Dankeschön, bitteschön, wunderschön

Heute ist Nikolaustag, und nachdem München immer noch mit den Nachwehen des Wintereinbruchs vom Wochenende kämpft, standen sicher viele Stiefel an den Haustüren, die dann hoffentlich am Morgen auch gut gefüllt waren. Gut gefüllt ist auch das Programm des Abends, denn das Backstage ruft zur todesmetallisch-melancholischen Nikolaussause mit einer finnischen und zwei schwedischen Bands. Insomnium sind so etwas wie die Großmeister gepflegter tiefergelegter Melancholie und gern gesehene Gäste in München, In Mournings letzter Besuch liegt schon ein paar Jahre zurück, Kvaen hingegen waren erst an Ostern beim Dark Easter Metal Meeting, doch das erneute Wiedersehen ist überhaupt nicht verkehrt. Neben Nikolaus ist auch noch finnischer Unabhängigkeitstag, und das verspricht ein feuchtfröhlicher und sehr gelöster Abend zu werden. Ab in die bereitstehenden Stiefel und los!

DSC_9060Im Gegensatz zum fast noch stärkeren Package um Misþyrming zwei Tage zuvor, als in der Backstage Halle noch der Wind durch die leeren Reihen wehte, ist das Werk bei Beginn um acht proppenvoll, was für Kvaen eine tolle Kulisse bedeutet. Die Schweden um Jacob Björnfot aus dem wirklich hohen Norden (Kalix liegt zwischen Luleå und Haparanda und damit fast schon in Finnland) haben mittlerweile zwei Alben veröffentlicht – Funeral Pyre, The Great Below -, voller Blackened-Death-Perlen im Hochtempobereich. Daraus präsentieren Jacob – der im Studio alles selbst einspielt – und seine Live-Mitstreiter einen sehr unterhaltsamen Querschnitt, der zwar wenig Melancholie verbreitet, dafür aber ordentlich die Haare nach hinten weht. Das Songmaterial ist richtig stark, die Band fühlt sich auf der großen Werkbühne genauso wohl wie an Ostern im Club, und bei „Revenge in fire“ gibt es sogar einen kleinen, feinen Moshpit in den vorderen Reihen. Kvaen sind definitiv keine reine Vorband und haben mit ihrer energischen Show sicher einige neue zu den bereits bestehenden zahlreichen Fans hinzugewonnen.

DSC_9218In Mourning aus Dalarna dürften nicht so vielen im Publikum bekannt sein, obwohl sie schon seit Anfang der Jahrtausendwende unterwegs sind und bereits sechs Alben veröffentlicht haben. Auf die langen, sehr komplexen und mit wechselndem Gesang (Screams, Growls, Klargesang) aufgebauten Songs muss man sich erst einlassen, auch sorgt die gelegentliche Doom-Schlagseite im progressiven Metal der Schweden für ruhige, eindringliche Momente. Dazu passt auch hervorragend Aushilfsdrummer Corny Althammer von Ahab, der den wegen Dark Tranquillity verhinderten Joakim Strandberg vertritt (und deshalb Anfang Dezember auch nicht beim Ahab-Auftritt beim Chaos Blast Meating dabei war). Nach einer gewissen Eingewöhnungszeit ist das Publikum dann aber völlig hingerissen von In Mourning, und die fünf überlangen Songs quer durch die Diskografie vergehen letztendlich wie im Flug. Vor allem „Sovereign“ von The Bleeding Veil und der abschließende Track „Colossus“ verbreiten eine düster-verträumte Stimmung, aus der man am Ende des etwa eine Dreiviertelstunde dauernden Auftritts erst einmal wieder auftauchen muss. Das Publikum feiert die glücklich strahlenden Schweden völlig zu Recht ab, die sehr gern bald wiederkommen dürfen.

