Montag, 16.05.2016

Mrs.Hyde

Mittlerweile schon so etwas wie eine Tradition ist der heutige Horrorpunk- und Psychobillyabend, den The Fright im Täubchenthal eröffnen. Unsere erste Band des Tages sind aber die darauf folgenden Banane Metalik. Die durchgeknallten Franzosen liefern nicht nur die beste Show, die wir bislang von ihnen gesehen haben, sondern nebenbei auch die beste Show des Festivals. Mit ihren Latexfetzen im Gesicht sehen sie nicht nur aus wie völlig verrottete Zombies, sie schwitzen sich die Seele aus dem Leib und riechen irgendwann auch so. Der Sänger rockt nicht nur die Bühne, er steigt auch auf den Fotografenzaun und weiter ins Publikum, mischt im brodelnden Pogo mit, während er weitersingt, klettert auf den Bartresen, um von dort aus zu performen. Die Ausflüge ins Publikum werden mehrfach wiederholt, und schließlich gibt es auch noch eine Crowdsurfing-Einlage. Zusätzlich zur opulenten Bühnendeko mit Särgen und blutigen Einmachgläsern und einem abgerissenen Arm, der am Ständer eines der Mikros hält, gibt es noch einen halbnackten und blutbeschmierten Gogo-Tänzer, der über die Bühne wirbelt. Nach dem Konzert kommt es am Merchandise-Stand fast zu tumultartigen Szenen, so groß ist der Andrang. Den ganzen Abend lang ist der Stand gut besucht.

Die folgenden Argyle Goolsby and the Roving Midnight können uns nach so einer fulminanten Show nicht recht begeistern, und da wir Balzac schon mehrmals gesehen haben, fahren wir zur Abwechslung zwischendurch ins Alte Landratsamt für And Also The Trees. Das Konzert an sich ist sehr gut, aber auch der Musik entsprechend eher ruhig, was zum Ausklang eines 4-Tage-Festivals etwas ermüdend ist. Daher fahren wir anschließend noch einmal zurück ins Täubchenthal, wo Nekromantix zum Abschluss eine fesselnde und schweißtreibende Show abliefern. Der Coffin-Bass rockt, was die Saiten hergeben, und treibt die Pogomeute unerbittlich an. Als Kim Nekroman nach der regulären einstündigen Spielzeit den letzten Song ankündigt, ist überraschenderweise noch lange nicht Schluss. Die Band zeigt ob der euphorischen Publikumsreaktionen unglaubliche Spielfreude, dreht das Tempo noch einmal auf und hält noch eine halbe Stunde durch, bevor Kim Nekroman sichtbar völlig entkräftet seinen Bass von der Bühne schleppt. Dummerweise haben sie keinen Merchandise-Stand, denn sonst hätten sie ähnlich wie Banane Metalik Mengen an Merch absetzen können.

Viele verlassen jetzt schon die Location, um woanders zu feiern oder die Wunden zu lecken, sodass die Aftershowparty etwas verloren wirkt, aber zumindest hat man man viel Platz zum Tanzen. Nach einer Stunde reicht es uns dann aber auch, und um noch zur Gothic Pogo Party zu fahren, fehlt uns die Energie.

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torshammare

Saeldes Sanc

Saeldes Sanc

Das Wetter ist heute so durchwachsen – also noch durchwachsener als die Tage zuvor -, dass heute nur ein Besuch auf dem agra-Markt sinnvoll ist, und letzte Shoppingwünsche wollen ja schließlich auch noch erfüllt werden. Als erstes Konzert stehen bei mir Saeldes Sanc mit Ernst Horn auf dem Programm, im Schauspielhaus, vor dem sich auch schon wieder eine beeindruckend lange Schlange über den Gehsteig zieht. Doch wir kommen noch rein, auch wenn wir nur noch auf dem oberen Rang einen Platz bekommen, was dem Gesamterlebnis aber keinen Abbruch tut. Saeldes Sanc ist jetzt nichts, was ich mir daheim oft anhören würde, aber auf der Bühne überzeugt mich die Band durchaus. Die Musik ist durch Klavier und Flügel (Sängerin Hannah Wagner und Ernst Horn) sehr dynamisch und wuchtig, durch Geige, Percussion und Hannahs Stimme aber immer noch lieblich und klassisch-folkig. Sympathisch führt die Sängerin durchs Programm inklusive kleiner, spaßiger Einlagen (beim Klaviertausch: „Ernst, jetzt hast Du meine Setlist geklaut.“ Ernst Horn eilt zurück und übergibt das Blatt Papier. „Danke! Also, jetzt zurück zum Ernst des Lebens. Äh …“).

