Skål för helvete!

Zugegeben, das ist jetzt Schwedisch und nicht Färöisch, in dem ich leider nicht sattelfest bin, aber nachdem es in diesem Bericht sowieso um einen hochgradig internationalen Abend gehen wird, ist eine vierte Sprache auch schon egal. Mit Týr von den Färöern, Heidevolk aus den Niederlanden und Dalriada aus Ungarn hat man ein hervorragendes Tourpackage aus europäischem Pagan- und Folk-Metal geschnürt, das musikalisch bei den geneigten Fans keine Wünsche offen lassen dürfte. Nur um die Musik geht es an diesem Abend allerdings nicht, denn das Backstage wurde nachdrücklich aufgefordert, das Konzert von Týr nicht stattfinden zu lassen, da Sänger Heri Joensen Befürworter des färöischen Grindadráp ist, dem jährlichen, höchst umstrittenen Walfang auf den Atlantikinseln. Das Backstage hat sich für eine andere Lösung entschieden, den Auftritt nicht abgesagt, sondern der Meeresschutzorganisation Sea Shepherd einen Stand und die große Videoleinwand auf dem Gelände gegeben, wo sie über den färöischen Walfang aufklären können. Ein guter Kompromiss, wie ich finde, und so mache ich mich erwartungsvoll auf den Weg ins Metalwohnzimmer.

DSC5540Beim Backstage angekommen ist alles ruhig, vier Polizisten sind vorsorglich abgestellt, PETA ist mit ein paar Mitgliedern und einem großen Protestplakat vertreten, auf dem Gelände der angekündigte Stand von Sea Shepherd. Dieser wird von den langsam eintrudelnden Gästen allerdings ignoriert, soweit ich das beim Warten auf den Einlass überblicke. Entweder ist man bereits informiert oder weiß tatsächlich sehr wenig über die Hintergründe der heutigen Protestaktionen (was sich im Nachhinein beim „Belauschen“ von Gesprächen um mich herum bestätigt). Das Werk ist noch recht spärlich gefüllt, eine Seite sogar abgehängt – aber nach dem Dauerandrang auf dem Dark Easter ist mir persönlich das entspannte Durchschlendern sehr viel lieber. Und es ist ja noch früh am Abend. Dalriada müssen dann aber zum Glück doch nicht vor leeren Reihen spielen, die sechs Ungarn sind ja eh regelmäßige und stets willkommene Gäste in München (Tanzt!, Free & Easy). Vom ersten Moment an machen sie höllisch Dampf, Sängerin Laura dreht mit fliegenden blonden Haaren Pirouetten (wenn sie nicht gerade headbangt), und die ersten Reihen hüpfen schon zu „Thury György Balladája 2. resz“ vom aktuellen Album Nyárutó. Rasant geht es mit „Napom fényes napom“ weiter, das langjährigen Fans gut vertraut sein dürfte, ebenso wie das folgende „Áldás“. Dalriada verstehen es meisterhaft, ungarische Folklore und Geschichte in tanzbare und mitreißende, aber nicht bierselige und banale Metalsongs zu verwandeln, und das honoriert das stetig anwachsende Publikum auch mit großem Beifall. Beim „battle song“ „Búsirató“ zeigt Laura, dass sie auch hervorragend growlen und screamen kann, bei „Ígeret“ überzeugt András Fiszek mit leidenschaftlichem Gesang (und die Band mit ordentlich Tempo). Die darauf folgende Frage, ob wir bereit für einen richtig schnellen Song sind, erübrigt sich eigentlich, wir sind gut eingegroovt für „Komámasszon“ und lassen die Haare fliegen. Mein persönliches Lieblingslied von Dalriada, „Hajdútánc“, beschließt den Auftritt, das obligatorische Abschlussfoto mit glücklichen Musikern und vielen Pommesgabeln klappt auch wunderbar. Köszönöm, Dalriada, das war wieder sehr fein!

