Endlich wieder eine unheilige Ostermesse

20220425_085736„Geil war’s, bis nächstes Jahr!“ So tönte man 2019, nach dem letzten phänomenalen Dark Easter Metal Meeting. Umso bitterer war es dann, als das traditionell ausverkaufte DEMM 2020 kurz nach Pandemiebeginn verschoben werden musste. Aber alles nicht so wild, wir halten zusammen, und ein Jahr vergeht ja bekanntlich schnell – oder? Gibt’s halt ein bisschen länger Vorfreude, feiern wir dann doppelt. Pustekuchen. Dass es tatsächlich bis Ostern 2022 dauern sollte, bis das Backstage wieder fest in schwarzmetallischer Hand ist, hätten wir alle nicht gedacht. Bis zuletzt haben wir gebibbert, die Veranstalter mussten das Line-up so oft umwerfen, dass von den ursprünglich gebuchten Bands gar nicht mehr so viele übrig waren, eine Woche vorher mussten dann auch noch Gaahls WYRD absagen … Es war alles ein bisschen nervenzerfetzend. Doch dann war es soweit, 32 hochkarätige Bands waren angekündigt, die letzten Corona-Maßnahmen aufgehoben, die Wettervorhersage gut und das größte Hindernis die Stammstreckensperrung der Münchner S-Bahn. Aber echte DEMM-Fans überwinden auch diese Hürde auf dem Weg zu – endlich wieder – Festival, Freunden, Live-Musik und immer einem kühlen Blonden in der Hand. Pack ma’s!

Der Einlass aufs Gelände am Karsamstag verläuft entspannt, und nachdem ich mir mein Festivalbändchen fürs „Dark Easter Metal Meeting 2020“ in schickem Lila geholt habe, stoße ich nach ein paar Metern schon auf die ersten Bekannten. Wie schön! Leider bin ich dieses Jahr allein unterwegs, Kollegin Nekrist ist verhindert, im Geiste aber haarschüttelnd dabei. Daher wird’s nicht ganz so viele Bandberichte und -fotos geben wie in den letzten Jahren, aber ihr bekommt hoffentlich trotzdem einen schönen Eindruck. Jedenfalls herrscht schon vor der ersten Band eine freudige, gelöste Stimmung auf dem Gelände, das die Backstage-Crew im Lauf der letzten Monate ordentlich aufgehübscht hat. Diverse neue Sitzgelegenheiten – oft überdacht – sind entstanden, viele lauschige Nischen, in die man sich jederzeit zurückziehen kann. Nach zwei Jahren weitgehender Konzerte- und Festivalabstinenz sind das hervorragende Aussichten für den sicher irgendwann wehen Rücken und den Gesprächsbedarf mit lange nicht gesehenen Kumpels.

DSC_9156Doch zuerst einmal scharren alle mit den Hufen und drängen sich ins Backstage Werk, das im Gegensatz zu den Vorjahren die erste Bühne im Tagesplan ist. Besagter Plan wird leider durch die umständebedingte Absage von My Dying Bride schon vor Beginn etwas über den Haufen geworfen, und viele Fans sind sehr enttäuscht, aber man ist nach den letzten zwei Jahren auch sehr fatalistisch geworden und freut sich einfach über alles, was an Live-Musik möglich ist. Entsprechend groß ist der Andrang dann auch um halb drei Uhr schon bei Hate, die gerade mit Belphegor und I Am Morbid auf Tour sind und typisch polnischen Death Metal mit Black-Einschlag spielen. Nach einem orchestral-erhabenen Intro und Drumsolo im Scheinwerferlicht legen die vier Polen wuchtig und mit sehr angenehmem Growlen los, und schon nach dem ersten Song bangen sich nicht nur die ersten Reihen warm. Die Menge genießt das tighte Geballer sichtlich. Setlist gibt’s keine, ich kann also nicht mit Songtiteln dienen, aber ich vermute mal stark einen Mix aus aktuellem und älterem Material. Langweilig wird’s jedenfalls keine Sekunde, Hate überzeugen auf der ganzen Linie mit großer Routine und einer musikalischen Dampfwalze, die den ganz großen Namen aus ihrem Heimatland in nichts nachsteht.

