Nackenschmerzen deluxe
Weiter geht’s für Schwarzes Bayern auf dem Free & Easy, und heute steht Metal auf dem Programm. Leider sogar doppelt, denn das Line-up ist in Werk und Halle extrem gut. Doch a) mag ich nicht hin und her wandern, und b) habe ich mich bereits im Vorfeld für Black und Death Metal im Werk entschieden. Außerdem stehen da zwei von diversen Dark Easters liebgewonnene Bands auf der Bühne, nämlich Ewigeis und Funeral Pile, außerdem DIE Death-Metal-Legende schlechthin, Possessed aus den USA. Recht kurzfristig hinzugekommen sind noch Mental Cruelty, und das alles verspricht ein wunderbar nackenbrechender Abend zu werden. Na, dann mal los!
Zu unserem großen Bedauern hatte das Duo Ewigeis aus Schwabhausen 2018 auf dem Dark Easter sein Abschiedskonzert gespielt, nachdem es diverse Jahre den Münchner Black-Metal-Untergrund ordentlich aufgemischt hatte. Vor ein paar Monaten gab es dann erste Lebenszeichen, und groß war die Freude, als die mittlerweile zum Trio gewachsene Band für das Free & Easy angekündigt wurde. Als Saat, Angsul und Neuzugang Skuld am Bass mit „Abgrund“ (vom gleichnamigen Demo aus dem Jahr 2011) loslegen, ist es auch, als wären nicht Jahre seit dem letzten Gig vergangen. Der deutschsprachige Midtempo-Black-Metal in bester Kopfnickgeschwindigkeit macht Laune wie früher, Ansagen sind nach wie vor rar und beschränken sich meist auf ein herzhaftes „Ugh!“, Corpsepaint und Stachelarmband sitzen. Die Bühne ist meist in ein atmosphärisches Nichts von Licht getaucht, nur die Knüppelpassagen werden scheinwerfertechnisch begleitet, die ersten Reihen schubsen und headbangen sich warm. Das Werk ist noch eher locker gefüllt, aber es ist ja auch noch früh am Abend. Die Setlist bietet einen Querschnitt durch die vier bisher erschienenen Demos, zum Beispiel „Existenzia ad absurdum“ von Wolfsmond (2009) oder „Im Nachtgeraune Melodien“ von Abgrund (2011). Schnell geht die halbe Stunde Spielzeit um, mit „Kraft“ aus dem Jahr 2016 endet dieser schöne Auftritt, dem hoffentlich bald weitere folgen werden.
Wir bleiben in Bayern, als Nächstes stehen nämlich die Bad Aiblinger Funeral Pile auf dem Programm, die ich erst an Ostern beim Dark Easter gesehen habe und die da mächtig Eindruck auf mich gehabt haben. Auch über ihre Ankündigung für den heutigen Abend habe ich mich sehr gefreut. Eindringlicher Doom mit Death-Anleihen und herrlich melancholischen Gitarrenmelodien von Annike und Ralf wird geboten, 2021 hat die Band nach langen Jahren der Inaktivität ihr sehr empfehlenswertes Debütalbum Evoked in flames veröffentlicht. Daraus gibt es heute auch einiges zu hören, darunter nach dem wunderschönen Intro die Songs „Funeral pile“ oder „Nameless city“. Mit „Hope is a lie“ ist auch ein neuer Titel dabei, bevor es mit „Food for the flies“ wieder bekannt weitergeht. Ein Song über die Schrecken des Krieges, wie Sänger Matthias dem mittlerweile ordentlich vollen Werk erklärt, der 2022 mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine fürchterlich aktuell geworden ist. Durch den Krieg ist zwar auch Drummerin Alina 2022 zur Band gestoßen und hat sie komplettiert, alle hätten sich dafür natürlich aber andere Umstände gewünscht. Matthias weist auf die Sammelbox am Merchstand hin, alle Spenden werden zur Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte verwendet, und mit einem inbrünstigen „Fuck Putin! Russia is a terrorist state“ leitet er zum Song über. Das Publikum in den vorderen Reihen geht enthusiastisch mit, immer wieder angefeuert von Basser Martin, bis der Auftritt mit dem überlangen „Klondike (The white silence)“ zum Ende kommt. Das war sehr schön, und Funeral Pile sind hoffentlich bald wieder live zu sehen! (Später erfahre ich von Annike und Martin, dass das überhaupt erst der vierte Auftritt der Bandgeschichte war – chapeau!!)