Machinista

Machinista

Danach zieht es mich in die Moritzbastei zu Machinista, sehr schönem Synthiepop mit ein wenig E-Gitarre aus Schweden. Leider klingt der Sänger wie nach fünf Tagen Whiskey und Zigaretten (ist aber wohl einfach nur krank), er entschuldigt sich tausend Mal dafür und liefert trotzdem noch einen sehr akzeptablen Auftritt ab. Den schmissigen, discotauglichen Synthiepop schaue ich mir gern noch mal an, wenn ich Machinista irgendwo erwische.

Nun stellt sich die Frage – bleiben oder schon ins Alte Landratsamt gehen, wo als Headliner Pink Turns Blue erwartet werden, die sicher trotz starker Konkurrenz von Das Ich, Agonoize, Irfan und Test Department in den anderen Hallen viele Leute sehen wollen. Meine Begleiter und ich entscheiden uns fürs Alte Landratsamt, und das ist sehr gut. And Also The Trees spielen bereits, als wir dort aufschlagen, die Einlassschlange ist allerdings noch nicht so lang, und nach zehn Minuten sind wir drin. Mir persönlich geben And Also The Trees trotz deren langer Szenezugehörigkeit nichts, zu ruhig ist der Sound für mich, doch das proppenvolle Landratsamt huldigt den alten Helden gebührend. Derweil wird die Einlassschlange draußen bei bitterer Kälte immer länger, diverse Freunde von mir stehen draußen – aber die Security ist unerbittlich, kaum jemand kommt noch rein, und das ist leider auch gut so, denn die Luft im Raum ist wie immer zum Schneiden, diesmal sogar noch mehr als sonst. Bis Pink Turns Blue um elf dann endlich anfangen, wird mir schon leicht schwindelig, aber die ersten Songs vom neuen Album wecken mich wieder auf. Live kommt das neue Material in der Trio-Besetzung hervorragend rüber, wohingehend „Walking on both Sides“ etwas wenig Druck hat. Die Band spielt daher viel vom aktuellen Album, das allerdings noch nicht flächendeckend bekannt ist. Die Stimmung im Raum ist nicht schlecht, abPink Turns Blueer da ginge definitiv noch mehr. Oder es bekommt eh schon keiner mehr Luft … Ich bleibe daher auch nicht bis ganz zum Ende und verlasse das Alte Landratsamt und damit das WGT mit einem lachenden und einem weinenden Auge, denn diese vier wunderschönen Tage sind wieder mal viel zu schnell vergangen.

Ich habe großartige Bands gesehen – bekannte als auch bisher nicht live gesehene -, habe noch viel mehr verpasst (wie immer), viel Zeit mit tollen Menschen verbracht und mich wie jedes Jahr einfach nur daheim gefühlt in Leipzig und unter all dem Schwarzvolk. Bis nächstes Jahr!

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Phoebe

Phoebe_Montag_MozartMontag war ich wieder alleine. Einmal pro WGT muss ich ins Ballett oder in die Oper. Also habe ich mich um 13 Uhr an der Oper angestellt, um Karten für das Ballett Mozart Requiem zu ergattern. Und was soll ich sagen? Die Early Birds sind reingekommen! Das Ballett von Mario Schröder (nach dem Requiem in d-Moll KV 626 von Wolfgang Amadeus Mozart mit Texten von Pier Paolo Pasolini) war von ungeheurer Intensität. Man musste sich ein paar Minuten darauf einlassen, sich einfinden in die Situation, aber es nahm einen gefangen. Die Zuschauer waren atemlos, bis auf den einen oder anderen Hüstler hätte man während der 70 Minuten ohne Pause eine Stecknadel fallen hören können.

