Konfetti à go“go fuckin‘ crazy!“

P1120246Die 1975 in Ipswich (England) noch unter dem Namen Afterbirth gegründeten The Adicts sind eine lebende Legende und die wohl älteste noch amtierende Punkband überhaupt. Ihre Konzerte sind seit jeher für ihre fulminante Bühnenshow berüchtigt, die auch nach all den Jahren nichts von ihrer Explosivität eingebüßt hat. Letztes Jahr ist mit And it was so! ein neues Album erschienen (Link zur Review), das nun mit der gleichnamigen Tour beworben wird. Das wird ein rauschendes Fest!
Scheinbar ganz kurzfristig wurden die Münchner Punk Rocker Kalapi noch als Vorband gebucht, denn als ich tags zuvor die Anfangszeit gecheckt habe, ist mir zumindest keine Vorband aufgefallen. Zwei Alben und eine EP haben sie bislang eingespielt und sind nicht nur mir unbekannt, wie sich noch zeigen wird.

P1120015Am Backstage angekommen wundere ich mich noch kurz über die ganzen langhaarigen Kuttenträger statt irgendwelcher Punks, aber richtig, nebenan in der Halle spielen ja heute unter anderem Taake und Bölzer, über die torshammare und Nekrist für unser Webzine berichten werden. Im Werk herrscht noch gähnende Leere kurz vor acht, sodass der Beginn von Kalapi um zwanzig Minuten verzögert wird. Sie eröffnen ihr Set schwungvoll mit „Zweifel“, danach „LMAA“ und benutzen sogar kleine Podeste für ein effektives Posing. „Hallo München, wir sind Kalapi, und wir freuen uns heute für The Adicts eröffnen zu dürfen! Seid ihr gut drauf für einen Montag? “ Die Antwort fällt eher müde aus, das erkennt auch Sänger und Gitarrist Rogga und legt nach: „Das klingt wirklich nach Montag. Freut ihr euch auf The Adicts? “ Da regen sich schon ein paar mehr Leute. Es folgen „Der Tag ist da“, „Alles oder nichts“ und „Wörter“. Vor allem die zweite Gitarre Chris ist sehr agil, während der Bassist Andi etwas ruhiger agiert, aber alle drei wechseln hin und wieder die Positionen und spielen zusammen, während Ray an den Drums für den nötigen Druck sorgt. Kalapi haben sichtlich Spaß am Spielen und legen sich ins Zeug, aber leider verpufft die Spielfreude im großen Werk, obwohl der Rang durch lange schwarze Stoffbahnen abgetrennt ist und so eine heimeligere Clubatmosphäre schafft. Die Leute sitzen auf den Treppenstufen und verteilen sich im hinteren Bereich vor der Bar. Scheinbar hat kaum einer mit einer Vorband gerechnet, und so bleibt der Innenraum vor der Bühne leer. Kalapi nehmen es aber mit Humor, denn aller Anfang ist schwer: „Alles klar hinten an der Bar? Könnt ihr auch was hören? “ Den Song „Nur wenn ich gehe“ nimmt zum Glück keiner wörtlich. Zur Bayernwahl bringt Chris jetzt ein Statement: „Ich hoffe, ihr habt alle an der richtigen Stelle das Kreuz gemacht, denn es haben immer noch viel zu viele an der falschen Stelle ihr Kreuz gemacht!“, und denen ist von ganzem Herzen „Schrei nach Liebe“ von Die Ärzte gewünscht, das Kalapi in einer coolen und deutlich flotteren Version präsentieren. Bei „Dein Weg“ wird mir endlich bewusst, dass Sänger Rogga stimmlich nach Der Fluch klingt, eine Ähnlichkeit, die mich schon die ganze Zeit beschäftigt hat. Für „Was ist los?!“ kommt von ihm die etwas ironische Ansage: „Das nächste Lied ist für die wunderschönen Menschen, die am heutigen Montag gekommen sind. Man hätte ja Zuhause ’ne Serie gucken können oder ein Konzert auf Youtube! “ und kassiert dafür einige Lacher. Nun meint Chris: „Wir haben noch einen speziellen Song für The Adicts geschrieben. Sie sind ja älter als wir, daher sind sie die „Jugend von gestern“!“ Das folgende „Straße“ wird mit „Hey ho, let’s go“ eingezählt, dann heißt es: „Feiert noch einmal mit uns, bevor ihr mit The Adicts feiern könnt! „, und dafür paßt „Alex“ genau ins Bild. „Dankeschön! Viel Spaß mit The Adicts!“ Zwischen Pathos & Plattitüde heißt ihr letztjähriges zweites Album, und das trifft es insgesamt eigentlich ganz gut. Hartnäckigkeit zahlt sich aus, und so haben Kalapi am Ende doch ein paar Fans gewonnen, wie sich am Merchandise zeigt.

