Better than fine

Vor ein paar Monaten fragte die Stockholmer Post-Punk-Band The Exploding Boy bei unserer Redaktion an, ob wir ihnen helfen könnten, ein Konzert in München bei der kommenden Tour im Herbst zu organisieren. Also haben wir ihnen den Kontakt zum Backstage vermittelt, und heute Abend ist es endlich soweit. Wenn eine der persönlichen Lieblingsbands spielt, und man gewissermaßen daran „schuld“ ist, ist die Aufregung größer als sonst. Erst recht, weil wir auch noch ein Interview mit Johan Sjöblom zwischen Soundcheck und Show vereinbart haben (das werdet ihr später im Webzine nachlesen können).

DSC_8921Das Vorprogramm bestreiten Raygun Rebels aus Bruckmühl, die mir und torshammare bislang noch nicht über den Weg gelaufen sind, also lassen wir uns in dem Fall einfach mal überraschen. Bedingt durch das Interview stoßen wir erst beim dritten oder vierten Song zusammen mit XBOY zur Show der Raygun Rebels, Show kann man hier durchaus wörtlich nehmen. Sie spielen richtig schmutzigen achtziger Jahre Rock und sehen auch so aus, die gut einstudierten Posing-Einlagen runden alles ab. Der Auftritt erinnert mich an das Los Angeles der 80er Jahre: Haarspray, Mötley Crüe und Guns ’n‘ Roses. „Das war nicht schlecht, München! Wir probieren das jetzt noch einmal, einen Schritt nach vorne!“ Die Aufforderung ist sinnvoll bei erst fünfzig Leuten im Club, und ihr wird auch Folge geleistet. „Jetzt kommt Rock ’n‘ Roll. Are you ready for Rock ’n‘ Roll?“ kreischt Sänger Danny Raygun ins Mikrofon. Mit dem Rücken zum Publikum spielen die drei Musiker zunächst das Intro, dann recken sie synchron ihre Gitarren- bzw. Basshälse in die Luft, und los geht’s mit „Go, Johnny go“, das von den Brüdern Danny und Dom Raygun in bester Motörhead-Manier beschleunigt wird, wobei Pelle Ericson die Ehre am Bass zuteil wird und FlickRick die Drums kickt. Zum Finale des Songs werfen sich die beiden Gitarristen auf den Boden, das Publikum reagiert mit ordentlich Applaus, vor allem die eigenen Fans. Als Opening Act für The Exploding Boy sind sie eher ungewöhnlich, so mancher XBOY-Fan scheint etwas überfordert zu sein. Beim Song „Shotgun“ legt Danny die Gitarre weg und animiert die Menge: „Shake your hands in the air!“ Zwischendurch muss auch ein wenig Eigenwerbung sein: „Am 31.01. spielen wir mit einer Band, die wir sehr schätzen: Sex Slaves from New York! This one goes out to Sex Slaves, ‚All night long‘!“ Richtig geraten, im Text heißt es dann allen Rockstar-Klischees entsprechend „I want to fuck you all night long.“ Die nun gestellte Frage „You want one more?“ ist in diesem Zusammenhang mehr als doppeldeutig, aber mehrere Groupies haben noch nicht genug. „Jetzt kommen wir zum Motto des heutigen Abends: Let’s get wasted!“, dazu wird ordentlich gerockt. Gegen Ende wird sogar die Stadionrock-Mitsing-Nummer ausprobiert, wobei Dom mit der Gitarre dabei geschickt den Part des Publikums unterstützt, da dafür natürlich eigentlich zu wenig Leute sind. Wer auf den Sleaze Rock der 80er Jahre steht, sollte bei den Jungs einmal reinhören.