Danach hatte ich nochmal Lust auf etwas Ruhiges. Ich bin nochmal zum Schauspielhaus gegangen und habe mich in die überraschend lange Schlage für Saeldes Sanc und Ernst Horn angestellt. Da ich nur einen Einzelplatz brauchte, hat man mir einen freien Platz in der zweiten Reihe zugewiesen, was natürlich sehr fein war. Die Sängerin Hannah Wagner trat mit Ernst Horn und einer wundervollen, schönen Geigerin und gleich zwei Percussionisten auf. Hannah führte äußerst sympathisch durch das Programm, das Publikum durfte schwelgen, schmunzeln und auch lachen. Ich persönlich mag es nicht, wenn Bandmitglieder nicht ganz bei der Sache sind und rumkaspern oder sich während eines Liedes unterhalten, vielleicht war ich aber auch nur zu nah dran. Die Zugabe war rührend: Hannah hat sich an Kate Bushs „Wuthering Heights“ versucht, stimmlich wie tänzerisch.

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prager.student

Kaffeetrinken in der Moritzbastei, dann zur Test-Dept.-Ausstellung in der Galerie KUB, weiter ins Heidnische Dorf und dann in die Agra zu Neuroticfish, einem Typen, der aussieht wie ein Hipster mit Bauch, Bart und Karohemd, musikalisch aber Weiberelectro macht – ganz nett soweit.

prager_Montag_andalsothetrees

And Also the Trees

Dann die schwierige Entscheidung: Kuppelhalle zu einer Industrial-Legende oder ins Landratsamt zu zwei Wave-Legenden. Test Dept. hatte ich zwar noch nie gesehen, und die Austellung hatte mich angefixt, aber die Industrial-Legenden in der Kuppelhalle waren schon zwei Mal eher enttäuschend, also entschied ich mich für die Wave-Bands, auch weil ich sie vor über 20 Jahren das letzte Mal gesehen hatte.
And Also the Trees wollten auch viele andere sehen, ich kam 20 Minuten vor Beginn gerade noch so rein, angeblich bildete sich draußen eine Schlange, die nochmals das Fassungsvermögen des Landratsamtes enthielt. Drinnen war es auch entsprechend voll und heiß. Garderoben hatten keine geöffnet, sodass man Regenmäntel und Pullis auf dem Arm tragen musste – hier wäre vielleicht etwas mehr Professionalität von Seiten der Veranstalter angebracht gewesen. Simon Jones trat wie ein englischer Landlord auf die Bühne (stellt euch Bilbo Baggins in ausgewachsen vor) und spielte seinen verschnörkelten romantischen britischen Countryside-Wave. Bedingt durch die Hitze entledigte er sich seines Gehrocks und seiner Weste, bis er schließlich im offenen Hemd seinen charismatischen Auftritt beendete. Trotz Hitze und Gedränge ein tolles Konzert.

Zu Pink Turns Blue war es tatsächlich etwas leerer, anscheinend war es einigen Leuten doch zu heiß. Starker Sound, gute Mischung mit den meisten Hits und ein sehr engagierter Mic Jowger, der inklusive Zugaben fast zwei Stunden spielte. Auch sehr lohnend.

Da der Abschluss in der Moritzbastei klassischerweise schrecklich überfüllt ist, bin ich danach zur Abwechslung (diesmal tatsächlich nur kurz) ins Beyerhaus und dann heim, um für die Rückfahrt fit zu sein.

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littlenightbird

Neuroticfish fand ich ziemlich gut, flüssiger Synthie-Pop zum Mittanzen; nachdem ich vor Jahren auf einem Abschiedskonzert war, hat es mich gewundert, aber auch gefreut, sie nochmal live zu sehen. Obwohl der Sänger in seinem Karohemd etwas sehr nach Holzfäller oder Hipster anmutete.