P1120141Die Umbaupause vergeht für mich heute schnell, da ich überraschend auswärtige Freunde treffe, die sich The Adicts nicht entgehen lassen wollen. Um halb zehn geht es endlich los, und die Bandmitglieder betreten nach und nach die Bühne. Alle tragen traditionell von Stanley Kubricks Clockwork Orange inspiriert weiße Hemden und weiße Levi’s: Gitarrist Pete „Dee“ Davison, Schlagzeuger Michael „Kid Dee“ Davison, Gitarrist Highko Strom und Bassist Kiki Kabel. Nur Keith „Monkey“ Warren ist in silbernen Plissé-Stoff eingehüllt wie in einen Kokon. Die Band startet energisch mit „Let’s go“, und Monkey entfaltet seine Flügel und wird zu einem bunten Schmetterling. Das kannte ich so bislang nur von Burlesque Shows, aber natürlich trägt Monkey keine Pasties, sondern einen weißen Anzug, der über und über mit roten und schwarzen Punkten und reichlich Glitter bemalt ist. Die ikonenhafte Melone, Glitter-Doc-Martens, weiße Handschuhe und natürlich die unverwechselbare Clownschminke runden das Outfit heute ab. Klar, ich bin natürlich während der ersten drei Songs vor allem aufs Fotografieren konzentriert, aber schon bei „Joker in the pack“ kocht die Stimmung hinter dem Fotograben. Bisweilen fühle ich mich selbst wie in einem Kartenspiel, denn Monkey feuert diese unablässig ins Publikum, und ein Teil der Spielkarten regnet schon auf die Fotografen herab. Zu „Horrorshow“ explodieren Kanonen mit weißen Papierschlangen, die an den seitlichen Bühnenrändern installiert worden sind. Ein Großteil verfängt sich in den Deckenkonstruktionen und hängt fortan effektvoll herab, das Werk wird in so etwas Ähnliches wie eine Tropfsteinhöhle verwandelt. Auf „And it was so“ vom gleichnamigen aktuellen Album folgt „Tango“, zu dem Monkey mit einem mit Luftschlangen gefüllten Regenschirm tanzt. Nach und nach verwickelt er alles um seinen Mikroständer. Das folgende „Easy way out“ wird effektvoll mit Stroboskop-Blitzen untermalt, dann heißt es auch schon „1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8“! Nach dem ersten Einzähler auf Englisch werden die folgenden „Numbers“ allesamt auf deutsch gesprochen, und das Publikum zählt natürlich lauthals mit. Nach „Troubadour“, das die meisten wieder begeistert mitsingen, hält Monkey plötzlich einen Plüschteddy im Arm und lässt diesen beim ruhigeren „I am yours“ im Rhythmus mit dem Kopf nicken. Der Song ist eine willkommene kleine Verschnaufpause, und nun fällt mir auf, dass bislang eigentlich recht wenig Konfetti oder dergleichen eingesetzt wurde. Macht sich hier der schlechte Pfund-Wechselkurs dank Brexit bemerkbar, müssen The Adicts etwa sparen? Aber nun fliegt der Teddy in die jubelnde Menge, Monkey greift zur Wasserflasche und wendet sich das erste Mal ans Publikum: „Cheers! I like that! Thanks for coming on a Monday! That’s fucking great!“

P1120362Nach „Angel“ nimmt er die Krawatte und Melone ab und wischt sich damit den Schweiß ab, dann entledigt er sich auch noch des Jackets und meint: „Vielen Dank! A song for lovers and dreamers!“, und damit ist natürlich „Daydreamers“ gemeint. Gegen Ende der Ballade drehen The Adicts auf, der Song geht in „Fuck it up“ über, und die Menge klatscht begeistert mit. Monkey tanzt ebenso wie das Publikum losgelöst und mit gestreckten Mittelfingern. Es folgt der „Shit song“, der nun endgültig etwa dreißig Leute zum Pogo animiert. „On what album is a song with a steamroller in it?“ fragt er nun. Es ist das zweite, Sound of music, und der Song dazu ist „My baby got run over by a steamroller“. Es folgt „Just like me“, das die Band nahtlos und noch einmal schneller spielt und so die eigentlich Erschöpften wieder zum Pogo antreibt. Zur Belohnung werden bei „Crazy“ wieder die Luftschlangen-Kanonen abgefeuert. Alle sind begeistert, und Monkey macht den Hampelmann und balanciert merkwürdig verrenkt auf einem Bein. Mitten im Song stimmen Gitarrist Dee und Drummer Kid Dee den Frank Sinatra Klassiker „Singing in the rain“ an. Das läßt Monkey nicht auf sich sitzen und kontert mit „Be-bop-a-Lula, she’s my baby!“ von Gene Vincent. Plötzlich explodiert doch noch der Konfettiregen, und Monkey schreit: „Go fuckin‘ crazy!“, und so nimmt die Band den Song zu einem furiosen Finale noch einmal auf. Nun schnappt sich Monkey eine Dose Guiness: „Prost!“ Das ist der Auftakt zu „Who spilt my beer“, doch zum Entzücken der Fans in der ersten Reihe wird dies nicht verschüttet, im Gegenteil. Mit zwei Dosen Guiness bewaffnet zieht er während des Songs durch den Graben und tränkt die Durstigen. Beim folgenden „Chinese takeaway“ sind wieder alle außer Rand und Band, der Pogo brodelt. Es entsteht ein Sprechchor zwischen Band und Publikum, das nach der Vorgabe „Hey Hey Hey!“ mit „Oh Oh Oh!“ antwortet. Schließlich stellt Dee die Bandmitglieder vor und bedankt sich beim Publikum mit: „Thank you for coming!“, während Monkey Glückskekse in die Menge schnippt, die er stilgerecht mit Essstäbchen aus einer Takeaway-Box von einem Asia-Imbiss fischt.

