021
Länge: CD1: 83:49 Min. – CD2: 74:40 Min.
CD: 19,49 € MP3 1,29 € pro Song

CD 1: Summer in Berlin
1. Willkommen
2. Der Klang der Stadt
3. Summer in Berlin (x Alphaville)
4. Der Goldene Engel
5. Miracle (x Tricia McTeague)
6. Liebe aus Asphalt
7. Wenn die Nacht erwacht
8. Better now (x Janet Devlin)
9. Metropolis
10. Menschen im Hotel
11. Guardian Angel (x Tricia McTeague)
12. Fantastique I
13. Fantastique II
14. Dem Himmel so nah (x Quaeschning)

CD 2: Live in Berlin
1. Berlin Moskau
2. Das Glockenspiel
3. Ultramarin
4. Avalanche (x Schwarz)
5. Es werde Licht
6. Ein schöner Tag
7. Schiller
8. Ruhe
9. Velvet Aeroplane (x Sophie Hiller)
10. Unviverse (x Tricia McTeague)
11. Das goldene Tor (x Yalda Abbasi)
12. Berlin Tehran
13. Harmonia
14. Good Bye

 

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