Mit Heiduk und Schlutti fing alles an
Martin Arz, Autor und Herausgeber, ist ein Kenner der Münchner Street-Art-Szene wie kaum ein anderer. Unter anderem bietet er Stadtführungen an, die er Street Art Safari nennt. Münchens Graffiti und Murals liegen ihm am Herzen, gerade weil sie vergänglich sind. Deshalb hat er eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, um sein Buch Munich Walls herausbringen zu können. Gott sei Dank hat es mit der Finanzierung geklappt! Letzten Samstag hatte ich völlig überraschend das schöne Buch im Briefkasten! Ich habe mich sofort draufgestürzt.
Munich Walls ist das zweite Street Art Kompendium nach Street Art München. Anders als im ersten Buch geht es hier ausschließlich um Murals und Graffiti der letzten vier, fünf Jahre. Es gibt einen Rückblick auf Münchens Graffiti-Anfänge, viele bislang nie gesehene Fotos und ein Interview mit Astrid Weindl, die in der Färberei maßgeblich die Street Art Münchens mitlenkt und unterstützt. Hauptberuflich ist dem nun mit Eintritt ins Rentenalter ein Ende gesetzt, freiberuflich, und auch weil es ihr am Herzen liegt, wird sie noch weiter mitunterstützen.
Martin Arz stellt zu Anfang sehr lebhaft und amüsant dar, dass München schon 1970 eine Graffiti-Phase hatte. Ganz Deutschland war aufgeregt, weil auf Münchens Wänden „Heiduk“ erschien. War das eine Botschaft? Politisch? Kunst? Erst sehr viel später kam heraus, dass es sich um enttäuschte Mieter einer WG handelte, die den Namen des Hausherrn auf Wände schrieben. Solche Geschichten hat Martin Arz viele auf Lager: die S-Bahn der Linie 4 in Geltendorf, die Anfang der 80er Jahre blutjunge Kerle besprühten. Die Youngsters mussten damals jeder 1000 Mark Strafe zahlen und 100 Sozialstunden ableisten. Heutzutage sind sie gefeierte Künstler: Loomit und Co. Oder die eigens gegründete SoKo Graffiti mit dem Bahnpolizisten Hans Schluttenhofer, genannt Schlutti. Beruflich war er Graffiti-Jäger, privat Graffiti-Liebhaber. Ihm haben wir es zu verdanken, dass es ein Archiv mit Tausenden von Bildern aus der Münchner Frühzeit gibt. Deren Geschichten gibt es kleingedruckt auf nur wenigen Seiten zuhauf, und sie sind interessant und amüsant zu lesen. Arz hangelt sich die Jahre entlang vom ehemaligen Kasernengelände in der Dachauer Straße, einem Graffiti-Eldorado, zu den Wänden des Feierwerks in der Hansastraße, dem Bürgerpark Oberföhring, dem stillgelegten Olympia-Bahnhof und zum ehemaligen Flughafen Riem. Wieder später kam es dazu, dass man die Flächen unterhalb der Brudermühlbrücke legal bemalen durfte, das erste ISART fand statt. Die Unterführung Ludwigsbrücke durfte anlässlich der Fußball WM 2006 von renommierten Graffiti Künstlern mit Fußballmotiven besprüht werden. Dann kam die STROKE Art Fair, und die Donnersbergerbrücke wurde eine riesige Street Art Gallerie. So ging es erfreulicherweise immer weiter. Das Deadline Festival wurde gegründet, die Tumblingerstraße wurde zum Künstler-Happening, die Wanderausstellung Magic City war in München zu Gast. Es wurde ein Street Art Museum in München neu etabliert, das MUCA. Leider sind aber fast in dem Maße, wie es Neues gibt, auch Verluste zu verzeichnen. Und genau deshalb hat Martin Arz in seinem Buch Graffiti und Street Art eingefangen und dokumentiert. Teilweise sind die Bilder nur noch Historie. Arz geht nach den verschiedenen Gegenden vor: Neuperlach Zoo 83, Unterführungen, Plätze, Brücken, Brückenunterführungen, Alter Viehhof, Werksviertel, Tumblinger Hall of Fame. Tolle Fotos wurden eingefangen mit Entstehungsjahr und Künstler-Info. Das hat man natürlich nicht, wenn man nur privat unterwegs ist. Ich selbst bin viel unterwegs und habe viele Bilder auf der Festplatte, doch von wem sie sind, das herauszufinden kostet große Mühe. Deshalb ist dieses Buch für jeden Street Art Lover und Graffiti-Jäger ein wahrer Schatz. Abgerundet wird das Kompendium mit Künstlerbiografien und als Bonus mit einer Street Art Map auf der vorderen und hinteren Umschlaginnenseite. Dieses Buch ist ein Gewinn für die Interessierten der Szene in München. Toll!
Martin Arz: Munich Walls – Urban Art auf Münchens Wänden
Hirschkäfer Verlag, 24. April 2018
Softcover, 232 Seiten, über 400 Abbildungen
24 Euro
Das Video zur Crowdfunding-Kampagne:
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