Black celebration
Das Feierwerk – genauer gesagt, der gemeinnützige Verein Feierwerk e. V. – feiert sein vierzigjähriges Bestehen mit einem zweitägigen Festival – und der Katzenclub ist dabei! Großartige Neuigkeiten waren das vor einiger Zeit, und es ist schön, dass diese verdiente und wichtige Kultureinrichtung, die den vielfältigsten Musikrichtungen und Aktivitäten Räume bietet, auch eine schwarze Veranstaltung bei den Feierlichkeiten dabeihaben möchte. Der Katzenclub ist ja bekannt für sein geschicktes Händchen bei der Bandauswahl – alte Helden, vielversprechende Newcomer, Insidertipps, immer hochklassig, immer spannend -, und auch diesmal sorgt das Line-up für ein bisschen Schnappatmung: The Devil & The Universe aus Österreich und Henric de la Cour aus Schweden werden die Kranhalle am zweiten Festivaltag beschallen. Pflichttermin fürs Gothenvolk und vielleicht die eine oder andere Neuentdeckung für die sonstigen Festivalbesucher*innen. Auf ins Getümmel!
Vorab soll aber erst noch das Feierwerk an sich gewürdigt werden, das übrigens zu diesem Jubiläum sogar eine eigene Zeitschrift herausgebracht hat (kann über die Website angefordert oder vor Ort mitgenommen werden). 40 Jahre und kein bisschen müde ist es, im Gegenteil, immer neue Standorte und Aktivitätsbereiche wurden und werden erschlossen. Neben der Fachstelle Pop, dem Radio Feierwerk, der Fachinformationsstelle Rechtsextremismus, dem Skateplatzl, dem Farbenladen und den Konzert- und Partyräumen auf dem Stammgelände am Westpark gibt es die Funkstation in Schwabing-Freimann, das Trafixx in Obersendling sowie weitere Treffs für Kinder, Jugendliche und generell ganze Familien. Außerdem ist für 2026 die Eröffnung einer neuen Freizeitstätte in Freiham geplant, mit dem Übergangsprogramm soll es sogar diesen Sommer schon losgehen. Das Feierwerk bietet seit vierzig Jahren (jungen) Leuten Möglichkeiten, sich künstlerisch auszuleben, es bietet Auftrittsmöglichkeiten, Räume für kreative Aktivitäten (vor allem für Kinder und Jugendliche), Workshops unter anderem zu Musik- und Awareness-Themen, Ausbildungsplätze, ist ein sicherer Ort für alle Menschen. Ein Ort zum Feiern wie zum Lernen, ein Ort der Begegnung, ein Ort des Austauschs. Beim VIP-Empfang am Donnerstag, mit dem das 40-Jahre-Festival eingeläutet wird, betonen die verschiedenen Redner*innen – alle seit Jahrzehnten dem Feierwerk auf die eine oder andere Art verbunden – genau das. Geschäftsführer Ernst Wolfswinkler erzählt aus seiner langjährigen Arbeit für das Feierwerk, die zweite Bürgermeisterin Katrin Habenschaden betont als Vertreterin der Stadt München – eine wichtige Förderin des Feierwerks – die Bedeutung der Einrichtung, das „offene, bunte und solidarische Miteinander“ und die enorm gewachsene Bandbreite des Angebots. „All diese Aktivitäten werden getragen von dem Leitbild des Vereins, kulturelle Teilhabe zu ermöglichen und ein Miteinander, ohne Ausgrenzung, Abwertung und Diskriminierung zu schaffen. Auch da ziehen Stadt und Feierwerk seit jeher fest an einem Strang, das soll immer so bleiben.“ (Zitate: Pressemitteilung Feierwerk zum VIP-Abend am 15.06.23)
Eine andere Perspektive zeigt Prof. Dr. Martina Ortner (Professorin für migrationssensible Soziale Arbeit an der OTH Regensburg) in ihrer Rede, nämlich die wissenschaftliche, analytische. Für sie ist das Feierwerk „ein Ort für den Genuss“, „ein Ort der Gemeinschaft“ und „eine Institution“. Ein Sozialraum, der genauso Platz für Ästhetik wie für politische Gestaltung bietet, für Vielfalt und Teilhabe. (Zitate: Pressemitteilung Feierwerk)
Die dritte Rede des Abends trägt Dr. Christian Huber bei, 1. Vorstand des Feierwerk e. V., die zugleich auch die emotionalste ist, eine einzige große Liebeserklärung an das Feierwerk. Für ihn ist es ein Ort, „an dem wir so sein dürfen, wie wir sind. Ein Ort an dem wir uns nicht verstellen oder beweisen müssen, an dem wir nicht bewertet oder in Schubladen gesteckt werden. Ein Ort, an dem wir uns geborgen fühlen, dieses Gefühl haben, am richtigen Ort zu sein.“ (Zitat: Pressemitteilung Feierwerk)
Doch das Feierwerk wäre nicht das, was es ist, ohne die Menschen dahinter, und alle am heutigen Abend anwesenden Mitarbeiter*innen werden für einen verdienten, ohrenbetäubenden Applaus auf die Bühne gebeten. Ein großer Dank an dieser Stelle auch von Schwarzes Bayern an diejenigen, mit denen wir direkt zusammenarbeiten, aber auch an alle anderen, die den Laden am Laufen halten, vor und hinter den Kulissen. Danke!!