DSC5609Die seit 2002 aktiven Niederländer Heidevolk habe ich schändlicherweise noch nie live gesehen und bin sehr gespannt auf die Live-Präsentation der an Ohrwürmern nicht armen Diskografie. Auch das aktuelle Album Vuur Van Verzeet aus dem Jahr 2018 ist sehr gelungen, und mit dem Opener „Ontwaakt“ wird auch der von der ersten Sekunde an energetische Auftritt eröffnet. Nachdem sich der Sound bei Dalriada ein bisschen einpendeln musste, klingt der tolle zweistimmige Klargesang, der die Gelderländer auszeichnet, sehr ordentlich. Nach „Ostara“ gibt es noch einen Song vom aktuellen Album, das ausnahmsweise auf Englisch gesungene „A wolf in my heart“, bei dem wir unser „inner beast“ entfesseln sollen. Macht das Publikum auch, auch wenn da noch Luft nach oben ist. Nach „Einde der zege“ und „Onverzetbaar“ wird es mit dem eindringlichen, quasi A-Cappella-song „Yngwaz‘ zonen“ noch sehr viel erhabener als bisher schon, und es macht sich eine ehrfürchtige Stimmung in dem mittlerweile doch recht ordentlich gefüllten Werk breit. Damit wir nicht zu ergriffen sind, wird uns mit „Britannia“ und vor allem „Winter woude“ gleich wieder deftig eingeheizt. Danach entspinnt sich ein Dialog zwischen Band und Publikum, als man erzählt, wie verrückt die Tour bisher war, was man alles erlebt hat, dass der Drummer die drei Monate vorher krank war und nach dem ersten Gig der Tour gemerkt hat, dass die Kraft noch nicht reicht. „Pussy!“, ruft da jemand aus dem Publikum, relativiert das harte Urteil dann aber zum Glück mit einem einsichtigen „Okay“, als wir erfahren, dass der Drummer wirklich sehr krank war. Und dass der Ersatzdrummer das Set in drei Tagen gelernt hat – Hut ab! Den Beifall hat sich der Mann redlich verdient, denn er macht einen verdammt guten Job heute Abend. Schnell geht es weiter mit dem Schicksalssong „Urth“ und dem „Gelders volkslied“ – die Heimat trägt man immer im Herzen. Nach dem aktuellen „Tiwaz“ – bei dem der geforderte Circlepit noch nicht gaaanz so funktioniert – packen Heidevolk mit „Saksenland“ einen ihrer großen Hits aus, und beim „last song“ (mit Augenzwinkern) „Vulgaris magistralis“ klappt auch der Circlepit sehr ordentlich. War das Publikum bisher während der Songs etwas ruhiger und hat erst danach ordentlich gejubelt, ist jetzt mächtig Stimmung vor der Bühne, und die Fäuste werden bis weit hinten zum Mischer gereckt. „Nehalennia“ beschließt diesen astreinen Auftritt, der wirklich Spaß gemacht hat. Auch hier gibt’s noch ein Foto, und dann beginnt das Warten auf Týr.

