Kalte Töne, um das Herz zu wärmen

Oul_AntipodeDas Rezensieren von neuer Musik ist immer ein kleines Abenteuer, selbst wenn man die Band schon kennt oder glaubt, über den jeweiligen Künstler einiges zu wissen. Mehrere Durchläufe, gern mit ein paar Tagen Abstand, sind obligatorisch, und erst beim zweiten, dritten oder vierten Mal kristallisieren sich Ohrwürmer, Favoriten und Rohrkrepierer heraus. Sollte dies schon früher passieren, ist das bemerkenswert und geschieht tatsächlich recht selten, selbst bei bekannten und geschätzten Künstlern. antipode von OUL ist aber so ein Fall, denn schon beim ersten Hördurchgang haken sich einige Songs ganz fies im Ohr und in der Seele fest, und man muss die Scheibe nicht nur mehrmals hören, man möchte es sogar ganz dringend. Wer steckt nun hinter OUL und antipode, dem Debütalbum?

OUL besteht einzig und allein aus Allen B. Konstanz, der tatsächlich ein alter Hase im Musikgeschäft ist. Mit The Vision Bleak und musikalischem Partner Ulf Theodor Schwadorf bringt er seit Jahren konstant hochklassige Horror-Metal-Rock-Platten heraus, in seinem anderen Projekt Ewigheim lotet er zusammen mit Eisregen-Drummer Yantit diverse Spielarten düster-harter Musik aus. Jetzt ist es Zeit für die Verwirklichung aller bereits seit vielen Jahren zusammengetragenen Ideen, die etwas anders als die musikalische Ausrichtung seiner Hauptbands ausfallen. antipode ist natürlich ebenfalls düster, mit wunderbar melancholisch-träumerischer Grundstimmung, Gitarren hört man hier allerdings weniger, sondern kalt-warme Synthiemelodien und -rhythmen, alles zusammengehalten und gekrönt von Allen B. Konstanz‘ einzigartiger Stimme. Wer wie ich mit den Gothicbands der Achtziger und vor allem Neunziger aufgewachsen ist, wird sich sofort heimisch in dieser Platte fühlen, denn OUL schafft es, genau die Stimmung und Atmosphäre dieser Zeit einzufangen und heraufzubeschwören und trotzdem eigenständig und zeitgemäß – oder besser zeitlos? – zu klingen. Trotz aller Gedanken an alte Project Pitchfork, Silke Bischoff, die ersten drei Zillo-Sampler und viele andere Bands aus dieser Zeit.
Nach dem erhabenen Intro „Dark and void“ wird einem bei „The apocalypse“ schon zu Beginn von antipode im allerbesten Gruftsinn das Herz schwer, und man möchte sich auf der Tanzfläche davon forttragen lassen, bevor man sich von „Dwell on the other side“ von Konstanz‘ sanftem Gesang betören lässt bis zum kraftvollen Songfinale. Die erste Vorabveröffentlichung „You are all“ beginnt recht zurückgenommen und leise, der Fokus liegt eindeutig auf den Lyrics, bis hin zum einprägsamen Refrain „to stay, to fall, in the end you are all“, den man auch so schnell nicht mehr aus den Gehörgängen bekommt. „My elegy“ macht seinem Titel alle Ehre, sanfte Pianomelodien, große Synthiebögen, elegischer Gesang – ein bisschen Kitsch oder einfach nur schön? Ich entscheide mich letztendlich für schön und lasse mich davon mitreißen. Etwas dynamischer wird es allerdings bei „With a fire“, der Song prägt sich schon beim ersten Hören ein, Gitarre, Chöre und treibendes Schlagzeug prädestinieren ihn geradezu für die Tanzfläche (höre ich da eine klitzekleine Sisters-Reminiszenz?). Da gerade nur das heimische Wohnzimmer zur Verfügung steht, muss es für den Praxistest herhalten, und ja, der Song geht hervorragend in den Tanzfuß. „On elephants“ sorgt für ein etwas sperrigeres Intermezzo, das sich trotzdem hervorragend in das Album eingliedert. Schleppend und erdrückend wirkt der Track, passend zum verzweifelten Text. „I feel so forsaken, hopeless and blind“, singt Konstanz hier, und man glaubt jedes Wort. „Let it flow again“ holt einen dann sofort ein wenig aus dem Düstertal heraus, bevor es mit dem Titeltrack „The antipode“ wieder experimenteller und schwermütiger wird mit leicht verzerrten Vocals und prägnantem, schleppendem Rhythmus. Ein bisschen überrascht bin ich, als mit „The beauty of the snow“ wieder ein sehr langsamer, lyrischer Song folgt, der zwar wunderschön ist, aber mich im Kontext mit den vorherigen Songs ein bisschen zwischen düsterer und heller Klangfarbe hin und herwirft. Andererseits leitet „The beauty of the snow“ hervorragend zu dem Instrumental „Glassy bubble shell“ über, das das Album perfekt abrundet.

antipode klingt, als wäre es schon immer dagewesen, weil man sich vom ersten Ton an in der Platte zu Hause fühlt, und trotzdem hört man hier nichts Altes, Nostalgisches. Man merkt, wie natürlich diese Art von synthielastigem Wave/Gothic für Allen B. Konstanz ist, wie lange er die Ideen für das Album bei sich getragen hat, denn genau so klingt es. Von leichter Hand gefertigt, ohne leichtfertig und oberflächlich zu sein; eingängig und auf den schwarzmelancholischen Punkt gebracht, mit Blick auf die Tanzfläche, aber auch das konzentrierte Zuhören zu Hause. Ein absolut stimmiges Gesamtbild, das jeder Hörer dunkler Musik, egal welcher Generation, antesten sollte. Ich freue mich jedenfalls auf noch viele schaurig-schöne Durchläufe dieser Platte.

Anspieltipps: The apocalypse, With a fire, The antipode

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch:

OUL: Antipode
Golden Church/Eigenvertrieb, Vö. 13.04.2018
Länge: 44 Minuten
Kaufen: € 14,99 (Digipack) im Bandshop

Tracks:
1. Dark and void
2. The apocalypse
3. Dwell on the other side
4. You are all
5. My elegy
6. With a fire
7. On elephants
8. Let it flow again
9. The antipode
10. The beauty and the snow
11. Glassy bubble shell

(3538)