Zehn Jahre Metal-Wahnsinn

Zum zehnten Mal versammelt sich Anfang Juli eine feierwütige Horde Metalheads in einem abgelegenen Bauernhof auf einem Berg, um sich einen ganzen Tag lang dem Genuss von Bier, Kuchen und natürlich lauter Musik hinzugeben: Das Sick Midsummer ist bei uns inzwischen ein fester Termin im Kalender, und wie jedes Jahr freuen wir uns, als wir endlich die letzten Höhenmeter überwunden haben, die Autos verlassen und pünktlich um zwei aufs Festivalgelände dürfen! Uns stehen gut zehn Stunden Konzerte von bekannten und weniger bekannten Künstlern aus den Bereichen Black und Death Metal bevor, das Ganze in einem zur Event-Location umgebauten Bauernhof inklusive Partyscheune und Pferdeweiden und inmitten einer der schönsten Gegenden Österreichs – da nimmt man selbst die 32 Grad im Schatten gern in Kauf!

48284625402_49c443c632_hRichthammer aus Waidhofen an der Ybbs dürfen das Geburtstagspektakel eröffnen, was nur passend ist, schließlich feiert der Vierer um Sänger und Gitarrist Florian Fangmeyer in diesem Jahr ebenfalls seinen zehnten Geburtstag. Optisch wird einiges geboten, vor allem die riesige Geweih-Konstruktion, die Florian auf dem Rücken trägt, zieht die Blicke auf sich. Bei den Temperaturen sicherlich kein Spaß! Richthammer machen sehr verspielten Death Metal mit deutschen Texten, nachzuhören auf bisher zwei Alben – und das Nachhören rentiert sich hier definitiv, denn der Sound ist alles andere als optimal; vor allem die Bässe hallen so drückend von den Wänden wider, dass vor der Bühne stehen zu Herzrhythmusstörungen führt; ein Problem, das sich den ganzen Tag lang stellen wird. Diejenigen, die sich im kleinen Schattenstreifen links von der Bühne versammelt haben, lassen sich davon allerdings nicht vom Feiern abhalten, vor allem „Totgeweiht“ vom aktuellen Album Ascheland bringt die ersten Mähnen ordentlich in Wallung.

48284622367_7b1d9ed546_zDaran können Norikum aus Graz eine halbe Stunde später anknüpfen, die einen besonders enthusiastischen Fan sogar zum Crowdsurfen animieren. Aber der Reihe nach: Die fünf Herren um Sänger Paul Färber ballern ziemlich metalcorelastiges Todesmetall aus vollen Rohren (again: die Lautstärke ist echt brutal) in die Menge, die den launigen Sound dankbar annimmt und sich in dem etwas breiter gewordenen Schattenstreifen so ordentlich austobt, wie die Temperaturen es eben zulassen – hier wären wir dann wieder beim mutigen Crowdsurfer, der doch tatsächlich ein paar Meter weit getragen wird, ehe er wieder auf den harten Steinboden zurück muss. Vor allem in den tieferen Registern kommt Pauls Stimme ziemlich gut, und Spaß bringt vor allem die Abwechslung im Songwriting: treibende Riffs wechseln mit ruhigeren, melodischen Passagen, ehe Norikum wieder voll aufdrehen. Das Rad haben sie nicht neu erfunden, aber die Grazer wissen definitiv, wie man es benutzt!

48284517546_8df407042f_zDanach wird es eiskalt – zumindest innerlich, denn Kult aus der Lombardei entern die Sick-Midsummer-Bühne. Auch hier sind die Bässe wieder so laut, dass Herzrhythmusstörungen vorprogrammiert sind; wer sich Kult von der Bar aus angehört hat, kam allerdings in den Genuss eines sehr coolen Black-Metal-Konzerts. Optisch geben sich die vier Herren ganz oldschool: Blut, Schminke und jede Menge Nieten dominieren das Erscheinungsbild. Musikalisch wird diese Linie konsequent weitergeführt: räudige Riffs, bitterböser Gesang, tiefschwarze Texte; kurz: alles, was man von einer Horde Schwarzmetallern erwartet. Der Kult-Sound ist mal aggressiv, mal etwas kontemplativer und melodischer, nur um dann wieder wie ein Sturmwind durchs Publikum zu fegen. Dabei bleiben Kult so eingängig, dass auch die Nackenmuskeln der Neu-Kultisten voll beansprucht werden können. Der nächste Italien-Urlaub ist damit auch musikalisch gerettet!

