Die schwarze Kaffeefahrt – ein Pflichtprogramm der besonderen Art

IMG_9530Schon wieder ist ein Jahr vergangen, schon wieder ist es Zeit, nach Köln an den Tanzbrunnen zu pilgern, um das dreizehnte Amphi Festival gebührend zu begehen. Wie immer ist es heiß in Köln, wie schon öfter in den letzten Jahren gibt es Probleme mit dem Wasserstand des Rheins, sodass die MS RheinEnergie für das Freitagsevent und auch das reguläre Festival auf der anderen Rheinseite festmachen muss. Innerhalb von zwei Tagen stellt das Amphi-Team hierzu einen Shuttle-Service auf die Beine – nach dem Sturmchaos vor zwei Jahren sicher ein planerischer Klacks, aber dennoch: Hut ab! Mit diesen Infos im Gepäck und massig Vorfreude geht es also kurz vor dem dritten Juli-Wochenende wieder nach Kölle, bei mir diesmal schon einen Tag früher als sonst, um noch genug Zeit für Freunde und ein wenig Sightseeing (die Seilbahn über den Rhein!) zu haben.
IMG_9564Am Freitagabend geht’s dann richtig los, man pilgert über die Hohenzollernbrücke (wenn man wie ich in Köln-Deutz wohnt) und stellt fest, dass die Warteschlange für „Call the Ship to Port“ zum ersten Mal im Schatten steht und nicht wie früher in der prallen Sonne. Ein guter Anfang für den Abend, die ersten Freunde und generell viele Münchner sieht man auch schon auf ein paar hundert Metern, und die Stimmung ist wie immer ausgelassen und fröhlich. Die gothische Schifffahrt hat sich zu einer liebgewonnenen Tradition entwickelt, auf die ich mich – nach zwei Jahren Pause – dieses Mal auch wieder sehr freue. Auf dem musikalischen Programm stehen nachher noch Scheuber, das Soloprojekt des Project-Pitchfork-Mitglieds Dirk Scheuber, Neuroticfish (noch nie gesehen, welche Schande) und Front 242, auf die quasi das ganze Schiff hinfiebert. Zuerst wird aber erst mal stressfrei das Festivalbändchen geholt und natürlich das Oberdeck geentert, unter jeder Brücke während der Fahrt laut gejubelt (das hallt so schön) und fleißig allen Gästen auf den Terrassen der Rheinuferkneipen zugewinkt. Die Strecke rheinabwärts ist bekannt, aber immer wieder idyllisch. Daher schaue ich auch nur kurz zu Scheuber nach unten vor die Bühne, zumal mich der gefällige Synthie-Elektro auf Konserve tatsächlich mehr mitreißt – oft ist es ja andersrum. Ich schiebe es aber einfach auf die entspannte Stimmung an Deck und schaue mir Scheuber dann bei Gelegenheit noch mal woanders an. Das anwesende Publikum klagt jedoch nicht und spendet fleißig Applaus.

IMG_9596Auf Neuroticfish freue ich mich allerdings sehr, die sich heimlich, still und leise nach ihrer Wiederauferstehung zu absoluten Synth-Pop-Giganten der härteren Gangart gemausert haben. Vorletztes Jahr auf dem Amphi fielen sie dem Sturm zum Opfer, letztes Jahr kam ich wegen Überfüllung nicht ins Theater, heute sollte es also soweit sein … bis der Kopfschmerz zuschlägt und mich für den Rest des Abends quasi lähmt. Neuroticfish schaue ich mir trotzdem einige Lieder lang an, es ist so großartig wie erwartet, die Bude kocht, aber für den ganzen Gig reicht die Kraft nicht. Sascha Mario Klein, wie immer im karierten Holzfällerhemd, beherrscht die Bühne souverän, nimmt sich selbst ein wenig auf die Schippe („wir sollen ja Kirmestechno machen“ – sinngemäß) und brilliert mit seiner Stimme. „Civilized“, „Suffocating right“, „Agony“ und „Former me“ sind nur ein paar Highlights dieses phänomenalen Auftritts. Beim nächsten Mal sehe ich dann hoffentlich alles!
IMG_9707Die Szenegötter Front 242 halte ich fast ganz durch, zu gut ist dieser Auftritt und nahezu intim, wenn man unten in Bühnennähe steht – wo man die Herren trotz der üblichen Nebelschwaden sogar richtig gut erkennt! Alt sind Jean-Luc de Meyer, Richard23 und Patrick Codenys geworden (wir alle ja aber auch), ganz so flott wird nicht mehr über die Bühne gehoppelt wie früher, aber das finde ich eigentlich gar nicht schlimm, so kann man sich besser auf die Songs konzentrieren. Und die entfalten in diesem übersichtlichen Rahmen oftmals eine ganz neue Wirkung, auch wenn man sie schon unzählige Male gehört hat. Wobei Front 242 kein Hitfeuerwerk zünden, sie verlassen sich nicht nur auf die Gassenhauer. Die Stimmung im Publikum ist euphorisch, vor der Bühne geht es sogar recht ruppig zu zwischen den anwesenden EBMlern. Die Füße stillhalten bei Songs wie „Moldavia“, „Quite unusual“, „Masterhit“, dem sensationellen „Lovely day“ und natürlich dem Überhit „Headhunter“ geht allerdings auch gar nicht. Zwischendurch schiebt sich auch Eskil von Covenant unauffällig in die Menge, hopst enthusiastisch ein, zwei Lieder mit und verzieht sich dann ebenso dezent wieder – es ist auch wirklich eng vor der Bühne. Gebannt hängen alle Jean-Luc de Meyer und Richard23, die sich wie immer mit dem Gesang abwechseln, an den Lippen. Ein absolutes Highlight ist die Zugabe, so intensiv habe ich „Kampfbereit“ noch nie gehört. Und bei „Welcome to paradise“ bebt das Schiff noch mal ordentlich.

Ein trotz persönlicher Einschränkungen rundum schöner Abend mit perfekt aufeinander abgestimmten Bands, der bewährten idyllischen Fahrt über den Rhein und diesem „endlich wieder normale Leute“-Gefühl, das man ja immerhin seit dem WGT mehr oder weniger entbehren musste.

Hier geht’s zum Festival-Samstag!

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  1. […] des Webzines wissen, dass wir natürlich bereits über das XIII. Amphi Festival berichtet haben (Freitag, Samstag + Sonntag). Dabei haben wir bedauert, nur einen klitzekleinen Ausschnitt des an Highlights […]

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