Nach den Reden ist gemütliches Zusammensitzen im Freien angesagt, wir werden mit köstlichstem Essen versorgt, die Getränke fließen, die Gespräche auch, und ja, wir fühlen uns rundum geborgen.
Am Freitag geht es dann los mit Konzerten und Partys (Indie, Pop, Punk, Electro, Dub, Rock – auf allen Areas ist was geboten), am Samstag bin ich für Schwarzes Bayern am Start und freue mich sehr auf den Abend. Auf der Außenbühne gibt es heute Singer-/Songwriterprogramm mit Annika und Listentojules, was sehr schön anzuhören ist, entweder direkt vor der Bühne oder gemütlich im Biergarten bei den ersten Getränken und beim Quatschen mit Freund*innen.
Um halb neun geht es dann drinnen in der Kranhalle los, The Devil & The Universe sind gern gesehene Gäste beim Katzenclub, und es ist schön, dass die österreichischen Ziegenköpfe nach dem Katzenclub-Krimi im Februar 2020 heute Abend wieder dabei sind. Wer das Trio schon mal gesehen hat, weiß ungefähr, was einen erwartet, viel interessanter werden die Reaktionen des szenefremden Publikums sein – ich bin gespannt. Ashley Dayour, David Pfister und Stefan Eisbacher betreten nach einem langen Intro wie immer in schwarze Kutten gehüllt und mit Ziegenmasken vor dem Gesicht die finstere Bühne, und nachdem Ashley symbolisch die Menge geteilt hat, stürzen sich die drei ins aktuelle Album GOATopia und in einen gewohnt rasanten Auftritt. TDATU spielen … ja, was eigentlich. Goatwave, Synthwave, Electronica mit viel Trommeln, Tribal- und Ritualelementen, manchmal Gitarre, selten Vocals, immer mit psychedelisch-düsteren, aber auch sehr humorigen Videos untermalt. Ashley hat den größten Bewegungsradius, veranstaltet fliegende Wechsel zwischen Effektgerät (bei „Echotopia“/“Utopia incognita“), diversen Drumpads, Keyboard und Gitarre (z. B. bei „It is our will“), während die beiden anderen zwar mehr an ihre Tische mit Elektronik und weiteren Drumpads gebunden sind, aber genauso in der hypnotischen Musik aufgehen. Die Band bietet einen rasanten Querschnitt durch ihr Schaffen, mit Klassikern wie „Stygian“ (die tanzenden Nonnen im Video), „Willow dance“ (das Zeichentrickvideo), „Altamont apocalypse“ (mit dem charakteristischen „What is happening to us?“-Ruf), „Danaus plexippus“ oder „Black harvest“. Man weiß oft schier gar nicht, wo man zuerst hinschauen soll, so viele Eindrücke prasseln auf einen ein. Nachdem die Songs weitgehend instrumental gehalten sind und ohne viele Ansagen ineinander übergehen, entsteht ein richtiggehender Sog, dem sich viele in der mittlerweile rappelvollen Kranhalle hingeben und verzückt tanzen (ja, auch das szenefremde Publikum!). Natürlich dürfen auch „What time is love?“ und „The church of Goatopia“ („Es ist zwar kein Sonntag, aber einen Gottesdienst gibt es trotzdem!“) nicht fehlen und setzen beeindruckende Schlusspunkte hinter diesen sehr feinen Auftritt.