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Tius

Im Schauspielhaus gibts bei Saeldes Sanc & Ernst Horn natürlich keine Soundprobleme. Die Lacher auf ihrer Seite hatte Hannah Wagner, als Ernst Horn bei einem fliegendem Wechsel von Flügel zu Piano ihr die Setlist klaute und sie sich darüber beschwert. Es fehlt leider die männliche Gesangsstimme, sonst war der Auftritt gewohnt gut.

The Visit: Nach Saeldes Sanc verließen sehr viele Leute wieder das Schauspielspielhaus, und mir wurde sehr schnell klar warum. Virtuoses Cellogeschrammel und lautmalerischer Soprangesang sind nicht mein Ding, deswegen flüchtete ich während des zweiten Songs in die Kuppelhalle zu Cut Hands.

Cut Hands: Ein Mann und sein Rechner – Industrial halt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger!

Thorofon: Sehr solider Auftritt.

Test Dept.: Ein sehr beeindruckender Auftritt mit überraschend viel Percussion, dabei wurde viel fürs Auge geboten. Die für ihre politische Aktionen bekannten Künstler verpackten ihre Botschaften in den Musikwerken, Hintergrundbildern (u.a. zerbombte Stadt, überfülltes Schlauchboot auf dem Meer) und in einem Schlussappell, der mir leider entfallen ist. Einfach zu kaputt nach dem Konzert- und Partymarathonprogramm.

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Dienstag, 17.05.2016

Phoebe

Vormittags war ich noch ein wenig fotografieren, und danach begab ich mich in Richtung Autobahnstau. Ich wollte wohl noch einmal das Anstehen-Schlangen-Feeling erleben. Somit war das WGT endgültig zu Ende. Die Realität hatte mich wieder.

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littlenightbird

Rotersand ging wegen Überschneidung mit anderen Terminen nicht, und leider habe ich auch die Nontox-Cyber-Parties (outdoor) nicht mitgenommen, weil ich keine Lust auf Frieren und Regen hatte. Mit elektrischer Beleuchtung im Outfit ist das auch nicht so zu empfehlen. Und wozu einen Pool vor der Nase haben, wenn ich ihn nicht nutzen kann?

Ich fand das WGT deutlich voller als sonst (die LVZ gibt 23.000 Besucher an, normal sind nach meinen Erfahrungen 17.000 bis 22.000, durchschnittlich 20.000), und es hat mich gestresst, überall lange Schlangen zu sehen, selbst dort, wo sonst keine sind. Fürs Bändel an der Agra, für Würstel, fürs Klo, fürs Museum, für Nachmittagskonzerte eigentlich meiner Meinung nach unbedeutender Bands, selbst für Einlass in die Moritzbastei, wo es nachts mitunter sogar zum Einlassstopp kam. Einer der Gründe für das Gedränge in allen Innenräumen mochte aber auch das mäßige Wetter sein, das die Outdoor-Events etwas einschränkte. Glücklicherweise bewegten wir uns antizyklisch oder einfach mit Glück, denn wir wurden überall eingelassen und kamen meist auch noch rechtzeitig dort an, wo wir hinwollten und mussten verhältnismäßig kurz warten.

Ich bin auch wieder mal in meiner Meinung bestätigt worden, die Moritzbastei und das Heidnische Dorf einfach nur für Bändelinhaber freizugeben, weil es echt keinen Spaß mehr macht, da hinzugehen und man nicht mal „einfach so“ hinkommen kann, sondern quasi schon wie im versnobten München im voraus einen Tisch reservieren müsste, wenn es denn möglich wäre.

Fazit: Ein ganz passables WGT mit einzelnen Highlights, aber wie sagt man so schön, zumindest für mich war bei der Qualität „noch Luft nach oben“. Naja, dann nächstes Jahr.

 

Und zum Abschluss: Im Namen der Redaktion SB-Webzine ergeht ein herzliches Dankeschön an unsere WGT-Teilnehmer und diese Berichte und Bilder!

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