Bad hair day
Wie jedes Jahr sind die seit 1978 aktiven englischen Punk-Legenden Peter And The Test Tube Babies kurz vor Weihnachten in München zu Gast und liefern so eines der letzten Highlights des Jahres. Spannend ist natürlich, mit welcher Kostümierung sie heute auftreten werden, denn sie lassen sich stets etwas Besonderes einfallen. Im Vorprogramm sind Battleme dabei, die trotz vier veröffentlichter Alben Unbekannte für mich sind. Auf Wikipedia erfahre ich, dass sie zudem quasi die Hausband der bekannten Serie Sons of Anarchy sind, auch das ist an mir vorbeigegangen. Beim kurzen YouTube-Check präsentieren Battleme eine Art Americana-Blues, und ich frage mich, wie die beiden Bands zusammenpassen sollen.
Nur langsam tröpfeln die Menschen ins Backstage, und so ist es zum offiziellen Beginn erst zu einem Viertel gefüllt. Mich beschleicht das Gefühl, dass so manche die Vorband bewusst auslassen wollen. Mit halbstündiger Verspätung betreten Battleme die Bühne. Hauptsänger ist Matt Drenik, James Eliot Jones steht am Bass, Randal Blaschke spielt die Gitarre und Schlagzeuger ist Scott Noben. Eben der stellt sich zunächst nur mit einer äußerst knappen orangefarbenen Badehose bekleidet an den Bühnenrand und ruft: „Hello Munich! I wanna hear you!“ Das Publikum ist eher irritiert, was sicherlich beabsichtigt ist, reagiert dafür aber auch eher verhalten. „One, two, three, four!“, und los geht die Show, und wie. Alle drei wirbeln bei „No truth“ über die gesamte Bühne, und auch Scott hält es kaum auf seinem Sitz. Matt stellt danach den Mikroständer weg, der ist ihm nur im Weg. Vor Energie übersprühend springt er bei „Wanna go home“auf den schmalen Bühnenrand vor den Monitorboxen und verliert dabei fast das Gleichgewicht. Vielleicht hat es deswegen sein „Testament“ gemacht, während dem Scott tatsächlich aufspringt und einen Ausflug ins Publikum unternimmt und auf Tuchfühlung geht. Nur, dass da eben nicht viel Tuch im Spiel ist. Weiter geht es mit „Fuck“, bei dem es nun auf der Bühne flott abgeht. Matt nimmt zischendurch sogar seine Sonnenbrille ab und wirft irre Blicke ins Publikum. Dafür gibt es auch lauten Applaus. Die vordere Hälfte im Publikum hat sich eingegroovt. Bei „Hot mess“ und „Cha Cha“ kommt es zu einzelnen Soloaktionen, während denen Matt kurz die Bühne verlässt, was seine Mitmusiker für exzessives Rockstar-Posing ausnutzen. Dann aber lässt er sich wieder vom Tempo mitreißen und liegt am Ende am Boden.
Auf „Suzie Fuse“ folgt „Lowlife“, das er mit angedeuteten Gewehrsalven untermalt. Zwischendrin liegt er wieder ausgepowert am Boden und klopft mit dem Mikro den Rhythmus mit, während Randal die Gitarre hinterm Kopf spielt, und schlussendlich singt er den Song kniend zu Ende. Nun wendet sich Matt ans Publikum, wobei die Stimme leider untergeht, und kündigt „Bitch blues“ an. Darauf folgt „Hot blonde“, zu dem Scott auf den Drums stehend die Menge anheizt. Irgendwie erinnert er mich dabei an den jungen Mick Jagger von den Rolling Stones. Schließlich krönt er sich selbst mit einem Drumsolo. Mit „Shake shake“ endet das Set, für das James und Eliot zuvor ihre Instrumente tauschen. Wie schon die ganze Show über zucken permanent Lichtblitze im Tempo zur Musik und sorgen nach fünfzig Minuten für ein großes Finale, das mit entsprechendem Applaus honoriert wird. Statt mit Americana-Blues überraschen mich Battleme mit einer harten Rock-Show, bei der vor allem Stücke des letzten Albums Cult Psychotica gespielt werden. Die Stücke gehen oft nahtlos ineinander über, ähnlich wie bei den Buzzcocks seinerzeit, was es manchmal erschwert, sie auseinanderzuhalten. Beim vorderen Teil des Publikums kommen sie gut an, während die hintere Hälfte auf den Punk Rock wartet. Mich persönlich können Battleme trotz aller Energie leider nicht wirklich mitreißen, denn zum einen kommen mir die Posen und die Musik altbekannt vor, zum anderen ist Rock einfach nicht mein Genre.