P1120482Für „Bad boy“ setzt Monkey sich die Melone wieder auf, und alle – auch die Mädels – singen mit: „Oh-oh, I’m a bad bad boy!“ Er beginnt, sich die Ärmel vom Hemd abzureißen, und, vom Publikum angefeuert, zerreißt er das Hemd komplett und fegt mit nacktem Oberkörper den Boden mit den Überresten, bevor diese im Graben landen. Ein Fan stürzt sich mit dem Mut der Verzweiflung über den Zaun, um den schweißgetränkten Stoff zu ergattern. Da muss sogar der Ordner lachen und lässt ihn gewähren. Der Typ schwenkt den Lappen – pardon, die Reliquie – stolz wie eine Kreuzfahrer-Fahne und hat den Abend seines Lebens. Bei „Gimme something to do“ agiert Monkey mit einer blinkenden Rassel, an der allerlei glitzernde Stofflappen herunterhängen, dann schreit er unvermittelt: „Viva la revolution!“ Zu dieser Hymne kocht der Kessel noch einmal hoch und die Konfetti-Kanone hüllt den Saal in Schneetreiben. Schließlich stoppt die Band, und das Publikum singt minutenlang weiter, nur angetrieben von Kid Dee, der am Schlagzeug den Rhythmus angibt. Gänsehautmoment! Dee wendet sich nun noch einmal sichtlich gerührt ans Publikum: „Dankeschön! This is fantastic! Thank you for coming out tonight and enjoy the rest of the show!“ Monkey stimmt die aus dem Fußball bekannte Hymne „You’ll never walk alone“ von Rodgers & Hammerstein an und reckt dabei einen roten Schal empor mit eben jenem Schriftzug und Logo der Adicts, geiles Teil und geschickte Werbung zugleich. Das gemeinsame Singen sorgt gleich noch einmal für Gänsehaut. Von überall her fliegen plötzlich riesige Wasserbälle, während die Band ihre Instrumental-Version von „Ode to joy“ von Beethoven spielt. Das Chaos ist perfekt, aber alle genießen den Spaß. Das sind skurrile Szenen, wenn erwachsene Männer erst wie Fünfjährige beim Kindergeburtstag völlig ausflippen und dann am EndeP1120557 verzweifelt versuchen, die Luft aus den riesigen Wasserbällen zu bekommen, um sie in der Bahn mit nach Hause nehmen zu können. Das gesamte Konzert ist ein fortwährender Rausch ohne Pause, das die Zugaben bereits beinhaltet. Gewissermaßen als Outro läuft von der Konserve eine Version von „Bring me sunshine“ (im Original von Brenda Lee), aber die ganze Band singt dazu, posiert zusammen und lässt sich dabei zum Abschied vom begeisterten Publikum feiern. Während so mancher noch nach Atem schnappt, entbrennt nun im Anschluss die Schlacht am dicht belagerten Merchandise-Stand.

Fazit: Kalapi spielen ein ambitioniertes Set, das aber leider im komplett auf The Adicts eingestellten Publikum eher untergeht. Davon sollten sie sich aber nicht verunsichern lassen, Luft nach oben ist immer. Wer also auf soliden Punk Rock mit deutschen Texten steht, irgendwo zwischen The Offspring und den Broilers, der sollte hier einmal reinhören.
The Adicts dagegen haben ihr Publikum fest im Griff, sie können heute gar nichts falsch machen. Ihre Shows sind seit jeher legendär, so auch heute. Punk, Trash, Glamour und Konfetti, alles was das Fan-Herz begehrt. Wer nicht dabei war, hat gewaltig was verpasst. Dem irren Grinsen der Bandmitglieder nach hatten aber auch diese heute einen Höllenspaß, mit so einem euphorischen Publikum rechneten sie an einem Montagabend wohl nicht. Viva la revolution!

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch:

Setlist The Adicts:
Let’s go
Joker in the pack
Horrorshow
And it was so
Tango
Easy way out
Numbers
Troubadour
I am yours
Angel
Daydreamers
Fuck it up
Shit song
My baby got run over by a steamroller
Just like me
Crazy [inkl. Singing in the rain (Frank Sinatra)/Be-bop-a-Lula (Gene Vincent)]
Who spilt my beer
Chinese takeaway
Bad boy
Gimme something to do
Viva la revolution
You’ll never walk alone (Rodgers & Hammerstein Cover)
Ode to joy (Beethoven Cover)
Bring me sunshine (Brenda Lee Cover)

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