DSC5849Ich kenne und mag die Band seit vielen, vielen Jahren, habe sie früher oft live gesehen und liebe vor allem die auf Färöisch gesungenen Songs. Auf die hoffe ich natürlich heute auch, aber vor allem bin ich gespannt, ob es wirklich bei dem Auftritt bleibt. Da kommt die Band schon auf die Bühne, mittlerweile ist man halb färöisch (Heri und Basser Gunnar), halb ungarisch (Gitarrist Attila und Drummer Tadeusz, früher bei Dalriada) besetzt. Heri begrüßt uns charmant auf Deutsch, „Wie zum Teufel geht es euch? Wir freuen uns, wieder hier zu sein in eurer schönen Stadt. Es ist viel zu lange her.“ Das Publikum freut sich auch und bereitet den vier Wikingern einen euphorischen Empfang. Atmosphärisch-erhaben geht es los mit „The lay of Thrym“, das auf der altisländischen Þrymskviða – dem eddischen Lied, in dem Thor sein Hammer vom Riesen Thrymr gestohlen wird – beruht, womit auch inhaltlich das Motto des Abends klar wäre: Mjölnir und die altnordische Götter- und Sagenwelt. Týr nehmen uns mit in diese Welt und auf eine Reise durch die letzten Alben, mit leichtem Schwerpunkt auf dem aktuellen Longplayer Hel. Von der „Hall of freedom“ geht es über den Nachtmahr „Mare of my night“ zum ersten färöischen Stück des Abends, „Grindavísan“, bzw. dänischen, denn der Text stammt von Christian Pløyen, der von 1830-1847 erst Landvogt und dann Gouverneur auf den Färöern war. Nach diesem in der Tradition der färöischen „kvæði“ (Balladen) geschriebenen Song wird es mit „Sunset shore“ und „Shadow of the swastika“ wieder etwas moderner und natürlich rockiger, das Publikum reckt fleißig die Fäuste, die Band hat sichtlich Spaß auf der Bühne und wirkt auch etwas gelöster als am Anfang. Basser Gunnar gibt wie immer den Animateur und feuert grinsend die Menge an, während sich Heri und Attila Gitarrenduelle liefern. Beim dänischsprachigen „Ramund hin unge“, einem meiner Lieblingslieder von Týr, vom allerersten Album Eric the red, versucht man sich vor der Bühne an einem zaghaften Moshpit, und die meisten anderen Anwesenden nicken sehr enthusiastisch mit den Köpfen. Die tolle Stimmung wird auch von Attilas sehr gekonntem Solo nicht unterbrochen (die Gefahr besteht ja oft bei Soli), sodass wir die „Gates of Hel“ dann nur zu gern durchschreiten, ebenso wie das „Northern gate“. Heri growlt zwischendurch, der Moshpit wird mutiger, es gibt viel „ohooohooohooo“-Gesänge, und nach einem beherzten „Skál for helvete“ von Heri nehmen alle einen tiefen Schluck von ihren respektiven Getränken. In seiner Wasserflasche ist natürlich Wodka, wie er augenzwinkernd versichert. Auch er absolviert ein hochklassiges Solo, bevor es mit „Fire and flame“ und „Blood of heroes“ sehr wikingerisch-kampflustig wird. Das Energielevel lässt kaum nach, Týr hauen uns extrem versiert ihren oftmals sehr komplexen und technisch anspruchsvollen Prog-Folk-Metal um die Ohren, und Neuzugang Attila Vörös brilliert immer wieder. Das färöische „Ragnars kvæði“, mit dem sie an alte Perlen wie „Sinklars vísa“ anknüpfen, kündigt Heri mit einer kleinen Plauderstunde an, in der er die Nerven der Game-of-Thrones-Fans im Publikum auf die Probe stellt. „Game of Thrones! I loved the second episode, when Tyrion Lannister killed … just kidding!“ Von GoT leitet er auf Vikings über, womit wir dann auch endlich bei „Ragnars kvæði“ angekommen wären. Danach darf Drummer Tadeusz allein mit auf ihn gerichteten Strahlern sein Können demonstrieren, gefolgt von Gunnar am Bass, und alle zusammen zocken dann noch „By the sword in my hand“, bevor sie die Bühne verlassen. Ein paar Klassiker fehlen aber noch, und die gibt es folgerichtig in der – pun intended – Hammerzugabe: „Hail to the hammer“ und „Hold the heathen hammer high“ heizen die Stimmung noch mal richtig an, rasch wird noch ein Jubelfoto gemacht, und dann ist der Abend endgültig vorbei. Ich vermisse noch ein paar ganz alte färöische Bandklassiker wie „Regin smiður“, aber man kann nicht alles haben.

Musikalisch war das also eine hochklassige Angelegenheit mit drei gleichermaßen mitreißenden und versierten Bands, die für das genau richtige Maß an spielerischer Klasse und ordentlich Spaß gesorgt haben, die tolle Lightshow hat ihr Übriges getan. Es war schön, Týr nach vielen Jahren mal wieder live zu sehen, Heidevolk überhaupt mal und Dalriada nach dem Tanzt! im letzten November so schnell schon wieder. Auch wenn das Werk nicht voll war, herrschte eine klasse Stimmung. Daumen hoch also für dieses Package!

