Samstag, 23.05.15

 

torshammare

present-momentThe Present Moment (Altes Stadtbad): Der Konzertsamstag beginnt nach einem entspannten Tag im Tierpark extrem stilvoll in der neuen Location Altes Stadtbad, 10 Minuten zu Fuß nördlich vom Hauptbahnhof gelegen. Es handelt sich tatsächlich um ein altes Schwimmbad mit sehr imposantem Äußeren und hochgradig charmantem Inneren. Auf dem alten Schwimmbecken wird getanzt, was den Boden sehr lustig vibrieren lässt, und durch die hohen Decken und Kronleuchter wirkt alles sehr edel. Die Amerikaner The Present Moment eröffnen den heutigen Konzerttag mit einem recht Joy-Division-lastigen Sound, der mich erst ab dem dritten, vierten Song mitreißen kann, dann ist das alles aber sehr solide und gut anzuhören.

The Beauty of Gemina (Felsenkeller): Weiter geht es danach zur nächsten stilvollen Location, dem Felsenkeller, der allerdings für seinen schlechten Sound und die katastrophalen Luftverhältnisse bei viel Andrang berüchtigt ist. Beides bestätigt sich leider bei den göttlichen Schweizern, die mir auf dem DMF in München vor ein paar Wochen schon so gut gefallen haben. Der Sound ist etwas verwaschen, der Einstieg mit ein paar langsamen Liedern vielleicht auch nicht ganz geglückt, die Luft zum Schneiden, da sich bereits viele Fans der danach spielenden Megaherz vor Ort befinden und den Raum füllen, allerdings können sie sichtlich wenig mit der komplexen Musik der Schweizer anfangen. „Suicide Landscape“ und „Lonesome Death of a Goth DJ“ reißen mich kurz aus der Hitzelethargie, diese Lieder sind einfach großartig, dann muss ich leider den Felsenkeller verlassen. Die Band ist toll, hat nichts falsch gemacht – aber beim nächsten Mal wieder in einer besseren Location.

frank-the-baptistFrank the Baptist (Täubchenthal): Und weiter geht’s nach Plagwitz ins Täubchenthal, das eine wirklich großartige Location ist. Viel Platz, um sich draußen aufhalten zu können, ein sehr geräumiger Innenraum mit Galerie – wenn nur der Sound nicht wäre. Seit Jahren warte ich darauf, die Amerikaner Frank the Baptist endlich mal live zu sehen, doch bei den ersten Songs wird die Freude etwas getrübt, da Frank einige Monitorprobleme hat und sich kaum selbst singen hört, weshalb man ihn im Publikum auch kaum wahrnimmt. Erst nach einiger Zeit ist das Problem gelöst, und wir kommen in den Genuss seiner kräftigen, vollen Stimme. Dafür dröhnen dann die Gitarren zu sehr, und erst nach einigem Herumwandern in der Halle finde ich hinter dem Mischpult einen Ort, an dem der Sound halbwegs ausgewogen ist. Schade – aber natürlich ist es insgesamt großartig, die Band endlich mal zu sehen und in den hochmelodiösen Songs zu schwelgen.

Agent Side Grinder (Altes Stadtbad): Und da ich heute noch nicht genug herumgefahren bin, geht es zurück ins Alte Stadtbad, wo die dritte Muss-Band des Festivals auf mich wartet: Agent Side Grinder aus Schweden. Handgemachte Synthiemusik mit Postpunk-Einschlägen und eindringlichem – gewöhnungsbedürftigem – Gesang, ganz spezieller Sound – kein Wunder, dass die Umbaupause etwas länger ausfällt. Füße und Rücken meutern zwar schon, aber das ist schnell vergessen, als es endlich losgeht. Viele Songs stammen vom vorletzten Album Hardware, doch auch die brandneue CD Alkimia wird präsentiert. Wirklich umwerfende Soundlandschaften werden hier fabriziert, ein Sänger, der sich wahnsinnig in seine Musik hineinsteigert und alles auf der Bühne gibt – ja, das ist mal wieder ein Hin-und-Weg-Konzert. Danach muss natürlich noch der Merch-Stand – an dem die Band selbst steht – geplündert werden.
Ein bisschen Kontrastprogramm gibt es dann noch mit der dunkelromantischen Tanznacht, die sehr gut in das Ambiente des Stadtbads passt, bis das Hotelbett sehr laut und nachdrücklich ruft.

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 Phoebe

Schauspielhaus

Ashes you leave, die kroatische Doom Metal-Band, tritt heute mit einem Akustik-Programm auf. Ich kenne keinen Song, aber das Ganze, Songs, Darbietung, Musiker, gefällt mir sehr gut. Schöne Musik, sympathische Band.

Evi Vine hat mich vor zwei Jahren schon im Felsenkeller sehr beeindruckt. Ich wollte sie unbedingt wieder sehen, zumal sie eine neue CD im Gepäck hat. Die Sängerin, die schon bei The Eden House gesungen hat, hat schon einige Jahre Musikerfahrung auf dem Buckel, dennoch ist Give your Heart to the Hawks erst das zweite Album. Was ich gehört habe, hat mir ausnehmend gut gefallen. Ich kaufe mir – und nicht nur ich – die CD und lasse sie mir von Evi und allen Musikern signieren, die sichtlich Spaß daran haben, im Rampenlicht zu stehen.

evi-vine

Danach gehe ich zur Moritzbastei, hier tritt kurz vor Mitternacht Ari Mason auf, auch sie für mich eine Youtube-Entdeckung. Leider sehe ich kaum etwas, es ist heiß, stickig und voll in diesem Raum. Ari Mason, die mir auch eher still und ernsthaft vorkam bei dem, was ich bislang gesehen habe, verkommt hier zur Disco-Hüpfdohle. Wenn ich nur etwas sehen könnte! Da kann ich gleich zur Party gehen, wo mir direkt am Eingang Siouxsie Sioux verspricht: „This is a happy house, we’re happy here in the happy house, oh it’s such fun!“
Ja wenn das so ist: ich bleibe.