DSC_9085Pünktlich um 21:30 Uhr startet der Hauptact das Intro, zu dem auf der Bannerrückseite ein digitaler Countdown von 11:59 an rückwärts zählt. Der erste Song ist dabei von Tiger Lou, wie uns Johan vorher verraten und wärmstens empfohlen hat. Kurz vor Ablauf des Countdowns nehmen The Exploding Boy ihre Positionen auf der für sechs Mann etwas beengten Bühne im Club ein, der sich zum Glück nun doch merklich gefüllt hat. Sie starten originellerweise mit der vor allem von Stefan Axell gesungenen albenübergreifenden Songtrilogie von „Dark City I“, „Dark City II“ und „Fireland (The end of Dark City)“, die ohne Pause hintereinanderweg gespielt wird. Anfangs ist der Gesang von Stefan noch etwas leise und der Bass von Matthias Svensson noch etwas dröhnend, doch der Mischer ist mit einem digitalen Tablet im Publikum unterwegs und checkt den Sound an mehreren Stellen, um ihn dann nachzujustieren, sodass beim dritten Song eigentlich alles passt. Nun gönnen sich alle eine kurze Bierpause im Applaus. Stefan links und Johan rechts tragen beide schwarze Kapuzenjacken und wirken damit etwas introvertiert, andererseits ist das irgendwie auch ein cooler Look, wie die Haare unter der Kapuze ins Gesicht fallen. Les Andersson in der Mitte hat dafür mehr Platz für sein Gitarrenspiel, den er auch nutzt, er ist ja auch nicht am Mikro-Ständer „gefangen“. Am Keyboard ersetzt heute Johnny Nattsjö, der Mann vom Merchandise, Nicklas Isgren, der leider zu Hause bleiben musste. Weiter geht es mit „Run red“, der ersten Single aus dem aktuellen Album Alarms! (Link zur Rezension), die vom Publikum ebenso bejubelt wird. Johan bedankt sich auf deutsch beim Publikum, und anschließend bedankt sich Stefan bei den Raygun Rebels, die ebenfalls in der Menge sind: „Give it up for Raygun Rebels! That was funny, I don’t know. What the hell!“ Johan fügt noch grinsend ein: „It was a good warm-up!“ Nun folgt mit „Let the right one in“ gleich das nächste Highlight, bei dem Johan die Akustikgutarre zwischendurch auch mal hängen lässt und so auch mehr aus sich herauskommen kann. Das Publikum ist begeistert, was er mit einem schlichten „Dankeschön“ kommentiert. Nach dem wunderschönen „Street cliché“ ist der Jubel wieder besonders laut. Mit dem nun folgenden „Going to hell“ wird es etwas mystisch, denn passend dazu wird Johan von rotem Licht angestrahlt. Noch dazu singt er jetzt mit offenen Augen, die aber gleichzeitig im Schatten liegen und somit eine spooky Atmosphäre erzeugen.

Plötzlich springt Drummer Richard Ankers auf und verschwindet im Backstage-Bereich. Die Band schaut erst etwas ratlos, dann meint Stefan: „We have a technical problem with the drummer … When there are problems, it’s always the drummer!“ und sorgt damit für Heiterkeit. „Well, let’s talk about Munich, we like it!“ So überbrücken er und Johan die kleine Zwangspause mit amüsantem Smalltalk mit dem Publikum, bei dem wir erfahren, wie Stefan einmal die Hose und Johan die Gitarre geklaut wurden. Dann ist Richard zurück, und nun heißt es energisch von Stefan: „We are The Exploding Boy from Sweden, Stockholm!“, und die Band legt mit einer rockigen Version von „Danger zone“ los. Johan hat die Gitarre dabei abgelegt und ist derartig befreit mit seinem Mikro tanzend auf der Bühne unterwegs. Das gerät so intensiv, dass ich eine Gänsehaut habe, obwohl der Song jetzt nicht zu meinen direkten Lieblingsliedern von XBOY gehört. Als ich mich kurz umdrehe, tanzt nicht nur Johan, sondern auch das Publikum bis in die hinterste Reihe. Die Stimmung ist großartig. Nun stellt Stefan ironisch fest: „Because we have a drummer who fucks everything up, I’ve nothing more to talk about!“ und schaut dabei etwas ratlos, Les und Johan grinsen dabei. „This is ‚The day‘!“ Der göttliche Basslauf von Matthias und die Stimme von Johan bescheren mir gleich die nächste Gänsehaut. Beim Refrain steigt Stefan mit ein, und die Menge feiert den Song begeistert ab. Nun meint Johan: „Thank you so much! This is a song from our first album!“ Für „Better than fine“ legt er die Gitarre ab und zieht die Kapuzenjacke aus, denn es wird immer wärmer, weil alle am Tanzen und schwitzen sind. Auch hier ist der Jubel laut, denn mit dem Song hatte wohl niemand gerechnet. „Dankeschön!“ Mit seinem faszinierenden Bassdrum-Intro verleiht Richard dem nun folgenden Klassiker „Heart of glass“ einen besonderen Kick im wahrsten Sinne des Wortes, dann holt er alles aus seinem Instrument und treibt die Band zu einer tollen rockigen Version an. Les schüttelt sogar ein wenig die Haare, während Johan den Song unnachahmlich singt, abgerundet durch die zweite Stimme Stefans, die dabei so wunderbar klingt, als ob sie aus dem Off kommt. Hatte ich schon erwähnt, dass ich dabei natürlich wieder Gänsehaut hatte? Dabei läuft mir gleichzeitig unter der Lederjacke mittlerweile die Suppe den Rücken runter. Nun folgen noch ein paar Sprüche, bevor Stefan ankündigt: „I think this is a song about getting drunk!“ – wobei ihm Johan zustimmt: „Right!“ – „Let’s getting wasted!“ Bei „40 days“ albert Johan nun mit seinem Mikro an der Gitarre von Les herum, The Exploding Boy haben sichtlich Spaß und rocken jetzt richtig. Der Sänger von Raygun Rebels lässt sich vorn zusammen mit seiner Freundin zu einer Luftgitarren-Einlage hinreißen, und ein paar weibliche Fans der Vorband drängen vor zur Bühne, um davor abzuhotten. Nach diesem hinreißenden Finale macht die Band einen schnellen Abgang, aber nicht ohne dass Johan seine Kapuzenjacke mitnimmt. Aus der Geschichte mit Stefans Hose hat er offensichtlich gelernt.