Es folgt das leidige Warten in der Umbaupause, die sich heute hinzieht, weswegen die Bar gut besucht ist. Es ist mittlerweile brechend voll und fühlt sich erstmalig wie ausverkauft an. Drummer Scott winkt nach dem Umbau noch einmal zum Abschied, und um zwanzig vor zehn startet endlich der Hintergrundfilm auf der Leinwand mit dem klassischen 20th Century Fox Intro, dann ist zunächst irgendeine pulsierende Masse zu sehen. Schließlich wechselt das Bild zu Nachrichten über den Vietnamkrieg und der Mondlandung sowie dem Jahrgang 1969 generell, der das Motto der diesjährigen Tour bildet. Schließlich betreten Peter And The Test Tube Babies unter lautem Jubel die Bühne. Drummer Sam Griffin Fuller imitiert Buzz Aldrin und trägt einen Raumanzug samt Helm, und Nick Abnett am Bass personifiziert heute Charles Manson. Peter Bywaters spielt passend dazu die hochschwangere Sharon Tate, die damals von Manson-Anhängern umgebracht worden ist, und Del Strangefish an der Gitarre ist irgendein Hippie, den ich spontan nicht näher identifizieren kann. Ohne große Umschweife starten sie ihr Set mit „Moped lads“. Sofort wird der Pogo von den ersten Leuten eröffnet, und bei „Run like hell“ lassen sich schon die nächsten anstecken. Wäre die Stimmung nicht ohnehin schon gut, wäre das spätestens jetzt der Fall, als Peter den nächsten Song unter den Haarsträhnen hervorgrinsend ankündigt: „This one’s called ‚Jinx‘.“ Ein par Jungs flippen regelrecht aus, und im Pogo geht es mächtig rund. Die ikonenhafte Gitarrenmelodie von Del ist aber auch wirklich großartig, und die meisten singen den Text mit Peter mit. Einen Fuß auf der Monitorbox feuert er mit dem Mikro in der Hand die Menge an, während ihm die Haare der Perücke immer wieder ins Gesicht fallen. Das kommentiert er anschließend selbstironisch mit: „I have a bad hair day!“ Auf der Leinwand im Hintergrund ist nun der King zu sehen, und folgerichtig ruft jemand: „Elvis is dead!“, doch das war nur eine Finte, und stattdessen folgen „Never made it“ und „Unlucky day“. Nun erklärt Peter: „This is the first song I’ve ever written!“, in dem er Folgendes feststellt: „The Queen gives good blowjobs“. Die Menge johlt, und nach „Every second counts“ folgt ein neuer Song aus dem neuen Album Fuctifano, das nächstes Jahr im März erscheinen soll. Auch „Facebook loser“ kommt im Publikum gut an, und Peter freut sich: „Yeah, fuckin‘ nice mosh pit!“ Der setzt sich fort bei „In yer face“ aus dem letzten Album That Shallot. Und Peter grinst: „‚In yer face‘? – ‚Up yer bum‘!“ Damit geht’s zurück ins Jahr 1982. Mit „Spirit of Keith Moon“ folgt sogleich der nächste Hit. Irgendwie möchte man meinen, dass den Jungs im Pogo irgendwann einmal die Puste ausgehen sollte, aber jedenfalls nicht heute. Nachdem nun also wiederholt jemand seine planetarische Umlaufbahn verlassen hat und von hinten in mich reingekracht ist, wird es zuliebe der Kamera für mich Zeit, mich weiter nach hinten hinter die Pogozone zurückzuziehen. Nun möchte man meinen hier in Sicherheit zu sein, aber Fehlanzeige.
Deswegen an dieser Stelle mal in eigener Sache: Ja, ich weiß, ihr habt vielleicht morgen schon Weihnachtsurlaub, und ihr habt deswegen vielleicht vier Bier zu viel, und wir sind hier auf einem Punk-Konzert, aber das ist noch lange kein Grund, wie eine Abrissbirne rücksichtslos durch die Menge zu pflügen. Punk beinhaltet auch Respekt, Solidarität und Rücksichtnahme. Wer das nicht versteht, bitte bei Mutti nachfragen, was die Wörter bedeuten. Ich habe deswegen zweimal ohne Besserung meine Position gewechselt, und die ganzen Rempeleien machen es schwer, sich auf die Musik zu konzentrieren und diese zu genießen. Da wurde vorne im eigentlich unkontrollierten Pogo deutlich besser aufeinander aufgepasst, so ironisch das jetzt auch erscheinen mag.
