„Das war richtig geil!“

Eigentlich hätten die Stockholmer A Projection bereits im Februar auf der Bühne stehen sollen, doch wegen Krankheit musste die Tour mit Golden Apes leider gecancelt werden. Nun gibt es einen neuen Anlauf, bei dem die Band ROSI den Abend eröffnen wird. Ich muss zugeben, mein erster Gedanke war in etwa „Hat die nicht ein Telefon?“, aber davon wollen wir uns mal nicht ablenken lassen. Außerdem werden A Projection schon wissen, mit wem sie auf Tour gehen. Es kann also nur gut werden.

DSC_5198Eine halbe Stunde vor Beginn sind wir im Club, und der ist regelrecht leer. Ein paar Bekannte werden begrüßt, der Merchandise-Stand besichtigt, und dann geht es auch schon los. Pünktlich um 20:00 Uhr betreten ROSI wortlos die Bühne. Theremin-ähnliche Klänge begleiten beim ersten Song „Höhle“ die Stimme von Sänger Sven Rosenkötter, außerdem gesellt sich das Gitarrenspiel von Mirco Rappsilber dazu. Es folgt „Trennen“, und es fällt auf, dass beide trotz der eher ruhigen und traurigen Musik nicht stillstehen und immer irgendwie in Bewegung sind. Sven erinnert mich dabei mit seiner Bühnenperformance an Ian Curtis. Das schlichte graue Fred-Perry-Polohemd verstärkt diese Wirkung noch, wobei ich mir sicher bin, dass er sich dessen gar nicht bewusst ist. Nun gibt es erst einmal den verdienten Beifall der bislang ca. 40 Besucher*innen. Sven bedankt sich und stellt die Band vor: „Wir sind ROSI aus Bielefeld! Viel Spaß!“ Das folgende „Complaints“ vereint Minimal mit Post Punk und ist schön tanzbar. Der leicht schräge Gesang verhindert, dass das Ganze zu sehr ins Poppige abrutscht. Nahtlos geht der Song in „Lippen“ über, das zum einen DAF-Einflüsse offenbart, zum anderen aber auch an frühe NDW erinnert, bevor der kommerzielle Ausverkauf einsetzte. Dafür gibt es auch reichlich Beifall. „Dankeschön! Das letzte Mal war ich vor 28 Jahren auf Klassenfahrt in München“, verkündet Sven. Er erinnert sich noch so gut daran, weil der FC Bayern München zu der Zeit im UEFA-Pokal-Rückspiel mit 3:1 bei Girondins Bordeaux den Pokal gewonnen hatte. „Das war richtig geil!“ Dafür gibt es natürlich Szenenapplaus. Nun heißt es: „Ihr dürft ‚Tanzen‘, auch wenn wir das scheiße finden.“ Das sorgt für reichlich Gelächter, und getanzt wird zu „Tanzen“ eben trotzdem. Mit „Explore expanse“ folgt ein neuer Song, dessen Text zur Sicherheit noch mal an die Monitorbox geklebt ist. Der Beat wird hier stärker, und die Gitarre von Mirco jault dazu (was nicht negativ gemeint ist), was Erinnerungen an den Noise von Sonic Youth weckt.
In „Kopf“ tritt der Synth-Bass prägnant in den Vordergrund und zeigt eine coole neue Facette im Sound von ROSI, die vom hallenden Gesang abgerundet wird. „Schwarzer Kaffee“ wird für diejenigen bereitgehalten, die erst jetzt verspätet eintreffen. Daher wird auch noch mal von Mirco erklärt: „Wir sind aus Bielefeld und sind ungefähr 1200km gefahren!“ Sven wirft ein: „Hat sich aber viel kürzer angefühlt.“ Außerdem bedankt er sich noch beim Backstage und A Projection für die Möglichkeit hier aufzutreten.
Das folgende „Ordinary room“ besitzt eine psychedelische Atmosphäre, und vom Gesang her erinnert mich das stark an Batcave à la Sex Gang Children. Vom Applaus her scheint das nicht nur mir sehr zu gefallen, und Sven bedankt sich mit: „Vielen, vielen Dank!“ Über „Door“ kommen wir zum offiziell letzten Stück „Rationale Liebe“, das er folgendermaßen ankündigt: „Der nächste Song ist darüber, wie es ist, als altes Paar morgens miteinander aufzustehen.“ Nach dem verdienten Beifall verabschiedet sich Sven: „Danke, wir waren ROSI! Viel Spaß mit A Projection! Das ist unser letztes Stück.“ Doch als sie sich nach „Forgotten world“ zum Abschied verbeugen, ruft jemand: „Einer geht noch!“, und in der Tat ist noch etwas Zeit, und so meint Mirco: „Den nächsten Song spielen wir für Sven, der hinten am Merch steht, den haben wir nämlich schon lange nicht mehr gespielt. “ Sven (am Mikro) wirft vorher noch ein: „Ey, macht keinen Scheiß bei eurer nächsten Landtagswahl!“, was noch einmal für Gelächter sorgt. Und so folgt mit „Kaltes Land“ der wohl älteste Song heute Abend, einer Single aus dem Jahr 2016. Nun ist aber um zehn vor neun wirklich Schluss, und es folgt die Umbaupause und das Warten auf den Hauptact A Projection, währenddessen Sänger Rikard Tengvall zunächst noch eine Dose Turbobier der gleichnamigen österreichischen Punk-Band auf der Bühne bereitstellt.