Die nächste Band kommt zwar nicht aus Bayern, aber mit Karlsruhe zumindest aus Süddeutschland. Musikalisch stellen Mental Cruelty einen kleinen Bruch zum übrigen Line-up dar, ursprünglich kommen sie aus dem Deathcore und haben in den letzten Jahren einige Black-Metal-Elemente wie orchestrale Passagen in ihren Sound integriert. Vorherrschend sind aber immer noch extrem gutturaler Gesang (hervorragend vorgebracht vom dieses Jahr neu hinzugekommenen Sänger Lukas) und viele core-typische Breaks. Ich muss gestehen, meine Tasse Tee ist das eher nicht, dafür geht aber das halbe Werk ab dem ersten Song „Midtvinter“ steil, und spätestens bei „Nordlys“ (mit „Das ist Norwegisch und heißt ‚Nordlicht‘ – wenn das nicht Black Metal ist!“ von Lukas angekündigt) hat sich ein wirklich amtlicher Mosphit vor der Bühne gebildet. Das Mitbrüllspielchen bei „Ultima hypocrita“ versandet ein wenig, das Publikum will lieber nonverbal Energie freisetzen und weitermoshen. Macht nix, rasant geht es auf der Bühne weiter, Zeit für ein paar folkloristisch-atmosphärische Einsprengsel (wie bei „Fossenbraten“) ist aber auch. Das nachfolgende „A hill to die upon“ wird als „einer der härtesten Songs, die wir dabeihaben“ angekündigt, und das kesselt auch wirklich ordentlich. Die Verschnaufpause danach mit dem getragenen und erhabenen „Zwielicht“ und einem Drumsolo von Trommler Danny kommen da gerade recht. „Symphony of a dying star“ wirbelt noch mal ordentlich alle Frisuren durcheinander, bevor sich Mental Cruelty unter großem Jubel verabschieden.
Danach gehen die einen Luft schnappen, die anderen drängen sich schon vor der Bühne und warten auf die Legenden von Possessed. 1983 gegründet, gilt die Band als DIE erste Death-Metal-Band und als Wegbereiter des Bay Area Thrashs. Nach einigen turbulenten Jahren – mal waren Possessed aktiv, dann wieder nicht, nicht zu vergessen der folgenschwere Überfall auf Sänger und Bassist Jeff Becerra 1989 – hat man sich 2007 endgültig reformiert. 2019 kam mit Revelations of oblivion ihr erstes Studioalbum seit dreiunddreißig Jahren heraus. Und jetzt gibt es endlich die Oblivion-Tour dazu! Freudige Erwartung liegt in der Luft, vor allem auch beim erstaunlich zahlreich vertretenen blutjungen Publikum, und als Jeff Becerra auf die Bühne rollt, recken sich ihm viele Fäuste entgegen. Er ist sichtlich gerührt über den Empfang, und auch die anderen Bandmitglieder freuen sich über die euphorische Begrüßung. Danach stürzen sich aber auch gleich alle in knapp anderthalb Stunden Bandgeschichte. Diverse Songs auf der Setlist stammen natürlich vom aktuellen Album (wie die Opener „No more room in hell“ und „Demons“), aber auch Klassiker wie „Beyond the gates“ oder „Pentragram“ gibt es zu hören. Zwischendurch muss Jeff einen aus dem Publikum gerufenen Wunsch enttäuschen, den Song hätten sie gestern schon gespielt, dafür gäbe es dann jetzt „Tribulation“. Auch nicht verkehrt, und das Publikum nimmt den „Ersatz“ jubelnd an. Die Stimmung im Werk ist ausgelassen und euphorisch, Possessed werden gnadenlos – und völlig zu Recht – abgefeiert, vor allem auch Jeffs Ansagen, die wirklich von Herzen kommen. „My belief“ kündigt er als „song about lots of ups and downs“ an, „a song about our scene, the daily struggles, you and me …“, großen Jubel erntet das Intro zu „The exorcist“. „Death metal“ beschließt mit einem riesigen Moshpit den regulären Auftritt, doch natürlich gibt es noch eine Zugabe.
Was für ein fantastischer Metalabend! Ewigeis feiern ihre Rückkehr, Funeral Pile sind doch niemals erst zum vierten Mal auf der Bühne gestanden, Mental Cruelty treiben die Temperaturen im Werk in die Höhe, und wer nach Possessed keine Nackenschmerzen hat, war nicht dabei. Für einen Montag und mit dem ebenfalls bärenstarken Programm in der Halle ist das Werk sehr gut gefüllt, und die Bands werden gebührend abgefeiert. Danke allen Beteiligten für diesen schönen Abend!
Setlist Possessed:
No more room in hell
Damned
Beyond the gates
Pentagram
Tribulation
The word
Storm in my mind
Shadowcult
My belief
Graven
The exorcist
Demon
Fallen angel
Death metal
Dominion
Swing of the axe
Burning in hell
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