DSC_9281Danach verlagert sich das Festivalgeschehen in die Halle zu Waldgeflüster und in den Club zu Maahes. Nachdem ich Waldgeflüster letzten Herbst bei ihrem Dahoam-Event gesehen habe und in der Halle nur noch die hinteren, für eine kleine Frau eher ungünstigen Plätze frei sind, ziehe ich weiter zu den Ägyptologen von Maahes, die aus ihrer niederbayrischen Heimat Niederbayern nach München angereist sind. Der Club ist rappelvoll und die Band bekannt, dementsprechend groß ist der Zuspruch. Leider tritt man heute ein wenig dezimiert nur als Trio auf, was den Gesamtsound ein wenig dünner macht, die Spielfreude aber nicht kleiner. Die drei grundsympathischen Musiker – der Drummer mit Anubismaske, die anderen beiden teilweise in Mumienbinden gewickelt – freuen sich sichtlich über den Beifall aus dem Publikum und bringen das ägyptisch angehauchte Material aus ihren zwei bisherigen Veröffentlichungen (plus „Magic slave“, einem neuen Song) druckvoll und mitreißend auf die Bühne. „Es macht unglaublich Spaß, für euch spielen zu dürfen“, bedankt sich die Band, und das hat man in jeder Sekunde dieses feinen Auftrittes gemerkt!

DSC_9393Bestens angeheizt pilgert danach alles zurück ins Werk, wo als Nächstes Imperium Dekadenz auf dem Plan stehen. Die Schwarzwälder um Frontmann Horaz sind eindeutig Publikumslieblinge und legen vom ersten Moment an einen beeindruckenden Abriss hin. Auch hier lässt sich die enorme Spielfreude nach den letzten zwei Jahren erkennen, und Songs wie „Absenz Elysium“, „Schwarze Wälder“, „Aue der Nostalgie“ oder „Transcendence“ reißen die Fäuste reckenden Fans mit viel schwarzmetallischer Raserei und noch mehr Atmosphäre zuverlässig mit. Ein wunderbarer Anblick von weiter hinten, ich muss mich aber trotzdem vorzeitig losreißen, denn bei der folgenden Band möchte ich einen Platz mit Bühnensicht.

DSC_9439In der Halle spielen nämlich als Nächstes die Norweger Mork, deren Name zwar nichts mit „mørk“ zu tun hat, finster ist die ganze Angelegenheit aber trotzdem. Thomas Eriksen bringt mit seinen Musikern feinsten Black Metal der norwegischen Schule auf die Bühne, klirrend kalt und mit klassischem Corpsepaint. Mork spielen auf dem DEMM ihre erste Show in Deutschland, und nach dem Gedränge um mich herum zu schließen, sind viele gespannt. Die hohen Erwartungen werden nach einem herrlich würgelautlastigen letzten Soundcheck auch voll und ganz erfüllt. Nach „Den lukkede porten“ von der EP Fortid og fremtid gibt es unter anderem „Det sidste gode i meg“ und das mahlende „Arv“ zu hören, außerdem den fiesen Ohrwurm „Født til å herske“, alle vom aktuellen Album Katedralen. Mit „Da himmelen falt“ wird auch das Vorgängeralbum Det svarte juv berücksichtigt, und mit „Dype røtter“ geht man noch einmal weit in die Bandhistorie zurück. Black Metal mit der einen oder anderen Melodie und viel Seele, ein hervorragender Querschnitt durch Morks Schaffen, die Band überzeugt auf der ganzen Linie und darf gern wiederkommen. Mein erstes Tageshighlight!

(Parallel haben die Schweizer Gravpel den Club mit ihrem Anarcho-Black-Metal aufgemischt, sorry, dass ich es nicht mehr dorthin geschafft habe.)

DSC_9643Im Werk geht es mit den ganz kurzfristig für Gaahls WYRD eingesprungenen Österreichern Harakiri for the Sky weiter (danke für den Einsatz!), zu denen man eigentlich nicht mehr viel schreiben muss. Alte Bekannte auf dem DEMM, alte Bekannte in München, letzten Herbst erst mit Waldgeflüster im Backstage – und immer wieder ein Garant für mitreißende Songs und ein völlig ausflippendes Publikum. So auch heute, bei den ersten Tönen von „Sing for the damage we done“ vom aktuellen Album Maere gibt es kein Halten mehr, und das Energielevel wird den ganzen Auftritt lang hochgehalten, auf der Bühne sowieso und im Publikum auch. Meinereiner hatte sich zwar schon sehr, sehr, sehr auf Gaahl gefreut gehabt, doch ich lasse mich heute auch sehr gern von gänzlich anders gelagertem Black Metal mitreißen, denn HFTS werden von Mal zu Mal noch besser. Die Gitarrensoli von M. S. schneiden in ihrer Schönheit direkt ins Herz, die Verzweiflung, die aus J. J.s Texten und Gesang spricht, legt sich darüber, und zusammen mit der ebenso exzellenten Leistung der anderen Musiker verliert man sich headbangend in einer anderen Welt. Die schmerzhaft ist (siehe Songs wie „Stillborn“, „Thanatos“ oder „Calling the rain“), aber gleichzeitig auch zauberhaft. Beschlossen wird der Auftritt perfekt mit dem Placebo-Cover „Song to say goodbye“, und danach brauche zumindest ich eine kurze Pause, um alles ein bisschen sacken zu lassen.

