Das Ziel war, Rock ’n‘ Roll unbedingt zu vermeiden

bowie blackstar

David Bowie gibt schon lange keine Interviews mehr. Bowies langjähriger Produzent Tony Visconti gibt deshalb im „Rolling Stone“ eine knappe Erklärung zur Entstehung des neuen Albums ab: „Das Ziel war, Rock ’n‘ Roll unbedingt zu vermeiden.“ Und das ist gelungen. Das 25. Album in 50 Jahren Bowie-Musikgeschichte ist zwar ein Bowie-Album, gespielt aber von Jazzmusikern. Er hat hierbei nicht auf seine üblichen Studiomusiker zurückgegriffen, sondern sich mit Jazz-Musikern zusammengetan, die er im New Yorker Club „55 Bar“ kennengelernt hat, allen voran den Avantgarde-Jazzer Donny McCaslin als Bandleader.

Blackstar besteht aus sieben langen Songs. Schon bei den ersten Tönen des ersten Tracks weiß man: Das ist etwas ganz Besonderes. Es ist ein Bowie-Song und beinhaltet die Stimme von Bowie, beginnt wie „The little Drummer Boy“ mit Bing Crosby und schraubt sich hoch zu einem Weltraum-Science-Fiction-Musical. Es sollte ursprünglich mehr als 10 Minuten dauern, aber weil Mr. Bowie lernte, dass iTunes keine Singles akzeptiert, die diese Zeitmarke überschreiten, hat er es eben gekürzt – auf schlanke 9 Minuten und 58 Sekunden. Bowie singt im Falsett, das Saxophon bläst wild, der Text ist düster: Das kann man immer und immer wieder hören. „`Tis a pitty she was a Whore“ thematisiert angeblich das Grauen des Ersten Weltkriegs, gleichwohl merkt man Bowie den Spaß am Singen an, wenn er beim Refrain nach und nach seine Stimme nach oben schraubt. „Lazarus“ erschließt sich einem leichter, auch wenn es wiederum sehr jazzig angehaucht ist. Es beginnt sehr modern und minimalistisch, dann setzen ganz dezent Bläser ein. Diesen Song hat Bowie für sein gleichnamiges Musical geschrieben, das im Dezember mit dem Schauspieler Michael C. Hall („Dexter“) in der Hauptrolle in New York Premiere hatte. Hierbei gab es einen der sehr seltenen öffentlichen Auftritte David Bowies. „Sue (Or in a Season of Crime)“ möchte wie ein Rock-Stück beginnen, ja, Hilfe, es erinnert mich an den Anfang von „Footloose“, es entpuppt sich aber auch schnell als Jazz-Nummer. Bei „Girl loves me“ ist David Bowie mit einem Peter-Gabriel-esken Kick in der Stimme nach oben unterwegs. Gibt es ihm vielleicht einen Kick, dass das Mädchen ihn liebt? Bei „Dollar Days“ ist die an Jan Garbareks Saxophon-Klänge erinnernde Jazztrompete, die die einzelnen Strophen abtrennt, schon sehr ausgeprägt, aber nicht übermächtig. Bowies Gesang spielt hier die Hauptrolle. Diese typische Stimme von David Bowie, Singen auf einer etwas höheren Tonlage, auf einer Tonlage bleibend, eine Art Sprechgesang, ist in diesem Song vielleicht am typischsten ausgeprägt. Und auch bei „I can’t give everything away“ hört man, dass Bowie mit 69 noch so singen kann wie mit 19. Er hat Kraft in der Stimme, er moduliert in Tonlage und Lautstärke, und freilich, ab und an darf man mit fast 70 Jahren bei großen Spaziergängen nach unten und nach oben auch mal mit der Stimme einbrechen.