DSC_5341Doch nach nur zwanzig Minuten sind A Projection schon bereit, und das Intro ertönt, während Drummer Jesper Lönn seinen Platz einnimmt. Unvermittelt hämmert er auf sein Schlagzeug, und nun entern neben Rikard auch Gitarrist Gustav Forneus und Linus Högstadius am Synthesizer die Bühne. Eine Setlist suche ich vergeblich, die Jungs sind offenbar so gut aufeinander eingespielt, dass sie ohne auskommen (dafür bekommen wir sie nach dem Konzert von der Band – tusen tack!). Sie eröffnen mit „Careless“, bei dem Gustav zunächst auch einen Synthie bedient. Er und Linus agieren eher statisch und zurückhaltend hinter ihren Instrumenten, aber Rikard sprüht vor Energie und zieht die Blicke auf sich, die er zugleich mit seiner Sonnenbrille abwehrt. Am Ende geht er sogar auf die Knie. Dafür gibt es vom Publikum im nun doch gut gefüllten Club auch ordentlich Beifall. „Thank you so much! Thanks for being here tonight! And the next one is from our new album In a different light, it’s called ‚Regenerate‘!“ Damit hauen sie direkt ein Highlight raus, und dementsprechend ist auch die Stimmung bereits sehr gut. Gustav spielt dazu nun auch auf der Gitarre, Rikard tanzt und nimmt zwischendurch einen Schluck Turbobier. Er freut sich sichtlich über das begeisterte Publikum und bedankt sich überschwenglich: ‚Thank you so much Ladies and Gentlemen, you beautiful creatures!“ In der Tat sind heute zahlreiche Gothen vertreten und verbreiten gruftiges Flair. „This is one of our singles and it’s called ‚No control‘.“ Der Club tanzt dazu, ebenso Rikard auf der Bühne. Mit „I’m not here“ wird es etwas ruhiger und düsterer, und zum Schluss sinkt er auf die Knie und hält die letzte Minute bewegungslos inne. Doch dann zieht er sich am Mikroständer wieder hoch und bedankt sich für den Applaus: „Thank you, this song was really old. The next one ist called ‚Cover my eyes‘.“ In den Lyrics heißt es „walk in circles“, und tatsächlich läuft Rikard auf der kleinen Bühne dazu im Kreis.