DSC_9117Die Band lässt sich dank des lauten Applaus für die Zugaben nicht lange bitten, und Johan erklärt in den Jubel hinein: „We are really really far away from the end. It’s like four songs more!“ Dann überrascht die Band mit dem Sjöblom-Solo-Song „Oh my heart“, der von Stefan und Johan gemeinsam gesungen wird. So ganz stimmt die Abstimmung nicht, denn es klingt teilweise leicht schief. Aber geschenkt, das tut der allgemeinen Stimmung keinen Abbruch. Beim nun folgenden „Alarms in silence“ posiert Johan beim Refrain mit seiner Akustikgitarre auch mal in bester Rockstar-Manier und greift damit die Raygun Rebels andeutungsweise noch einmal auf. Beim vielleicht größten Hit der Band, „Desperados“, holt Matthias noch mal alles aus dem Bass raus, dessen Klang dabei einfach nur Porno ist, Les und Stefan rocken mit den Gitarren dazu den Rest. Johan kündigt nun den letzten Song an, Stefan bedankt sich noch einmal abschließend: „Thank you to Raygun Rebels and thank you to the Backstage!“ Nun spielt die Band wie quasi eingangs mit dem Countdown bereits angekündigt den Song zum Weltuntergang „11:59“. Schon auf dem Album ist der Song ein Hammer, aber live entfaltet er erst Recht seine monumentale Pracht. Auf dem Banner wird passend dazu eine glühende Sonne eingeblendet. Es ist fast schon peinlich zu erwähnen, aber mehrmals laufen mir Gänsehaut-Schauer den Rücken herunter, und ich muss mit den Tränen kämpfen, so sehr nimmt mich das emotional mit. Vielleicht auch, weil ich nie damit gerechnet hätte, ihn live zu hören. Die Band steigert sich bis zu einem furiosen und rockigen Finale, vor allem Stefan geht dabei mit dem Rücken zum Publikum voll ab. Dann ist die Show leider vorbei. Gefühlt irgendwie zu früh, denn „Torn“ habe ich jetzt schon vermisst, aber man soll ja bekanntlich aufhören, wenn es am Schönsten ist. Als Rausschmeißer wird ein Elvis-Konzert aus den Siebzigern eingeblendet, aber so ganz funktioniert das natürlich nicht. Die Band lässt es sich nicht nehmen, persönlich am Merchandise zu stehen, einen kleinen Plausch mit den Fans zu halten und bereitwillig CDs zu signieren. Dazu wechselt die Musik dann gnädigerweise zu Feine Sahne Fischfilet, und „Ich bin komplett im Arsch!“ empfinde ich in dem Moment auch als sehr passend.

Johan bedankt sich bei uns überschwenglich für unser Engagement und will uns sogar T-Shirts schenken. Wir wehren das zunächst ab, weil uns das nicht als richtig erscheint, dann einigen wir uns aber auf zwei zum Preis von einem. Trotzdem ist das aber eine super nette Aktion. Er meint, das wäre heute wegen der begeisterten Publikumsreaktionen (200 zahlende Besucher verrät er uns später noch nach der Abrechnung mit dem Backstage) das beste Konzert der bisherigen Tour gewesen und unter den Top drei XBOY-Konzerten überhaupt.
Im hinteren Toilettenbereich höre ich noch einen Gesprächsfetzen zwischen Besuchern mit: „Boah, ich bin taub, Alter!“ – Antwort: „Aber das war ein geiles Konzert!“ Nun, zu laut fand ich es jetzt nicht, aber sonst kann man das einfach so stehen lassen. An evening „Better than fine“!

Vi hoppas innerligt att vårt svenska favoritband snart kommer tillbaka till München innan vi exploderar av längtan.

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch:

Setlist The Exploding Boy:
Dark city I
Dark city II
Fireland (The end of dark city)
Run red
Let the right one in
Street cliché
Going to hell
Danger zone
The day
Better than fine
Heart of glass
40 days

Oh my heart
Alarms in silence
Desperados
11:59

Bilder: torshammare

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