Dieses Album ist ein typischer David Bowie, hat aber mit Hymnen wie „Heroes“ oder „Passenger“ nichts zu tun, und erst recht nichts mit „Ashes to Ashes“ oder „China Girl“. Es schließt den Kreis zu seinen frühen Alben. Hört euch Aladdin Sane von 1973 an. Hier ist die Instrumentierung ebenso schräg und jazzig wie auf diesem Album. Der Meister schreibt seit fast 50 Jahren Musikgeschichte. Er hat Glitter, Pop, Rock, Filmmusik, Elektronische Musik, Musical-Musik und unter anderem Jazzmusik geschrieben. Er hat sich selbst zum 69. Geburtstag dieses Album zum Geschenk gemacht. Er darf jede Art von Musik machen, die er will. Er ist schließlich „The Man who sold the World“, ein Held, nicht nur für einen Tag.

PS:
Leider ging am 11.01.2016 die Meldung um die Welt, dass David Bowie verstarb. Er erlag seinem Krebsleiden, gegen das er 18 Monate ankämpfte. Blackstar ist sein letztes Album – und das letzte Geschenk von ihm an seine Fans.
R.I.P.

moschmoschmoschmoschmosch

Anspieltipp: Lazarus

Tracklist:
1 Blackstar
2 `Tis a Pity she was a Whore
3 Lazarus
4 Sue (Or in a Season of Crime)
5 Girl loves me
6 Dollar Days
7 I can’t give everything away

David Bowie: Blackstar
Sony Music, VÖ: 8. Januar 2016
CD 17,99 €, MP3 8,09 €, Vinyl 21,99 €
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3 Kommentare
  1. Mrs. Hyde
    Mrs. Hyde sagte:

    Mit Jazz stehe ich ja auf Kriegsfuß und habe generell eine Abneigung gegen Blechblasinstrumente, insofern dachte ich erst mal „au weia“. Es ist kein leichtes Album, keines, dass man mal eben wegschnupfen kann, zumal es ohne potentielle Radiohits auskommen muß.
    Bowie hat sich wieder einmal neu erfunden, und trotzdem habe ich das Gefühl, dass er in alle seine Schaffensphasen noch einmal hereingeschnuppert hat und überall kleine Reminiszenzen eingebaut hat, mal mehr offensichtlich, und mal mehr versteckt. Es ist ein Album, das Zeit braucht, um sich voll zu entfalten.
    Ich glaube, er wußte bereits, dass dies sein letztes Album sein wird, und so schließt er den Kreis seines Schaffens wie ein Meister, der er eben auch ist. Oder eben leider war.
    Es ist seltsam, dieses Album erst posthum zu hören, vielleicht philosophiere ich deswegen zuviel herum.

    Jedenfalls, vielen Dank für Deine einfühlsame Rezension, sonst wäre ich wahrscheinlich nicht so offen an diese Album herangegangen, wie man es tun sollte, auch wenn man keinen Jazz mag. Aber es ist eben ein Bowie-Album, kein Jazz-Album.

    Have fun in space oddity or wherever you are now.

  2. Phoebe
    Phoebe sagte:

    Danke Mrs. Hyde.

    Ich bin voller Freude an dieses Album herangegangen, einfach wegen Bowie. Tu mich auch schwer bei Jazz, es sei denn es ist so nebenbei-an-der-Bar-Jazz-mit-einem-coolen-Drink-in-der-Hand.
    Aber weil es eben Bowie-Jazz ist, und ich viel von Bowies ganzem Schaffen in dem Album gehört habe, gefällt es mir. Schade, dass es für immer und ewig das letzte Album ist.

  3. Michael Teuber
    Michael Teuber sagte:

    https://www.rollingstone.de/premiere-mit-album-27-blackstar-von-david-bowie-landet-auf-platz-1-der-us-charts-944267/

    Man kann jetzt spekulieren, ob das Album ohne das Ableben vom Künstler genauso erfolgreich gewesen wäre….Auf jeden Fall kann ich der Rezension nur voll und ganz beipflichten. Eigentlich zeichnet das ja einen grossen Künstler aus, wenn er seine gewohnten Stilmittel verlässt und trotzdem unverkennbar bleibt. Wobei, was war bei Bowie schon „gewohnt“? In der Arte-Doku letzte Woche hat man noch mal seine Weggefährten zu Worte kommen lassen, die immer wieder darauf hingewiesen haben, dass er der Treibende war und der Rest die Getriebenen.

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