Bevor es mit „Lucy Shrine“ weitergeht, fragt er noch: „Is everybody ready?“ Ja, natürlich, und so kann weiter getanzt werden. Zu „Substitute“ geht er richtig ab, wie auch das Publikum. Nun dürfen wir uns über einen „oldie but goldie, a slow one“ freuen, und das ist „The laughing garden“ vom ersten Album Exit von 2015. Weiter geht es mit „Breach“, nachdem er sich zum Dank verbeugt. „This one is called ‚Strange‘ from our album before the last one“. Dies ist zugleich mein Lieblingslied und löst bei mir eine stabile Gänsehaut aus. Die Grabesatmosphäre hat es mir einfach angetan, auch wenn es im Club heute deutlich wärmer als in einer Friedhofsgruft ist. „Confession“ im Anschluss präsentiert sich eher ruhig, und das schöne Gitarrenspiel von Gustav kommt hier voll zum Tragen. Nun schminkt sich Rikard die Lippen rot für die französischen Momente im Leben, denn es folgt das schöne „Paris Stockholm“ (die Frauenstimme kommt vom Band), für das er nun auch die Sonnenbrille endgültig ablegt. Den nächsten Block bilden „Anywhere“ und „Darwin’s Eden“, die Ansagen gehen mittlerweile im lärmenden Publikumsjubel unter, aber egal. „Transition“ erinnert mich auf coole Weise an „We can dance“ von Men Without Hats, bevor es zu „No light“ heißt: “ Now to some old stuff.“ Der Bass ist hier stark betont, live spüre ich starke Vibes von Joy Division, die uns in den Bann ziehen. Nun heißt es leider: „This will be the last song for tonight, and this is called ‚Something whole‘.“ Rikard rockt mit dem Mikroständer und agiert wie den ganzen Abend eher wie ein Punk Rocker, was bei dem grundsätzlich melancholischen Soundspektrum eigentlich ungewöhnlich ist, aber dafür umso mitreißender, am Ende wälzt er sich sogar auf der Bühne und bleibt schließlich ausgepumpt liegen, während das Publikum johlt und applaudiert. Als er wieder Luft hat, verabschiedet er sich: „We love you! Thank you so much! Tschüss!“ Die Band verschwindet hinter der Bühne, wird aber natürlich noch einmal zurückgeklatscht. „Let’s continue with one from our first album. Enjoy!“ Damit folgt „Exit“ vom gleichnamigen Album, und „Young days“ wird gleich noch hinterhergeschoben. Ein Schluck frisches Turbobier muss zwischendurch auch noch sein. Das erinnert wohl auch Gustav daran, wie viel Durst er hat, denn bevor die Band sich zusammen verbeugen kann, greift er sich auch schnell noch mal eine Bierdose.

Damit verabschiedet sich die Band endgültig, taucht aber kurz darauf am Merchandise-Stand wieder auf, signiert bereitwillig Platten und beantwortet ein paar Fragen von Fans. So kommen torshammare und ich auch noch ins Gespräch mit den Mitgliedern, und wir können uns ein wenig austauschen. Auch Mirco Rappsilber gesellt sich dazu und gibt einen Einblick in sein bisheriges Schaffen, unter anderem war er auch ein Jahr lang bei egotronic aktiv. Er ist ein von der Musik Getriebener, und wir können deutlich spüren, wie er dafür brennt. Sven Rosenkötter löst A Projection ab, die noch abbauen müssen. Der eigentlich ungewöhnliche Bandname ROSI war eigentlich nur ein Arbeitstitel am Anfang, aber dann nahmen die Dinge mit Mirco ihren Lauf, und sie haben den Absprung davon einfach irgendwie verpasst. Dabei führt der Bandname gerne zu Verwechslungen. Gerüchten zufolge hat die Band gar nicht die Nummer 32-16-8, und  es gibt wohl auch eine Sängerin aus Malaysia namens Rosi, deren Fans plötzlich die Social Media Accounts der beiden geflutet haben.

Fazit: Ein toller Abend mit zwei tollen Bands. ROSI lassen uns als schändlicherweise noch unbekannte Vorband gewaltig aufhorchen, denn sie verarbeiten viele Einflüsse aus den 80ern und 90ern, kreieren daraus aber ihre sehr eigenständige musikalische Vision von heutigem Post Punk mit hohem Wiedererkennungswert. A Projection im Anschluss lassen auch nichts anbrennen und spielen auch live die Klasse ihrer Songs voll aus. Das Spektrum zwischen New Wave, Gothic und Post Punk wird weit ausgelotet, melancholisch, düster, tanzbar, von der Vergangenheit inspiriert, aber ebenso modern interpretiert. Beide Bands dürfen gern früher als nach 28 Jahren wieder hier auftreten. Um Sven noch mal zu zitieren: „Das war richtig geil!“
torshammare: Das war wirklich ein rundum schöner und familiärer Abend mit zwei großartigen Bands, massig Ohrwürmern und supernetten Begegnungen. Tack så jättemycket! (Nur etwas mehr Licht auf der Bühne wäre schön gewesen, aber es ging ja um die Musik.)

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch:

Setlist A Projection:
Careless
Regenerate
No control
I’m not here
Cover my eyes
Lucy Shrine
Substitute
The laughing garden
Breach
Strange
Confession
Paris Stockholm
Anywhere
Darwin’s Eden
Transition
No light
Something whole

Exit
Young days

Bilder: torshammare

(2116)

1 Kommentar

Trackbacks & Pingbacks

  1. […] letzten Alben, sondern auch mit einem absolut fesselnden Konzert kürzlich im Backstage München (hier). Mit dem aktuellen Album präsentieren sich A Projection „In a different light“ […]

Kommentare sind deaktiviert.