Dark as a dungeon

Dobler-CashDie erste Auflage von The beast in me: Johnny Cash erschien anlässlich des 70. Geburtstags von Johnny Cash, dem unvergesslichen Man in black. Nach dessem Tod 2003 hat Franz Dobler seine Biografie noch einmal für die Taschenbuchausgabe überarbeitet. Doch Johnny Cash ist als Thema noch lange nicht abgehakt, und so wurde das Buch auch 17 Jahre später noch einmal aktualisiert. Erst durch sein Spätwerk, den American Recordings, die in Zusammenarbeit mit dem legendären Producer Rick Rubin entstanden sind, wurde ich so richtig auf Cash aufmerksam. Denn wegen der abgrundtiefen Ausstrahlung sowohl von der Musik als auch von den Covermotiven stehen diese bei mir unter Gothic im Regal, und nicht unter Country. Man spürt den Tod jederzeit lauern, und was könnte mehr Gothic sein.
Wer dies noch nicht getan hat, sollte sich dringend seine Version von „Personal Jesus“ anhören (Link), die derart intensiv ist, dass das Original von Depeche Mode im Vergleich dazu nur mehr wie ein mäßiges Cover wirkt. Und wie Cash „Hurt“ von Nine Inch Nails intoniert (Link), das ist ein Song für die Ewigkeit und einfach nur zum Niederknien.

Aber es gibt noch viel mehr zu entdecken, und dazu ist die hier vorliegende Biografie von Franz Dobler ideal, da sein Blick eben nicht amerikanisch geprägt ist. Er erzählt detailliert die Lebensgeschichte von Johnny Cash anhand der Verflechtungen mit der Country-Musik, denn beide sind untrennbar miteinander verbunden. Dazu holt Dobler weit aus, weit vor der Geburt des kleinen John R. Cash. Er beleuchtet dessen Kindheit und seinen Werdegang, wie sich die Musikleidenschaft entwickelt, und wie es zu den ersten Aufnahmen mit Sam Phillips im legendären Sun Records Studio in Nashville kommt. Die erste Ehe mit Vivian Liberto scheitert schließlich, und seine große Liebe June Carter wird seine zweite Frau. Aufs und Abs durchziehen seine lange Karriere. Auf der einen Seite eine zerstörerische Drogensucht, die von Dobler schonungslos geschildert wird, auf der anderen Seite gefeierte Singles und Alben, wie zum Beispiel die Gefängnis-Live-Alben At Folsom Prison und At San Quentin. Schließlich lässt ihn die Country-Industrie in Nashville fallen – zu alt, zu unansehnlich und nicht modern und poppig genug. Man möchte fast ‚Danke‘ sagen, denn so kann der junge Rick Rubin mit seinem Indie-Label American Recordings in Cashs Leben treten, der zuvor u a. die Beastie Boys, Slayer, The Cult, Public Enemy und Danzig produziert hat. Meilenweit weg von Country also, doch er glaubt an das künstlerische Potential, das der alte Mann noch immer zu bieten hat.

Der Titel „Dark as a dungeon“ (im Original von Merle Travis 1946) deutet es bereits an: Das Werk von Johnny Cash strahlt in vielerlei Hinsicht eine Dunkelheit aus, und das auch schon weit vor den American Recordings, das wird im Laufe des Buches klar. Die Dunkelheit hat er meiner Meinung nach an Nick Cave vererbt, und das nicht nur, weil der schwarze Anzug bei beiden ein Markenzeichen ist. Zunächst covert Cash dessen „The Mercy seat“, und auf dem nächsten Album folgt das Duett „I’m so lonesome I could cry“, mit dem die beiden Ausnahmekünstler Hank Williams ein Denkmal setzen.
Zusätzlich bietet das Buch eine Diskografie und ein umfangreiches Personenregister, sodass es sich fast als Lexikon zum Nachschlagen eignet, und viele Bilder und Plattencover runden alles ab.

Fazit: Franz Dobler versucht in The beast in me: Johnny Cash die journalistische Distanz zu wahren, doch das gelingt ihm nicht immer. Ab und zu blitzt seine Verehrung für Cash und seine Liebe zu Country durch, doch das ist überhaupt nicht schlimm. Im Gegenteil, man spürt deutlich, dass sich Dobler mit Hingabe akribisch in dieses Thema hineingekniet hat und ganz dicht dran ist an Cash. Mit mehr Distanz wäre es vermutlich nicht möglich, diese Tiefe zu erreichen, die das Buch so spannend und interessant macht. Auch eingefleischte Fans werden hier Neues entdecken.
Zugegeben, bei dem Untertitel „… und die seltsame und schöne Welt der Country-Musik“ war ich zunächst nicht begeistert. Hank Williams war mir zwar ein Begriff, doch abseits von Johnny Cash hatte ich trotz meiner Ausflüge in die Rockabilly-Szene mit Country nicht viel am Hut. Und nun, hinterher, bin ich froh darüber, dass Franz Dobler sich „nebenbei“ auch dieser Aufgabe angenommen hat. Die Verflechtungen im Country sind derartig vielfältig, und man kann The Man in Black nicht verstehen, ohne auch diese zu beleuchten. Ich werde The beast in me nicht zum letzten Mal in der Hand gehabt haben und wieder mit dessen Hilfe auf musikalische Streifzüge gehen. Es gibt noch viel zu entdecken.
Das Buch eignet sich auch als tolles Last-Minute-Geschenk, und selbst, wenn man die Gelegenheit verpasst hat: Was Cash angeht, ist immer Weihnachten.

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Franz Dobler: The beast in me: Johnny Cash
Heyne Hardcore, Vö. 09.11.2021
15,00 €, als E-Book 11,99 €, erhältlich über Penguinrandomhouse
Paperback, Klappenbroschur, 432 Seiten
Homepage: https://www.penguinrandomhouse.de/Paperback/The-Beast-in-Me-Johnny-Cash/Franz-Dobler/Heyne-Hardcore/e594346.rhd
https://www.franzdobler.de/

(2020)