Eine Insel für Kinder mit besonderen Fähigkeiten – und Monster, die auf der Suche nach ihnen sind…

978-3-426-28368-4Riggs, Insel der Kinder_Druck

Cover

Jakob liebt seinen Großvater und dessen abenteuerlichen Geschichten aus dem Waisenhaus über alles: Geschichten von kleinen Mädchen, die schweben können, von Hugh, dem Jungen, in dem Bienen wohnen, und dem unsichtbaren Zimmergenossen begleiten ihn durch seine Kindheit hindurch, bis Jakob zu alt wird, um ihm die Märchen zu glauben. Sein Vater sagt ihm, dass sein Opa durch pures Glück den Nazis und ihrer Vernichtungsmaschinerie entkommen ist und seine augenlosen Monster nicht mehr sind als übersteigerte Phantasien.

Als sein mittlerweile immer dementer und  paranoider werdender Großvater brutal zu Tode kommt und Jakob, der alles mitansehen muss, im Gebüsch eine schreckliche Kreatur sieht, hält ihn seine Familie für verrückt und schickt ihn in Therapie – aber Jakob weiß, was er gesehen hat. All das muss etwas mit dem Waisenhaus in Cornwall zu tun haben, alle Spuren führen dorthin, und nach einigen Wochen hartnäckiger Überredung, bei der sich erstaunlicher Weise Jakobs Therapeut als unerwartete Hilfe herausstellt, machen sich Jakob und sein Vater auf die Reise zur Insel der besonderen Kinder. In Cornwall angekommen interessiert den jungen Amerikaner vor allem eines: Das  Herrenhaus, in dem sein Großvater seine Kindheit verbrachte. Doch die Suche scheint vorbei zu sein, bevor sie richtig beginnen kann, denn das Haus wurde von einer Bombe im Zweiten Weltkrieg nahezu volständig zerstört, und alle Kinder kamen ums Leben. Bis auf Jakobs Großvater jedenfalls. Als Jakob einen Koffer voller geheimnisvoller alter Fotos findet ist er sich sicher, dass das nicht das Ende gewesen sein kann. Ein Verdacht, der sich schneller bestätigt, als ihm lieb ist…

Nicht zuletzt durch die aufwändigen Illustrationen, alte Schwarz-Weiß-Fotografien, die scheinbar Unmögliches zeigen: schwebende Mädchen, grotesk geschminkte Kinder, die sich offenbar mit Luftschlangen füttern, ein Mädchen am Rande eines Pools, das sich jedoch doppelt spiegelt, erzeugt die Insel der besonderen Kinder zu Beginn eine dichte, verstörende und geheimnisvolle Atmosphäre, die an altertümliche Jahrmärkte erinnert. Man denkt sofort an Freakshows, den Duft nach frischem Popcorn, verzerrte Leierkastenmusik an einem lauwarmen Sommerabend, und alles wird überlagert von einem kindlichen Grusel angesichts der Monstrositäten, von denen man denkt, es könne sie gar nicht geben – aber das „Was, wenn doch?“ jagt einem Schauer über den Rücken, die beinahe wohlig sind. Ich war jedenfalls sofort davon in Bann geschlagen und fasziniert von der unheimlichen Stimmung, die Riggs hier gekonnt aufbaut und auch über die erste Hälfte des Romans konstant hält.

 

[embedplusvideo height=“309″ width=“500″ standard=“http://www.youtube.com/v/bqY_j_YHihM?fs=1″ vars=“ytid=bqY_j_YHihM&width=500&height=309&start=&stop=&rs=w&hd=0&autoplay=0&react=1&chapters=&notes=“ id=“ep6949″ /]

 

Leider verflüchtigt sie sich schnell wieder, wenn Jakob die Insel der besonderen Kinder entdeckt hat. Die verstörende Atmosphäre verschwindet so schnell, wie sich Jakob an die titelgebenden Kinder gewöhnt; dafür nehmen die fantastischen Elemente deutlich zu und geben dem Ganzen eine andere Richtung. Fast bedauert man das Voranschreiten der Handlung ein bisschen. Dadurch schwindet meiner Meinung nach auch die Glaubwürdigkeit des Protagonisten. Gerade von einem Jungen wie Jakob, der selbst berechtigte Zweifel an all den Geschichten seines Großvaters entwickelt hat, erwarte ich doch wesentlich weniger Bereitschaft, alles, was ihm widerfährt, so gelassen hinzunehmen und es einfach zu akzeptieren. Schade, ich hätte mir doch etwas mehr Mystery (und Nazis) erhofft, wurde dafür allerdings mit Monstern entschädigt. Im Mittelteil geht mir ein wenig der Drive verloren, der einen die ersten 160 Seiten förmlich in die Geschichte hineinreißt. Gegen Ende nimmt dann alles noch einmal richtig Fahrt auf und – soviel sei verraten – driftet beinahe ein wenig in die Science Fiction ab (aber wirklich nur ein wenig). Alles in allem habe ich die Insel der besonderen Kinder an einem einzigen regnerischen Sommertag regelrecht gefressen und bin, trotz allen Kritikpunkten, sehr gespannt auf die Fortsetzung dieses wirklich empfehlenswerten Romans, an der Ransom Riggs allem Anschein nach bereits arbeitet. Auch eine Verfilmung wird auf der Homepage des Autors angekündigt, mit keinem Geringerem als Tim Burton auf dem Regiestuhl. Wir dürfen also gespannt sein, was da noch auf uns zukommt.

Die Hardcover-Ausgabe ist, wie nicht anders zu erwarten, hochwertig aufgemacht und mit sehr vielen bereits erwähnten Bildern ausgestattet. Dafür hat Riggs, der unterer anderem auch Fotograf ist, ziemlich tief in den Archiven der absurden Fotografie gewühlt und dabei wirkliche Schätze ans Tageslicht geholt. Ich halte diesen Roman für wirklich gelungen, was Inhalt und Aufmachung angeht, und einmal mehr ist zu bedauern, dass PAN leider eingestellt wurde – ich hätte mich sehr gerne an weiteren tollen Büchern dieser Machart erfreut.

:buch2:

 

Ransom Riggs: Die Insel der besonderen Kinder
415 S.
PAN, 2011
€ 16,99

(3631)

1 Kommentar

Kommentare sind deaktiviert.