48284613047_1c039dce6c_zDeathrite aus Dresden sind der nächste Death-Metal-Act, und langsam ist vor der Bühne auch so viel Schatten, dass sich etliche Gäste zum Kopfschütteln am Bühnenrand einfinden. Die wilde Mischung aus Grind, Death und Trash mit fiesem Gegrunze zündet sofort – hier kommt keine Minute Langeweile auf. Mal gibt es ganz altmodisches Todesmetall aus der Dismember-Schule, dann wieder launige Midtempo-Stücke zum Mitnicken und -singen, dann drehen Deathrite plötzlich das Gas wieder voll auf und packen die Kettensägen aus. Der launige Sound sorgt für ordentlich Stimmung, und da Deathrite seit Neuestem bei Century Media unter Vertrag sind, dürfen wir uns auch in Zukunft sicherlich auf die ein oder andere Perle aus Dresden freuen. Bis dahin erfreuen wir unsere Ohren am etwas langsameren, drückenderen letzten Album Nightmares reign oder lassen uns zwischendrin vom Vorgänger Revelation of Chaos ausweiden – Deathrite haben was für jede Stimmungslage im Gepäck.

48284608827_7ab361c1b0_zBlaze of Perdition, die nächste schwarzmetallische Kapelle, kommen aus dem polnischen Lublin und sorgen umgehend für haarige Luft. In gewohnt polnisch-brachialer Manier knüppeln sich DQ (Drums), M.R. und XCIII (Gitarren), unterstützt von Bassist Wyrd, der live nach dem schweren Autounfall von Sänger Sonneillon den Gesangspart übernimmt, durch ihr Set, und einmal mehr ist der Sound so breiig und drückend, dass jede Feinheit verloren geht und nur noch das Gerumpel bleibt. Wer also gehofft hat, Blaze of Perdition hier kennenzulernen, wird sicherlich enttäuscht gewesen sein; wer ein Wiedersehen gefeiert hat, konnte den Sound offensichtlich verzeihen. Blaze of Perdition spielen diesen Black-Metal-mit-Death-Metal-Einflüssen-ohne-Blackened-Death-zu-sein, den auch die bekannteren Kollegen von Behemoth oder Mgla darbieten, sind dabei aber melancholischer; mehr wie die Griechen denn die Norweger. Das Ergebnis ist ein einzigartiger Sound, der auf dem aktuellen Album Conscious darkness und den vorangegangen Near death revelations bisher am stärksten zum Ausdruck kommt. Wer sich bisher mit polnischen Bands nicht so recht anfreunden konnte, dem sei Blaze of Perdition als Einstiegsdroge wärmstens ans Herz gelegt!

48284494381_93c6f88da6_zBeheaded sind als nächstes dran, und wieder einmal ist dem Sick-Midsummer-Booking-Team eine echte Überraschung gelungen, denn „Malta“ hatte bisher keiner von uns auf der musikalischen Landkarte. Der Bandname ist die nächste Stunde dann auch Programm: Wer sich diesem musikalischen Ansturm mutig entgegenstellt oder sich gar in den Moshpit wagt, dürfte sich danach gewünscht haben, geköpft worden zu sein, nur um dem Muskelkater zu entgehen. Beheaded, seit 1991 mit Unterbrechungen aktiv, haben sichtlich Spaß daran, sich durch ihre Diskografie zu häckseln, zeigen sich aufgeräumt und springen auch nach ihrem schweißtreibenden Auftritt wild grinsend durchs Publikum, immer vorne mit dabei, denn „nur alte Säcke stehen ganz hinten“, wie uns Sänger Frank wissen lässt, als es ihm vor der Bühne nicht wild genug zugeht. Verschnaufpausen? Fehlanzeige: die Malteser schlagen alles kurz und klein, und wir genießen die Show in vollen Zügen!

