Nur die Nacht hört dir zu

WolvesDen_CoverWir sind uns alle einig, dass das Jahr 2020 sich in den letzten Monaten nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat. Doch zum Glück gibt es trotzdem immer wieder kleine Lichtblicke, wenn schon gerade nicht live auf der Bühne, so doch wenigstens als Tonkonserve. Nach fünf langen Jahren legen die 2013 in München gegründeten Black-Metal-Heroen Wolves Den endlich ihren zweiten Silberling vor, Miserere. Der CD-Titel ist mehrdeutig, wie einen die Band auf ihrer Webseite hilfreich informiert: Miserere ist zum einen der Titel des 51. Psalms und heißt so viel wie „Erbarme dich“, aber auch das medizinische Synonym für Koterbrechen. Wir wollen jetzt nicht näher über eventuelle religiöse Bezüge oder Assoziationen zwischen den beiden Bedeutungsvarianten nachdenken, sondern uns lieber der Musik widmen. Wir haben ja schließlich lange genug darauf gewartet!

Acht im Durchschnitt fünf Minuten lange Brecher servieren uns Helge, Mexx, Stefan und Manuel und bleiben ihrem so eindrücklich auf Deus Vult präsentierten Stil treu. Black Metal – ja, aber kein norwegisch-unterkühltes Geratter, ein paar mehr Einflüsse dürfen es schon sein. Geschwindigkeitstechnisch bewegt man sich wieder im besten Haareschütteltempo, also weitestgehend Midtempo mit schnelleren Ausreißern. Der Opener „Tides of hate“, den Helge den Hörern mit einem herzlichen „Uargh“ herrlich vor die Füße kotzt, überrascht mit englischem Text und entwickelt schon beim ersten Hören Ohrwurmqualitäten. Dezente Keyboardteppiche und melancholische Gitarrenmelodien bilden einen schönen Kontrast zu Helges Knurren. Sehr mächtig!
„Pfad ins Dunkel“ beginnt geradezu elegisch, um dann nach einer Minute ordentlich bösartig loszulegen. Hier wird um den eingängigen Refrain herum gekesselt und gekeift, die Gitarren rasen, wie sie es sollen – man beschreitet tatsächlich einen Weg ins schwarzmetallische Dunkel. Dort trifft man auf den „Frost in mir“, der mit tatsächlich etwas norwegisch anmutender musikalischer Kälte verkörpert wird. Schleppendes Tempo, herzzerreißend schöne Gitarrenmelodien, abgrundtiefe Hoffnungslosigkeit wechseln sich mit verzweifelter Raserei ab. Ein tonnenschwerer Brocken von sechs Minuten Länge, den man sich ein wenig erarbeiten muss – bis hin zum akustischen Ende. Ähnlich bleiern legt sich „Nachtmahr“ auf die Brust, ganz wie das namensgebende Fabelwesen. Der Song erzeugt eine geradezu klaustrophobische Atmosphäre, die von Helges abwechslungsreichem Stimmeinsatz und vielen musikalischen Details sowohl verdichtet als auch genau richtig aufgelockert wird. Trotzdem gilt auch hier: Den Song muss man öfter hören.
„Häresie“ knüppelt dagegen vom ersten Moment gnadenlos, was nach den zwei vorhergehenden Songs eine gute Abwechslung ist. Hier werden keine Gefangenen gemacht, und der markante Refrain eignet sich hervorragend für gereckte Fäuste und vielstimmiges Brüllen aus dem Publikum. Ein wunderbarer Hassbatzen, der einem die Haare nach hinten föhnt und die Gehörgänge nachhaltig reinigt. „Antaios“ – Sohn des Poseidon und Riese aus der griechischen Mythologie – präsentiert sich zu Anfang ungewöhnlich erhaben, bis die bisher stärksten Melodien des Albums einsetzen und Helge das volle Stimmregister zieht – Kreischen, wütendes Bellen, alles dabei. Erhabene Klargesangpassagen wechseln sich mit peitschender Raserei ab, ein mitreißendes Wechselbad der Gefühle, das direkt in „Melancholera“ überleitet. Die „Melancholie“ oder „Depression“ klingt hier eiskalt und unerbittlich, die Gitarren von Mexx und Stefan schneiden geradezu ins Herz, und trotzdem ist das alles wunderschön.
Der Abschlusssong „Nameless grave“ hätte mit seinem unheilverkündenden Regenintro auch ein guter Opener sein können, passt wegen der Länge von über sieben Minuten allerdings tatsächlich besser ans Ende. Hier ziehen Wolves Den noch mal alle Register und nehmen die Hörer mit auf eine emotionale Reise bis hinein in ein Grab ohne Namen. Eine insgesamt gelungene Abrundung der Scheibe (nicht nur durch den wieder englischen Text), die vielleicht aber ein bisschen zu lang geraten ist.

Fazit: Also, ich musste weder eine göttliche Entität um Erbarmen bitten noch mich meiner Verdauungsprodukte auf äußerst unappetitliche Weise entledigen. Im Gegenteil – Miserere ist ein gelungener Hassbatzen im erweiterten Black-Metal-Genre geworden, der mit jedem Hördurchlauf wächst. Manche Songs erfordern sowieso, sich eingehend mit ihnen zu beschäftigen, um sie vollends erfassen zu können. Man merkt den vier Herren die langjährige Erfahrung in diversen Bands an (Stefan: u. a. Somber Serenity, Lunar Aurora, Odem Arcarum; Helge: u. a. Reign of Decay, Equilibrium; Mexx: u. .a. Festering Saliva; Manuel: u. a. Equilibrium), und dass sie wissen, wohin sie mit ihrer Musik wollen. Die zwei englischsprachigen Titel fügen sich gut ins Gesamtkonzept, und vielleicht gibt es davon ja in Zukunft noch mehr zu hören. „Blut, Schweiß und Kotze“, die für dieses Album offensichtlich bei der Band geflossen sind, haben sich jedenfalls gelohnt. Miserere sei allen (Black) Metallern ans Herz gelegt, die ihr Geknüppel gern mit einem Schuss Melodie und Rhythmus zu sich nehmen.

Anspieltipps: Pfad ins Dunkel, Häresie, Antaios

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch2: , mit starker Tendenz zu fünf Moshern

Wolves Den: Miserere
Trollzorn, Vö.: 15.05.20
Länge: 44 min.
Kaufen: € 12 im Bandshop, digital für € 7 via Bandcamp 

Tracklist:
1. Tides of hate
2. Pfad ins Dunkel
3. Der Frost in mir
4. Nachtmahr
5. Häresie
6. Antaios
7. Melancholera
8. Nameless grave

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