DSC_9713Außerdem ist es Zeit für einen Snack, für den dieses Jahr auch tatsächlich Zeit ist, denn es gibt mehr Foodtrucks als in den letzten Jahren, was die hungrige Meute ein wenig entzerrt. Eine Portion Pommes später ziehe ich noch in den Club zu Vargsheim, um mir das Live-Drei-Fünftel von Imperium Dekadenz noch einmal anzusehen, diesmal mit ihrer eigenen Band. Die Franken gehen etwas grooviger und teilweise sogar rockiger als ID zu Werk (zum Beispiel beim Nackenbrecher „Svartnatt“), Black Metal ist das Ganze aber immer noch, wofür vor allem Kaelts und Harvsts abwechselnder Gesang sorgt. Eine runde Sache, und die Meute im gut gefüllten Club hat ordentlich Spaß.

(Parallel spielen in der Halle die Griechen Yoth Iria, für die die Zeit leider nicht mehr reicht.)

DSC_9743Zurück im Werk wird es finster, sehr finster. Die unheiligen Österreicher Belphegor stehen auf dem Programm, und die Bühnendeko aus umgedrehten Kreuzen (samt kopfüber hängender Jesus-Figuren), Kerzenständern und bedrohlich waberndem Nebel im blauen Licht schafft schon die entsprechende Atmosphäre. Inmitten der ersten Weihrauchschwaden marschiert die Band um Chef-Blasphemist Helmuth auf die Bühne und nimmt Aufstellung, die letzte Verschnaufpause vor dem höllischen – und höllisch mitreißenden – Set der nächsten knappen Stunde. Ein geknurrtes „Wie geht es euch?“, dann folgt ein erbarmungsloses, perfekt auf den Punkt gespieltes Black-/Death-Gewitter, dass es eine wahre Freude ist. Belphegor können aus einigen Jahrzehnten Bandgeschichte schöpfen und tun das heute auch. Zum Beispiel wird das 2003er-Album Lucifer incestus mit dem gleichnamigen Song bedient oder Pestapokalypse VI aus dem Jahr 2006 mit „Belphegor – Hell’s ambassador“, es gibt aber auch diverse Songs aus dem Album Totentanz von 2017 zu hören und einen brandneuen Song („Virtus asinaria / Prayer“) vom kommenden Album The devils. Belphegor sind wie immer eine Macht, musikalisch und in ihrer unerbittlichen Bühnenpräsenz. Das Publikum macht bereitwillig mit und sorgt für ordentlich Stimmung in der Hütte.

DSC_9845Nach diesem Angriff auf sämtliche Synapsen muss ich mich zwischen harschem griechischen Black Metal in der Halle (Varathron) und ägyptischem Black/Death Metal im Club (Crescent) entscheiden, was nicht leicht ist, da beide Bands selten zu sehen und daher eigentlich ein Muss sind. Letztendlich lande ich im Club, nachdem ich nach Maahes bereits auf Ägypten eingestellt bin. Seit 1999 gibt es die Band um Chef Ismaeel Attallah schon, doch heute ist der erste Auftritt in München. Den müssen sie als Trio absolvieren, was ein klein bisschen Auswirkungen auf den Gesamtsound hat, der Stimmung auf der Bühne und im Publikum aber keinen Abbruch tut. Die Setlist ist vom aktuellen Album Carving the fires of Akhet dominiert, und der rappelvolle Club feiert die abwechslungsreichen Nackenbrecher gebührend ab. Ein rundum überzeugender Auftritt der ägyptisch-deutschen Band, die hoffentlich nicht zum letzten Mal in München war.