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Modermichl

Kohlrabizirkus

Fields of the Nephilim: Ich habe mich erst kurz vor dem WGT mit dem Programm beschäftigt, darum war ich überrascht und auch sehr enttäuscht, als ich dann feststellen musste, dass die Veranstalter die Fields und March Violets parallel spielen ließen. Letztendlich ist die Wahl dann doch auf die Fields gefallen, weil das einfach für mich die beste und bestbehütete Gothic-Rock-Band überhaupt ist. Warum eigentlich? Sehr fleißig sind sie nun wirklich nicht, und das letzte Album ist ja nun schon zehn Jahre alt. Aber es ist diese Anziehungskraft und diese fast mystische Aura, mit der die Band als Urgestein behaftet ist, und die Live-Auftritte zu einem Erlebnis macht.

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Nachdem das überaus hörens- und sehenswerte Moonspell-Konzert vorüber war, habe ich mich so weit nach vorne begeben wie nur irgend möglich, weil es klar war, dass der Andrang gewaltig werden würde. So war es dann auch, und innerhalb kürzester Zeit waren die ersten Reihen besetzt. Ein Fields-Auftritt ist vor allen Dingen gezeichnet von den Nebelschwaden, in denen sich kaum erkennbare düstere Gestalten im staubigen Ledermantel langsam und würdevoll schreitend über die Bühne bewegen und dabei ihren unvergleichlichen Spannungsbogen von den choralen Einleitungsklängen bis hin zu den chaotisch leicht hysterischen, aber genialen Riffs und Breaks aufbauen, die das Publikum ständig in Atem halten. Dieses Wechselspiel wiederholt sich bei den meisten Songs immer. Für mich das beste Beispiel und einer der besten Songs überhaupt ist „Last Exit “. Insofern weiß der Konzertbesucher genau, was auf ihn zukommt und ist trotzdem überrascht, dass diese Songs auch nach dreißig Jahren nichts von ihrer Anziehungskraft verloren haben und eigentlich klingen „wie immer“. Das letzte Mal, dass ich den Eindruck hatte „es klingt wie immer“, war bei Ministry im Jahr 2013. Ich finde das ein Zeichen von absoluter Professionalität, wenn sich die alternden Musiker keine Blöße geben wollen und trotz der Alterserscheinungen Wert auf Wiedererkennung legen. So war das auch bei den Fields, und sie haben ihre Setlist professionell bis in die letzte Spitze runtergespielt; einmal hat Carl sogar gewinkt, was äußerst extrovertiert war. Als Zugabe zu der Setlist haben wir dann noch „Mourning Sun“ in der Kurzfassung bekommen. Das Publikum hat zumindest in den ersten Reihen getobt, und ich bin wegen meines Fotografierwahns zur Raison gerufen worden. Alles in allem ein genialer Abend, als alternativer Abschluss dann die Gothic Pogo Party im Werk 2.
Setlist: Dawnrazor, Preacherman, Moonchild, For her Light, At the Gates, Zoon, Prophecy, Psychonaut, Last Exit. Zugabe: Mourning Sun.

Ansonsten waren Nosferatu und The Exploding Boy die musikalischen Höhepunkte. Partymäßig zweimal Gothic Pogo und Vanity Noir im Ballroom. Die Moritzbastei konnte man vergessen, da überfüllt. Natürlich auch Klassik in der alten Börse.

Zum Thema Papparazzi kann ich nur sagen, dass ich das Ganze eigentlich recht lustig finde. Da gibt es eine Gruppe, die will fotografiert werden und eine andere, die diese fotografieren will. Mich stört es nicht im Geringsten, im Gegenteil, ich habe mich ein paar Stunden recht nett damit unterhalten, einige dieser Herrschaften wiederum zu fotografieren. Ich denke, spätestens wenn sich jeder auf der Moritzbastei gegenseitig fotografiert, hört das auf. Irgendwann sind diese Bilder dann einfach langweilig.
Originelle Typen, wie eine nette junge Gruftine auf Rollschuhen, trifft man sowieso nur zufällig.

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prager.student

Stadtbad

Crash Course in Science: treibender EBM-artiger Elektropunk mit einer Sängerin, die wie ein Derwisch über die Bühne fegte. Erinnerte ein bisschen an DAF – sehr schön.

crashcourse
Minuit Machine: melancholischer Minimal Wave mit einem etwas dünnen Stimmchen.

Altes Landratsamt

While Angel Watch: dreckiger, postpunkig angehauchter Neofolk, der sich im Laufe des Sets in ein Ian-Curtis-Gedächtniskonzert wandelte – super!

while-angels-watch
Sol Invictus: Gewohnt stimmungsvolles, sehr gutes Neofolk Konzert. Tony scheint es besser zu gehen, er hat abgenommen und konnte das ganze Konzert über stehen.

 solinvictus

 

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Tius

Stadtbad

The Present Moment: handwerklich gut gemacht, der Funke wollte aber nicht so recht überspringen.
Minuit Machine: Wave / Minimal mit monotoner Gesangslage.
Automelodi: Synthiepop mit frankokanadischem Charme und sehr bewegungsfreudigem Sänger.
Agent Side Grinder: Für mich das Highlight. Eingängige Mischung aus Synthiepop und Postpunk. Gleich drei Leute bedienen analoge Synthesizer, kein Wunder, dass der Umbau etwas länger dauerte.

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