48284600477_f7e0d2a384_zThe mighty Bethlehem aus Grevenbroich dürfen dann das abreißen, was Beheaded noch stehen gelassen haben, ein Vorhaben, das sie mit „Niemals mehr leben“ nach einem verpatzten Intro mit völlig unverständlichem Sprechgesang angehen. Jeder einzelne der 500 Festivalbesucher scheint vor der Bühne zu stehen. Kein Zweifel, auf die Grevenbroicher hat jeder hier gewartet. Der Sound ist zwar immer noch viel zu laut (ja, selbst für ein Metal-Konzert – wir sind da aus den letzten Jahren vom SMF anderes gewohnt!), aber inzwischen sehr viel besser abgestimmt, sodass wir von Onielar und ihren Mannen alles wunderbar zu hören bekommen, was wir hören sollen. Vor dem sehr düsteren Hintergrund der nur spärlich beleuchteten Bühne wirkt das Auftreten der Sängerin extrem stimmig, als sie sich durchs eigenwillige Repertoire kreischt, zischt und krächzt. Da sich Bethlehem live doch sehr rar machen und – vermutlich – etwas hinter Darkened Nocturn Slaughtercult anstellen müssen (neben Onielar spielt auch Velnias in beiden Bands Gitarre), wissen die Zuschauer das Spektakel mehr als zu schätzen: Es ist gesteckt voll vor der Bühne, und Klassiker (etwa „Gestern starb ich schon heute“ oder „Tagebuch einer Totgeburt“) werden ebenso abgefeiert wie die neueren Stücke von der Lebe dich leer (2019) und dem Vorgängeralbum Bethlehem (hier sei das surreal-brachiale „Fickselbomber Panzerplauze“ erwähnt). Mit „Ode an die obszöne Scheußlichkeit“ verabschieden sich Bethlehem nach einer Stunde und einem grandiosen Konzert von ihren völlig verzückten Fans – danke!

48284621017_b14a2951c9_zNocte Obducta aus Mainz geben dann den Rausschmeißer – wenn auch mit einigen Hindernissen: Einmal mehr müssen sich die Herren mit Technikproblemen herumschlagen, diesmal ein abgerauchter Amp und ein kaputtes Mikrofonkabel. Deswegen legen Nocte mit einer halben Stunde Verspätung los, was der Stimmung allerdings keinen Abbruch tut: Keiner bewegt sich auch nur einen Meter von der Bühne weg, während Band und Techniker versuchen, alles wieder in den Griff zu kriegen, und als es nach einem kurzen Intro mit den Gassenhauern „Niemals gelebt“ und „Es fließe Blut“ losgeht, steht man plötzlich in einem Meer aus fliegenden Haaren. Musikalisch schwer einzusortieren, hat man sich auf das Label „Post Black Metal“ geeinigt, was so herrlich nichtssagend ist, dass alles drin Platz hat, was man im Nocte-Obducta-Sound so wiederfindet: Siebzigerjahre Krautrock, Pink Floyd, eine gute Prise Punk und ja, eben auch Black Metal. Da die Band das Set kürzen musste, um die verlorene Zeit wieder reinzuspielen, müssen wir uns die beiden kurzen Stücke (vermutlich „Braineaters“ und „Glückliche Kinder“) denken, weist uns Sänger und Gitarrist Marcel an, dafür werden wir mit „Liebster“, „dem schlechtesten Lied vom neuen Album, haben wir gelesen“, das sich auch ohne Keyboarder (der hat bereits 2018 die Band verlassen) und auf dem falschen Amp ordentlich macht, belohnt. Ehe die viel zu kurze Show mit „Fick die Muse“ ihr Ende findet, feiern wir den „Trollgott“ und „Die Pfähler“, erfreuen uns an „Solange euer Fleisch noch warm ist“ und lassen uns von den „Töchtern des Mondes“ verführen. Als Nocte schließlich von der Bühne gehen, schreit das Publikum minutenlang nach einer Zugabe, die Band streckt nochmal die Köpfe aus dem Backstage-Bereich, aber unseren Wunsch bekommen wir leider nicht erfüllt. Wer weiß, was passiert wäre, hätten Nocte Obducta noch einmal nach ihren Instrumenten gegriffen: Vielleicht hätte dann die Lichtanlage die Grätsche gemacht … Insgesamt das beste schlechteste Konzert, auf dem wir je waren – jederzeit gerne wieder!

Danach zeigen, ganz malerisch vor dem Klowagen (das Alpenpanorama ist längst in der Dunkelheit versunken), die Feuerkünstler von Ferro Ignique ihre Kunst im Umgang mit brennbarem Material vor einer Horde schwer betrunkener Metalheads. Was kann da schon schief gehen? Wir beschließen, das nicht herauszufinden, sondern steigen nach zehn Minuten ins Auto, um die Heimreise anzutreten und auf dem Weg diesen anstrengenden, viel zu heißen und viel zu lauten Tag noch einmal Revue passieren zu lassen. Trotz einiger Patzer hier und da war auch das zehnte Sick Midsummer wieder ein voller Erfolg: entspannte Leute, supernetter Staff, grandiose Orga und eine spitzenmäßige Bandauswahl – was will man mehr? Richtig: 2020 zum elften Mal auf den Bäckerberg fahren!

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Alle Bilder: The Doc (flickr)

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