Während der Umbaupause postieren sich schon die ersten Die-Hard-Fans von Henric de la Cour (darunter natürlich auch ich) in der ersten Reihe, und allen steht die große Freude ins Gesicht geschrieben, den charismatischen Schweden mit seiner Band endlich mal in München sehen zu dürfen und nicht auf einem Festival irgendwo in der Republik. Ich schätze mich sehr glücklich, ihn schon diverse Male gesehen zu haben (und sogar 2002 auch mal im Feierwerk, damals mit seiner ersten Band Yvonne im Vorprogramm der (International) Noise Conspiracy, das war toll), trotzdem bin ich furchtbar aufgeregt. Zumal sich ja auch vor jedem Konzert die Frage stellt: Wie geht’s ihm? Der Eröffnungssong „My machine“ gerät auch noch ein wenig wacklig, der Sound sitzt auch noch nicht so ganz, aber beim nachfolgenden „Kowalski was here“ passt alles. Zwei so emotionale und wunderschöne Songs gleich am Anfang, die ersten Reihen sind entzückt, bevor es mit „Two against one“ rockiger weitergeht. Henric bewegt sich wie immer viel auf der Bühne, kommt ganz vor an den Rand, singt direkt ins Publikum, verknotet sich um seine lange, schlaksige Gestalt – und muss zwischendurch doch immer wieder ordentlich nach Atem ringen und Pausen machen. Die überbrücken die Mitstreiter – Rikard Lindh wie immer am Keyboard, an der Gitarre diesmal leider nicht Camilla Karlsson (die sonst auch immer ihre tolle Stimme beiträgt, die man übrigens auch bei ihrer eigenen Band It’s for us bzw. ihrem Soloprojekt Viola Travels hören kann, beide sehr empfehlenswert), sondern ein mir unbekannter Kollege – souverän. Ein nächstes Highlight ist das düstere „Chasing dark“, mit zum Heulen schönen Melodien und natürlich dieser einzigartigen Stimme voller Schmerz und Emotionen. Die ersten Reihen singen mit, um mich herum strahlende Gesichter, alles tanzt. Ansagen gibt es kaum, ein gelegentlicher Dank von Henric, weiter geht’s. Das langsame, sich eindringlich steigernde „Grenade“ ist ein weiterer Höhepunkt und live immer wieder ein besonderes Erlebnis. Genau herzzerreißend schön geht es mit „A Texas dream“ weiter, der letzten Veröffentlichung von Henric de la Cour aus dem Jahr 2019 (abgesehen von der Kollaboration mit Abu Nein, „Black light“, von 2021). Bei den folgenden „Arkham supermarket“ und „Dogs“ holt Henric noch mal alles aus sich heraus, legt alle Kraft in die Stimme und die Performance, bevor es mit „Sound the alarm“ zum Abschluss etwas ruhiger wird. Tosender Beifall brandet auf, lautstark wird eine Zugabe verlangt, kommt die Band noch mal zurück? Schafft Henric noch ein paar Songs? Ja, sie kommen zurück, und als „Do you know do you know the way home?“ erklingt, die erste Zeile des großen Hits „Dracula“ vom Debütalbum Henric de la Cour, ist das Instantglück. Als dann noch „Clinic“ kommt, ebenfalls vom Debütalbum und eine tieftraurige Songperle, bin ich selig, und um mich herum viele andere Menschen auch. Ein großartiger Auftritt geht zu Ende, mit hervorragender Setlist quer durch alle drei bisherigen Alben (natürlich fehlen immer ein paar persönliche Lieblingslieder, aber man kann nicht alles haben), der auch das szenefremde Publikum begeistern konnte. (Wer übrigens mehr über den Künstler erfahren möchte, dem sei der Dokumentarfilm über ihn aus dem Jahr 2014 ans Herz gelegt, erhältlich auf DVD.)
Danach steht Henric geduldig am Merch, signiert, lässt sich fotografieren und verkauft höchstselbst T-Shirts, später mischt er sich mit seiner Band noch unters Partyvolk. Denn nach den Konzerten geht das Festival natürlich noch weiter, entweder mit Katzenclub-Party auf zwei Floors, oder in der Hansa 39 bei Morecore, oder wer es etwas relaxter möchte, kann ins Sunny Red zu Dub und Reggae wandern. Oder sich wie viele Besucher*innen im Biergarten bei frischer Luft, angenehmer Hintergrundbeschallung, diversen Getränken und netten Gesprächen die Zeit vertreiben, die dabei auch wie im Flug vergeht.
Vielen Dank an alle beteiligten Künstler*innen, ans Feierwerk mit allen Mitarbeiter*innen, an alle Besucher*innen, die dieses Jubiläum so speziell gemacht haben und bei dem man sich wirklich rundum geborgen fühlen konnte. Auf die nächsten 40 Jahre!
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