DSC_9304Nach relativ flotter Umbaupause steigt die Vorfreude auf unsere Lieblings-Melodeath-Finnen, und ich bin auf das Intro gespannt, nachdem mich Insomnium vor diversen Jahren mit dem legendären finnischen Sänger Tapio Rautavaara überrascht und beglückt haben. Heute erklingen allerdings klassische Töne aus den Boxen, und ein kurzer Shazam-Check sagt: Finlandia, Op. 26, von Jean Sibelius. Ich muss sehr grinsen, zumal das knapp zehnminütige Stück vollständig gespielt wird, bevor die Band unter lautem Jubel die Bühne entert. Na dann, hyvää itsenäisyyspäivää, Suomi! Insomnium freuen sich sichtlich, den finnischen Unabhängigkeitstag mit uns verbringen zu können und legen mit „1696“ vom aktuellen Album Anno 1696 gleich ordentlich los. Das Tempo wird bei den folgenden Songs gehalten, und das Publikum ist nach der Klassik-Zwangspause auch schnell wieder auf Betriebstemperatur, was Niilo zu dem Lob „Ihr seid so wach!“ inspiriert. Dann die Challenge: Ob das Publikum wohl die phänomenale Stimmung vom Vortag in Nürnberg toppen kann? Ja, kann es, und die drei Finnen und der Amerikaner auf der Bühne strahlen. Moment, Amerikaner? Genau, auch dieses Mal ist Nick Cordle mit von der Partie, vertritt allerdings nicht wie bei einer anderen Tour Markus Vanhala (mit dem er auch bei Omnium Gatherum spielt), sondern Jani Liimatainen und hat damit seinen Platz auf der (von Publikum gesehen) rechten Bühnenseite. Wobei er und Markus Vanhala Kilometergeld bekommen könnten, still stehen die beiden kaum eine Sekunde, während die Band sich durch die letzten Alben (mit „Pale morning star“, „Change of hearts“ oder „And bells they toll“) zockt. Nach einem kurzen Werbeblock – am Merch verkauft uns „a Finnish tall silver muscular guy“ alles, was wir wollen – knallen uns mit dem wunderschönen „Lilian“ und „The rapids“ zwei Ohrwürmer vom aktuellen Album um die Ohren, und Insomnium schaffen es wieder einmal, diese ganz besondere Stimmung zu erzeugen. Schwebende Melancholie, die glücklich macht. Nach „Song of the dusk“ gibt es natürlich noch eine Zugabe, schließlich haben sie „While we sleep“ noch nicht gespielt. Das kommt dann als zweiter Zugabensong – wie schon zuvor übernimmt hier Nick einige Klargesangpassagen, und das macht er großartig -, und mit „Weighed down with sorrow“ endet um kurz vor halb zwölf dieser traumhaft leichte und überhaupt nicht trauerbeschwerte Auftritt. „München, ihr seid supergut!“, freut sich Niilo und entlässt uns in die Nacht (oder an den Merchstand).

Dieses schwedisch-finnische Package hat richtig gut funktioniert, Kvaen konnten ihre Bekanntheit vom Dark Easter noch ausbauen, In Mourning haben nachdrücklich gezeigt, dass vielseitiger progressiver Metal auch Melancholie-tauglich ist, und Insomnium schütteln diese ganz besondere zauberhafte Stimmung fröhlich grinsend aus dem Ärmel. Zeitlos gut und vor allem generationenübergreifend: Neben mir steht erst bei In Mourning und vor allem bei Insomnium ein etwa dreijähriger Knirps stilecht in Mini-Kutte mit seinen Eltern rechts von der Bühne und darf direkt am Graben mit bester Sicht zuschauen. Der Kleine – natürlich mit Micky-Maus-Kopfhörern – ist völlig fasziniert und nickt begeistert zur Musik, bis es irgendwann doch ein bisschen viel und ja auch spät wird, und Mama mit ihm nach weiter hinten geht. Ein ereignisreicher Abend geht nicht nur für ihn zu Ende. Dankeschön, bitteschön, wunderschön!

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch:

Setlist Insomnium:
Finlandia, Op. 26 (Intro)
1696
Ephemeral
White christ
Pale morning star
Only one who waits
Change of heart
And bells they toll
Lilian
The rapids
The gale
Mortal share
Song of the dusk

The primeval dark
While we sleep
Weighed down with sorrow

(1581)