Bevor es mit „None of your fucking business“ weitergeht, meint Peter: „We play in Hamburg the day after tomorrow, so come along and bring us some Christmas presents!“ Stattdessen fliegt irgendetwas auf die Bühne, aber Peter weicht geschickt zur Seite und lacht: „What was that? Was that a present?“ Vielleicht war es auch ein Stück Müll, denn als Nächstes folgt „Keep Britain untidy“. Dann wird es etwas böse: „Now we play a romantic song for your wife or your girlfriend. It’s called ‚Wrong‘!“. Der Text ist dabei natürlich alles andere als romantisch. Anschließend rockt „Keys to the city“, und „Shake my world“ wird wieder vielfach mitgesungen. Peter stöhnt theatralisch: „Aaah, my nerves!“ und stellt dann fest: „This one goes out to you, Mr. Manson!“ Dazu passt „Maniac“ natürlich perfekt. „You want one more?“ – „Yeah!“ – „So you move fuckin‘ faster!“ Dafür ist „Banned from the pubs“ natürlich ideal, und vorne fliegt die Kuh, was Peter mit „Dankeschön, Schatzi!“ kommentiert. Zu „Blown out again“ geht ein Crowdsurfer baden, denn das Konzert klingt langsam aus, und die Musiker verlassen die Bühne.
Nach einigem Gejohle kehren The Test Tube Babies mitsamt Peter auf die Bühne zurück. „You want more?“ – „YEAH!“ – „Aaah, fuck you!“ Peter grinst entsetzt, und ich vermute, der verfilzte Wischmop auf seinem Kopf muss höllisch jucken. „Show some respect to the greatest Rock ’n‘ Roll Star: Robbie Williams!“ Klar, das ist ironisch gemeint, denn nun folgt doch noch „Elvis is dead“. Dazu steht Sam zunächst am Schlagzeug auf und animiert die Menge um Mitklatschen, und beim Refrain singen natürlich alle mit. „One more? Alright, I fuckin‘ love this one!“ Es folgt das reichlich schräge Cover „Hocus Pocus“ der Progressive-Rock-Band Focus, das bei der einen Hälfte für Begeisterung sorgt und für Irrititationen bei denjenigen, denen das Stück von 1971 unbekannt ist, denn der Gesang wird dabei gejodelt. „You’re fine for one more!“ Die Saalantwort ist zu leise, also wiederholt Peter die Frage noch einmal lauter und ist nun doch zufrieden. Zur Belohnung gibt es „I just can’t wait“, und wer noch kann, geht noch einmal mit. „Fröhliche Weihnachten! Danke!“ Peter winkt zum Abschied mit dem letzten Cider, und die Test Tube Babies folgen ihm. Wem die letzen anderthalben Stunden noch nicht gereicht haben, kann das allgemeine Gedränge wahlweise am Merchandise oder an der Garderobe fortsetzen.
Fazit: Alle Jahre wieder sind Peter And The Test Tube Babies ein sicherer Garant für eine stimmungsvolle Punk-Weihnachtsfeier, die einem die Tage im Anschluss noch einige Ohrwürmer beschert. Vor der Bühne rotiert beinahe unentwegt der Pogo, und man sieht den Musikern deutlich an, wie sie auch nach all den Jahren Spaß daran haben. Die Vorband Battleme hat zwar nur bedingt dazu gepasst, aber vor allem Rockfans sollten die Band um Sänger Matt Drenik einmal austesten. Der Punktabzug in der Abendwertung ist aber nicht ihnen und den Test Tube Babies schon gar nicht anzulasten, sondern allein den Abrissbirnen im hinteren Teil des Publikums geschuldet.
Setlist Peter Any The Test Tube Babies:
Moped lads
Run like hell
The Jinx
Never made it
Unlucky day
The Queens gives good blowjobs
Every seconds counts
Facebook loser
In yer face
Up yer bum
Spirit of Keith Moon
None of your fucking business
Keep Britain untidy
Wrong
Keys to the city
Shake my world
Maniac
Banned from the pubs
Blown out again
–
Elvis is dead
Hocus Pocus (Focus Cover)
I just can’t wait
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