DSC_9982Als Nächstes hätten eigentlich My Dying Bride auf dem Programm gestanden, von vielen heiß ersehnt und ein Hauptgrund für den Festivalbesuch. Da die Veranstalter diesmal nicht auf die Schnelle einen Ersatz aus dem Hut zaubern konnten (wir erinnern uns, als Wolves Den spontan für eine nicht erschienene Band einsprangen), rutschen I Am Morbid nach vorne und spielen „früh“ um zehn Uhr abends. Ich persönlich bin darüber sehr froh, denn auf das Morbid-Angel-Tribut-Projekt um Dave „The Voice“ Vincent freue ich mich wie wahnsinnig. Nach langen Jahren endlich wieder Morbid Angel, und dieses Mal mit dem legendären Pete Sandoval an den Drums, wobei ich mich auch sehr über Tim Yeung gefreut hätte, der mich bei früheren Konzerten sehr beeindruckt hat. Auf jeden Fall sind I Am Morbid DIE Muss-Band des heutigen Tages, und das denken sich wohl auch ungefähr alle anderen Besucher des ausverkauften DEMM, weswegen es im Werk schön warm und kuschlig wird. Beste Voraussetzungen also für einen legendären Auftritt, und genauso kommt es auch. Dave ist bester Laune und gesprächig wie immer (oh, diese Stimme!), verspricht nach den letzten zwei Jahren eine „goddamn good time!“ für uns alle und brennt dann ein wahres Feuerwerk an Klassikern ab. Die Band sprüht vor Spielfreude, Dave ist neben Gitarrenwirbler Bill Hudson der mächtige Fels im Mittelpunkt, das Publikum feiert Songs wie „Blessed are the sick“, „Rapture“, „Eyes to see, ears to hear“ oder das Terrorizer-Cover „Dead shall rise“ leidenschaftlich ab. Es ist aber auch immer wieder ein Genuss, dieser musikalischen Machtdemonstration zuzuschauen, und sicher fühle nicht nur ich mich in selige Death-Metal-Zeiten zurückversetzt. Hach!

DSC_999999Um kurz nach elf könnte man den Nostalgieflash dann bei den Schweden Demonical im Club weiter ausleben – oder zu den ebenfalls aus Schweden stammenden Wormwood in die Halle wandern, die bei der Vorbereitung aufs Festival schon durch ihren etwas anders gelagerten Extremmetal aufhorchen ließen. Außerdem singen sie zum Teil auf Schwedisch – klare Sache also für mich. Viele andere Festivalbesucher*innen sind genauso neugierig, und vor der Bühne ist der Platz knapp und die Luft schon nach den ersten Tönen ziemlich haarig. Die Band tritt eindeutig nicht-schwarzmetallisch, sondern eher pagan-/hippie-artig angehaucht auf, die Songthemen – Naturschutz, Klimawandel – sind auch ganz anders als die bisherige Kost, die Musik brettert allerdings durchaus extremmetallisch, was für ordentlich Bewegung in der vorderen Hallenhälfte sorgt. Die Band spielt Songs von den beiden Alben Nattarvet und Arkivet, und mir bleiben da vor allem „Ensamheten“ („Do you like rock?“, fragt Sängerhühne Nine. Klar!) und das beeindruckende „The isolationist“ im Gedächtnis. Sehr schön sind aber auch die schwedischen Folkmelodien in „Av lie och börda“, und überhaupt möchte ich allen, die den Auftritt nicht sehen konnten, Wormwood wirklich allerwärmstens ans Herz legen. Eine schwer zu kategorisierende Mischung aus Black Metal, Post-Irgendwas, Folk-/Pagan-Einschlag, Rock und dem gewissen Etwas. Musik zum Träumen, Texte zum Hinhören, eine vom Zuspruch überwältigte Band – der erste Festivaltag geht furios zu Ende. Tack så mycket!

Wer noch nicht ins Bett möchte, kann sich auf der Aftershowparty mit DJ Asvagr (Waldgeflüster) tummeln oder woanders auf dem Gelände in Ruhe das letzte Bier vernichten, ich fahre lieber nach Hause, um halbwegs fit für den Festivalsonntag zu sein.

Hier geht’s zu Tag 2!

Setlisten:

Maahes: Reincarnation/Perfection/Invincible/Medusa/Magic slave/Keeper of secrets/(unleserlich)

Imperium Dekadenz: Intro (Trauma)/Absenz Elysium/Bis ich bin/Schwarze Wälder/Staub und Erinnerungen/Aue der Nostalgie/Pure nocturnal Rome/Transcendence

Mork: Den lukkede porten/Eremittens dal/Det siste gode i meg/Arv/Født til å herske/Da himmelen falt/På tvers av tidene/Dype røtter

Vargsheim: Scheiterfeuer/Träume der Schlaflosen/Staublunge/Finning/Blutmond/Svartnatt

Belphegor: Swinefever – Regent of pigs/The devil’s son/Sanctus diaboli confidimus/Belphegor – Hell’s ambassador/Stigma diabolicum/Conjuring the dead – Pactum in aeternam/Lucifer incestus/Virtus asinaria – Prayer/Baphomet/Gasmask terror

Crescent: Neb-Pehti-Ra/Moot Set Waas/Serpent of Avaris/Imprecations upon thy flame/Dreamland/Drowned in Theban blood/Instrumental/As Nu enshrines death

I Am Morbid: Immortal rites/Fall from grace/Visions from the dark side/Day of suffering/Blessed are the sick/Rapture/Pain divine/Sworn to the black/Eyes to see, ears to hear/Dead shall rise/Maze of torment/Desolate ways/Dominate/Where the slime live/God of emptiness/World of shit (The promised land)

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