Und jetzt zum ernsten Teil des Abends: Wie in der Einleitung schon angesprochen, stehen Heri Joensen und Týr seit diversen Jahren im Kreuzfeuer internationaler Kritik. Der seit der Wikingerzeit (etwa um 1000 n. Chr.) auf den Färöern praktizierte Walfang – Grindadráp – wird als nicht mehr zeitgemäß angesehen, als brutales Abschlachten wehrloser Tiere und außerdem wegen der sehr viel besseren Nahrungsversorgung als in den früheren Jahrhunderten auch nicht mehr nötig. Vor allem die Organisation Sea Shepherd bekämpft den Walfang aktiv (etwa durch das Forttreiben von Walschulen, bevor diese in eine der zum Grindadráp freigegebenen Buchten einschwimmen können). Heri steht offen zu der Tradition seines Landes und wird dafür massiv angefeindet, Konzerte von Týr wurden in den vergangenen Jahren (und auch auf der laufenden Tour) in Deutschland deswegen abgesagt. Ich persönlich finde den Weg, den das Backstage gegangen ist, sehr viel besser als einen Bandboykott. Das Backstage unterstützt offen Tierschutz (siehe das Verbot von echten Pelzkrägen an Winterjacken an den Garderoben), wollte aber lieber eine Plattform für Diskussion bieten, wie es in einem langen Statement im Vorfeld des Konzerts auf der Webseite klar gemacht hat.
Für die einen mag es zwar gar keinen Grund zur Diskussion geben, denn der Walfang gehört abgeschafft, und wer ihn aktiv vertritt, muss geächtet werden.
Ich sehe es aber ein wenig differenzierter und möchte das hier noch kurz anmerken. Ja, der Walfang ist eine tausendjährige Tradition und tief in der Seele der Färöer verwurzelt. Nein, nicht jede Tradition muss unbedingt am Leben erhalten werden. Ich fände eine Welt ohne Walfang auch sehr viel schöner. Aber durch Anfeindungen und Boykotte wird sich bei so etwas Emotionalem nicht so schnell etwas ändern wie erhofft, sondern Befürworter des Grindadráp werden diesen nur noch vehementer verteidigen. Nach dem Motto: „Ich lasse mir doch in meinem eigenen Land nicht etwas verbieten, was wir hier schon immer machen und was keinen Tierbestand gefährdet.“ Darüber hinaus finde ich es nicht sinnvoll, einen einzelnen Mann quasi allein für sein ganzes Land und etwas verantwortlich zu machen, das dort sein Jahrhunderten teilweise das Überleben gesichert hat (auch heute noch wird zum Eigenverbrauch geschlachtet, nichts wird verkauft oder exportiert, sondern an die Bevölkerung verteilt). Es ändert sich bereits etwas, und es wird sich noch mehr ändern, aber damit das umfassend und langfristig geschieht, muss der Wille aus dem Land selbst herauskommen. Ich kann aber auch verstehen, wenn man auf den Färöern sagt: „Wir ernähren uns von Tieren, warum sollte der Wal da etwas anderes, Besondereres sein als zum Beispiel ein Schaf oder ein Papageientaucher oder ein Fisch?“ Für uns ist das Ganze sehr archaisch, grausam und blutig, aber was ist die moderne Schlachthofindustrie hinter den Mauern, hinter die wir nicht mehr schauen? Der Hochseefischfang? Auch hier gilt: Natürlich wäre es schöner, wenn Tiere nicht mehr so leiden müssten und man von dieser Ernährung wegkäme. Aber auch das geht nur schrittweise. Und Alternativen müssen gefunden werden, die nicht ihrerseits wieder die Umwelt belasten. Gerade in Ländern wie den Färöern, die wenig selbst anbauen und auf viele Importe angewiesen sind.
Zynische Schlussbemerkung: Vielleicht erledigt sich das Problem Grindadráp aber sowieso bald von selbst, denn mittlerweile sind die Wale so von Schwermetallen belastet, dass offiziell vom Verzehr des Fleisches abgeraten wird. Die Färöer sind ein kleines Problem im großen Leiden von Walen und anderen Meeresbewohnern (Stichworte: Unterwasserlärm, Wassererwärmung, Wasserverschmutzung).

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Setlist Týr:
1. The lay of Thrym
2. Hall of freedom
3. Mare of my night
4. Grindavísan
5. Sunset shore
6. Shadow of the swastika
7. Ramund hin unge
8. Solo Attila
9. Gates of Hel
10. Northern gate
11. Solo Heri
12. Fire and flame
13. Blood of heroes
14. Ragnars kvæði
15. Tadeusz Solo
16. Gunnar Solo
17. By the sword in my hand

18. Hail to the hammer
19. Hold the heathen hammer high

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